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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Nachbarschaft dem einflußreichen, aber auch einsichtsvollen und wohlwollenden
Gutsherrn gern und mit Vertrauen anschloß, fand sich, als es darauf an¬
gekommen sein würde, kaum eine schwache Spur. Die adlige Geburt sollte
das alles gutmachen. - >

So überraschte das Jahr 1848 den Adel in trägen Illusionen. Selbst
der Edelmann ergab sich -- einer gehobenen Stimmung. ES war zum Theil
diese enthusiastische Stimmung, zum größten Theil Furcht und Heuchelei, was
im Jahr 1848 die politischen Actionen unsres Adels bestimmte. Eine Schrift
von b)r. Albert Oppermann, Obergerichtsanwalt in Nienburg "Zur Geschichte
des hannoverschen VerfasfungsgesctzeS vom 5. Sept. 1848, namentlich in Be¬
ziehung auf Die Anträge des ReelamationSauöschusfcS vom 15. Marz, betreffend
die KK. 33 und 36 dieses Gesetzes" (Leipzig, Otto WiganV. 1835) verfolgt
die Landtagsverhanblungen und namentlich die Reden der ersten Kammer,
welche zum Verfafsungsgesetz vom 5. Sept. mitwirkten, mit einer Genauigkeit,
die manchem der Herrn gegenwartig sehr unangenehm sein wird. Zu beachten
ist dabei, daß keine Neulinge auf parlamentarischem Boden, sondern daß die
bereits 1837 nach dem Wahlgesetz von 1840 gewählten Kammern die Haupt-
neugestaltungen vollbrachten.

Der jüngst vielgenannte §. 180, welcher Verfassungsänderungen von drei¬
maliger Einstimmigkeit in beiden vollständig besetzten Kammern, oder von drei¬
maliger Zweivrittelmajvrital auf zwei einander folgenden Landtagen abhängig
machte, wurde in erstgenannter Weise mit einstimmigem Ruf des Adels durch¬
aus ordnungsmäßig beseitigt, um die nothwendigen Aenderungen des-Grund¬
gesetzes durch einfache Majoritäten beschließen zu können.

Dann bezeichnete eine Adresse an den König vie "Aufhebung der
Vertretung des Adels als solchen in der allgemeinen Ständeversammlung,
sowie Aufhebung aller Vorzüge der Geburt, unbeschadet der Privatrechte" als
nothwendig. Herr von Hodenberg bedauerte bei der Gelegenheit in bex
ersten Kammer, daß man der öffentlichen Meinung schon seit dreißig Jahren
so wenig Gewicht beigelegt habe. Ov man denn glaube, ihr noch ent¬
schiedener entgegenhandeln zu können? Sehr ehrenhaft sei es, das Recht auch
der öffentlichen Meinung gegenüber zu vertheidige"; aber wenn sie, wie hier,
kein Unrecht verlange, so sei es billig, sie zu rechter Zeit zu benutzen. Von
einem andern Herrn wurde hinzugefügt: Das schönste Vorrecht deö Adels sei
stets gewesen, sich fürs Vaterland zu opfern und er bringe mit Freuden dem
Vaterlanve heilt Opfer dar, indem er für die Adresse stimme. Nur zwölf Mit¬
glieder der Adelskammer erklärten sich gegen die Adresse. Wurde später von den
Rittern behauptet, der Beschluß sei ihnen durch Drohungen abgenöthigt worden,
so ist das nach Aussage der unverdächtigsten Zeugen eine Unwahrheit. Zuzu¬
geben ist nur, daß die einschlagende Abstimmung mit jenen Vorgängen zusam-


Nachbarschaft dem einflußreichen, aber auch einsichtsvollen und wohlwollenden
Gutsherrn gern und mit Vertrauen anschloß, fand sich, als es darauf an¬
gekommen sein würde, kaum eine schwache Spur. Die adlige Geburt sollte
das alles gutmachen. - >

So überraschte das Jahr 1848 den Adel in trägen Illusionen. Selbst
der Edelmann ergab sich — einer gehobenen Stimmung. ES war zum Theil
diese enthusiastische Stimmung, zum größten Theil Furcht und Heuchelei, was
im Jahr 1848 die politischen Actionen unsres Adels bestimmte. Eine Schrift
von b)r. Albert Oppermann, Obergerichtsanwalt in Nienburg „Zur Geschichte
des hannoverschen VerfasfungsgesctzeS vom 5. Sept. 1848, namentlich in Be¬
ziehung auf Die Anträge des ReelamationSauöschusfcS vom 15. Marz, betreffend
die KK. 33 und 36 dieses Gesetzes" (Leipzig, Otto WiganV. 1835) verfolgt
die Landtagsverhanblungen und namentlich die Reden der ersten Kammer,
welche zum Verfafsungsgesetz vom 5. Sept. mitwirkten, mit einer Genauigkeit,
die manchem der Herrn gegenwartig sehr unangenehm sein wird. Zu beachten
ist dabei, daß keine Neulinge auf parlamentarischem Boden, sondern daß die
bereits 1837 nach dem Wahlgesetz von 1840 gewählten Kammern die Haupt-
neugestaltungen vollbrachten.

