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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Generation, die aus die formale Seite vorzugsweise ihre Aufmerksamkeit richtete,
wurden Schlegels Balladen sogar über die Schillerschen gestellt. Arion hat
mit Recht das größte Lob gefunden, wegen der anmuthigen Melodie, die etwas
an die Braut von Korinth erinnert, und weil in der Erzählung der Balladen¬
schritt besser beobachtet ist, als- in den übrigen, wo man gar nicht von der
Stelle kommt. Aber auch in dieser, wie in allen Schlegelschen Balladen, sieht
man das Gemachte, und nebenbei ist der Inhalt sehr arm. Ganz unerträglich
ist die schwülstige, träge dahinschleichende Sprache in Ariadne und Pygmalion,
und auch in der Kampaspe, die bessere Momente enthält, ist die Form steif
und ungefällig. Es ist merkwürdig, wie Schlegel, der doch in seinen Ueber¬
setzungen so meisterhaft über die Form gebot, wenn er einen eignen Geoanken
ausdrücken wollte, die Zunge gelähmt sah. So ist z. B. in dem "Lob der
Thränen" und den "gefangenen Sängern" offenbar ein Anlauf gemacht, eine
wirkliche Idee auszudrücken; aber die Form ist so schülerhaft unbeholfen, daß
auch der Inhalt darüber verkümmert. Von den glänzenden, hinreißenden Ein¬
fällen, die uns bei Schiller häufig für so manche Schwächen entschuldigen
müssen, ist keine Rede. --

Mit nicht geringerem Eifer arbeiteten die übrigen Musensöhne jener Zeit
in der neuen Gattung der griechischen Ballade. Am nächsten an Schiller und
Schlegel schloß sich Gries an, dessen Balladen "Phaeton" und "die Danai-
den" in den Schillerschen Musenalmanach aufgenommen wurden, obgleich
Schiller damals schon der Gattung überdrüssig geworden war und den jungen
Dichter ernsthaft vor Ähnlicher Versuchen warnte. Es gibt keine Form der
Lyrik, in welcher man durch Fleiß und Arbeitsamkeit ohne alles natürliche
Talent soviel scheinbare Erfolge erreichen könnte. In jeder beliebigen Anthologie
wird man durch gräcistrende Balladen überschüttet. Die Methode Schillers und
Schlegels ist durchweg beibehalten; aber wenn namentlich der erste den fremden
Stoffen überall eine geistreiche Wendung abgewinnt, so kommt es den spätern
Dichtern fast ausschließlich daraus an, die hergebrachten, namentlich Plutar-
chischen Vorstellungen in wohlklingende Phrasen einzukleiden. Die Sagen und
Anekdoten von den Dichtern nehmen den meisten Raum ein: Sappho, Sopho¬
kles, Anakreon, Simonides u. s. w., dann folgen die Philosophen: Plato,
Xenophon, Demokrit; aufopfernde Patrioten: Kodrus, Curtius; auch die
Götter im Geschmack des Proticus fehlen nicht. Die Namen der Dichter sind
zum Theil bereits vergessen: Tiedge, Conz, Kind, F. A. Schulze (Laun),
Apel, Schmidt-Phiseldeck, Kühn, Krug von Nidda, Hohlfeldt, Amadeus
Wendt :c., aber sie wirkten durch die Masse und wir können es l)en spätern
Dichtern aus der Uhlandschen Schule nicht genug danken, daß sie durch ihre
mittelalterlichen Bilder, an die sich doch immer irgendeine bestimmte, wenn zu¬
weilen auch nur locale Vorstellung knüpfte, diese blassen Schemen des Altern


Generation, die aus die formale Seite vorzugsweise ihre Aufmerksamkeit richtete,
wurden Schlegels Balladen sogar über die Schillerschen gestellt. Arion hat
mit Recht das größte Lob gefunden, wegen der anmuthigen Melodie, die etwas
an die Braut von Korinth erinnert, und weil in der Erzählung der Balladen¬
schritt besser beobachtet ist, als- in den übrigen, wo man gar nicht von der
Stelle kommt. Aber auch in dieser, wie in allen Schlegelschen Balladen, sieht
man das Gemachte, und nebenbei ist der Inhalt sehr arm. Ganz unerträglich
ist die schwülstige, träge dahinschleichende Sprache in Ariadne und Pygmalion,
und auch in der Kampaspe, die bessere Momente enthält, ist die Form steif
und ungefällig. Es ist merkwürdig, wie Schlegel, der doch in seinen Ueber¬
setzungen so meisterhaft über die Form gebot, wenn er einen eignen Geoanken
ausdrücken wollte, die Zunge gelähmt sah. So ist z. B. in dem „Lob der
Thränen" und den „gefangenen Sängern" offenbar ein Anlauf gemacht, eine
wirkliche Idee auszudrücken; aber die Form ist so schülerhaft unbeholfen, daß
auch der Inhalt darüber verkümmert. Von den glänzenden, hinreißenden Ein¬
fällen, die uns bei Schiller häufig für so manche Schwächen entschuldigen
müssen, ist keine Rede. —

Mit nicht geringerem Eifer arbeiteten die übrigen Musensöhne jener Zeit
in der neuen Gattung der griechischen Ballade. Am nächsten an Schiller und
Schlegel schloß sich Gries an, dessen Balladen „Phaeton" und „die Danai-
den" in den Schillerschen Musenalmanach aufgenommen wurden, obgleich
Schiller damals schon der Gattung überdrüssig geworden war und den jungen
Dichter ernsthaft vor Ähnlicher Versuchen warnte. Es gibt keine Form der
Lyrik, in welcher man durch Fleiß und Arbeitsamkeit ohne alles natürliche
Talent soviel scheinbare Erfolge erreichen könnte. In jeder beliebigen Anthologie
wird man durch gräcistrende Balladen überschüttet. Die Methode Schillers und
Schlegels ist durchweg beibehalten; aber wenn namentlich der erste den fremden
Stoffen überall eine geistreiche Wendung abgewinnt, so kommt es den spätern
Dichtern fast ausschließlich daraus an, die hergebrachten, namentlich Plutar-
chischen Vorstellungen in wohlklingende Phrasen einzukleiden. Die Sagen und
Anekdoten von den Dichtern nehmen den meisten Raum ein: Sappho, Sopho¬
kles, Anakreon, Simonides u. s. w., dann folgen die Philosophen: Plato,
Xenophon, Demokrit; aufopfernde Patrioten: Kodrus, Curtius; auch die
Götter im Geschmack des Proticus fehlen nicht. Die Namen der Dichter sind
zum Theil bereits vergessen: Tiedge, Conz, Kind, F. A. Schulze (Laun),
Apel, Schmidt-Phiseldeck, Kühn, Krug von Nidda, Hohlfeldt, Amadeus
Wendt :c., aber sie wirkten durch die Masse und wir können es l)en spätern
Dichtern aus der Uhlandschen Schule nicht genug danken, daß sie durch ihre
mittelalterlichen Bilder, an die sich doch immer irgendeine bestimmte, wenn zu¬
weilen auch nur locale Vorstellung knüpfte, diese blassen Schemen des Altern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/508>, abgerufen am 26.06.2024.