Der jüngst vielgenannte §. 180, welcher Verfassungsänderungen von drei¬
maliger Einstimmigkeit in beiden vollständig besetzten Kammern, oder von drei¬
maliger Zweivrittelmajvrital auf zwei einander folgenden Landtagen abhängig
machte, wurde in erstgenannter Weise mit einstimmigem Ruf des Adels durch¬
aus ordnungsmäßig beseitigt, um die nothwendigen Aenderungen des-Grund¬
gesetzes durch einfache Majoritäten beschließen zu können.

Dann bezeichnete eine Adresse an den König vie „Aufhebung der
Vertretung des Adels als solchen in der allgemeinen Ständeversammlung,
sowie Aufhebung aller Vorzüge der Geburt, unbeschadet der Privatrechte" als
nothwendig. Herr von Hodenberg bedauerte bei der Gelegenheit in bex
ersten Kammer, daß man der öffentlichen Meinung schon seit dreißig Jahren
so wenig Gewicht beigelegt habe. Ov man denn glaube, ihr noch ent¬
schiedener entgegenhandeln zu können? Sehr ehrenhaft sei es, das Recht auch
der öffentlichen Meinung gegenüber zu vertheidige»; aber wenn sie, wie hier,
kein Unrecht verlange, so sei es billig, sie zu rechter Zeit zu benutzen. Von
einem andern Herrn wurde hinzugefügt: Das schönste Vorrecht deö Adels sei
stets gewesen, sich fürs Vaterland zu opfern und er bringe mit Freuden dem
Vaterlanve heilt Opfer dar, indem er für die Adresse stimme. Nur zwölf Mit¬
glieder der Adelskammer erklärten sich gegen die Adresse. Wurde später von den
Rittern behauptet, der Beschluß sei ihnen durch Drohungen abgenöthigt worden,
so ist das nach Aussage der unverdächtigsten Zeugen eine Unwahrheit. Zuzu¬
geben ist nur, daß die einschlagende Abstimmung mit jenen Vorgängen zusam-


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[0466] Nachbarschaft dem einflußreichen, aber auch einsichtsvollen und wohlwollenden Gutsherrn gern und mit Vertrauen anschloß, fand sich, als es darauf an¬ gekommen sein würde, kaum eine schwache Spur. Die adlige Geburt sollte das alles gutmachen. - > So überraschte das Jahr 1848 den Adel in trägen Illusionen. Selbst der Edelmann ergab sich — einer gehobenen Stimmung. ES war zum Theil diese enthusiastische Stimmung, zum größten Theil Furcht und Heuchelei, was im Jahr 1848 die politischen Actionen unsres Adels bestimmte. Eine Schrift von b)r. Albert Oppermann, Obergerichtsanwalt in Nienburg „Zur Geschichte des hannoverschen VerfasfungsgesctzeS vom 5. Sept. 1848, namentlich in Be¬ ziehung auf Die Anträge des ReelamationSauöschusfcS vom 15. Marz, betreffend die KK. 33 und 36 dieses Gesetzes" (Leipzig, Otto WiganV. 1835) verfolgt die Landtagsverhanblungen und namentlich die Reden der ersten Kammer, welche zum Verfafsungsgesetz vom 5. Sept. mitwirkten, mit einer Genauigkeit, die manchem der Herrn gegenwartig sehr unangenehm sein wird. Zu beachten ist dabei, daß keine Neulinge auf parlamentarischem Boden, sondern daß die bereits 1837 nach dem Wahlgesetz von 1840 gewählten Kammern die Haupt- neugestaltungen vollbrachten. Der jüngst vielgenannte §. 180, welcher Verfassungsänderungen von drei¬ maliger Einstimmigkeit in beiden vollständig besetzten Kammern, oder von drei¬ maliger Zweivrittelmajvrital auf zwei einander folgenden Landtagen abhängig machte, wurde in erstgenannter Weise mit einstimmigem Ruf des Adels durch¬ aus ordnungsmäßig beseitigt, um die nothwendigen Aenderungen des-Grund¬ gesetzes durch einfache Majoritäten beschließen zu können. Dann bezeichnete eine Adresse an den König vie „Aufhebung der Vertretung des Adels als solchen in der allgemeinen Ständeversammlung, sowie Aufhebung aller Vorzüge der Geburt, unbeschadet der Privatrechte" als nothwendig. Herr von Hodenberg bedauerte bei der Gelegenheit in bex ersten Kammer, daß man der öffentlichen Meinung schon seit dreißig Jahren so wenig Gewicht beigelegt habe. Ov man denn glaube, ihr noch ent¬ schiedener entgegenhandeln zu können? Sehr ehrenhaft sei es, das Recht auch der öffentlichen Meinung gegenüber zu vertheidige»; aber wenn sie, wie hier, kein Unrecht verlange, so sei es billig, sie zu rechter Zeit zu benutzen. Von einem andern Herrn wurde hinzugefügt: Das schönste Vorrecht deö Adels sei stets gewesen, sich fürs Vaterland zu opfern und er bringe mit Freuden dem Vaterlanve heilt Opfer dar, indem er für die Adresse stimme. Nur zwölf Mit¬ glieder der Adelskammer erklärten sich gegen die Adresse. Wurde später von den Rittern behauptet, der Beschluß sei ihnen durch Drohungen abgenöthigt worden, so ist das nach Aussage der unverdächtigsten Zeugen eine Unwahrheit. Zuzu¬ geben ist nur, daß die einschlagende Abstimmung mit jenen Vorgängen zusam-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/466>, abgerufen am 25.08.2024.