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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, wurde Drucker und Schullehrer zu Basel,
und starb in spätem Alter als Haus- und Grundbesitzer, als ein hochgeachteter
Mann. Die Schilderung seines Lebens, für seinen Sohn Felix geschrieben,
ist für Kenntniß des damaligen Volkslebens von höchster Bedeutung; am
öftersten gedruckt und überarbeitet ist der Theil desselben, welcher die Schüler¬
fahrten enthält.

Sein Leben kann fast als Beispiel gelten sür das Treiben von tausend
armen und wißbegierigen Männern, welche durch die starke geistige Strömung
jener Zeit aus den einfachen Verhältnissen des Landlebens fortgerissen und in den
großen religiösen Kampf des 16. Jahrhunderts hineingezogen wurden. Noch
fehlt uns ein Geschichtswerk, welches die wunderbare und unwiderstehliche
Bewegung, welche damals durch alle deutschen Stämme ging, ausführlich
mit den richtigen Farben darstellte. Gegenüber der unwissenden, im Genuß
sicher gewordenen Geistlichkeit und dem verfallenden Adel regte sich plötzlich
in dem Volke ein neuer heftiger Drang, die Sehnsucht nach Bildung.
Bald wurde die gewonnene Bildung eine Macht, welche die alten Verhält¬
nisse umwarf. Um die Figuren Luthers und seiner Mitreformatvren zu ver¬
stehen, muß man die Kämpfe auch solcher Zeitgenossen, welche in der Ge¬
schichte keinen hervorragendenj Platz gefunden haben, wol ins Auge fassen.
Es war ein heiliger, für uns unendlich rührender Eifer, der unsre ganze
Nation erfaßt hatte. Arme Bauerknaben wanderten Hunderte von Meilett,
um einen Schullehrer zu finden, der sie im Lateinischen unterrichtete, ein
griechisches Buch war ein kostbarer Schatz, sür eine hebräische Bibel gab der
Wißbegierige vielleicht das ganze Erbtheil seiner Eltern, den letzten Goldgulden
hin. Um bei einem guten Lehrer Unterricht zu erhalten, bettelte und
hungerte der Arme. Die Zahl der jungen Männer, welche Griechisch und
Lateinisch lernten, um die Schrift zu verstehen und den wahren Glauben zu
finden, wurde in der Schweiz z. B so groß, daß Zwingli ernsthaft ermahnt,
auch solche möchten ein Handwerk lernen, um sich Auskommen und ein gesundes
Leben auf dieser Erde zu sichern. So wurde der gelehrte Keßler nach seiner
Rückkehr von Wittenberg (Ur. 23 d. Grzbt.) Sattlermeister, Plater war eine
Zeitlang Seilergeselle, sein erster Meister hatte auch studirt und verstand
Lateinisch und Griechisch; wenn Plater das Seil drehte, hatte er durch eine
hölzerne Gabel Blätter des Terenz daran befestigt, die ihm nachrückten und die
er während der Arbeit lesen konnte. Es war eine große Zeit und ein mäch¬
tiges ideales Leben im Volke, und es thut weh, wenn mau bedenkt, wie schon
in der zweiten Hälfte des -16. Jahrhunderts das leidenschaftliche Begehren eines
edlen einfältigen Volksstammes an Pfaffengezänk und fürstlichen Intriguen
verdarb.

Es ist eben nicht der geistige Kampf, sondern das einfache Gemüthsleben


Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, wurde Drucker und Schullehrer zu Basel,
und starb in spätem Alter als Haus- und Grundbesitzer, als ein hochgeachteter
Mann. Die Schilderung seines Lebens, für seinen Sohn Felix geschrieben,
ist für Kenntniß des damaligen Volkslebens von höchster Bedeutung; am
öftersten gedruckt und überarbeitet ist der Theil desselben, welcher die Schüler¬
fahrten enthält.

Sein Leben kann fast als Beispiel gelten sür das Treiben von tausend
armen und wißbegierigen Männern, welche durch die starke geistige Strömung
jener Zeit aus den einfachen Verhältnissen des Landlebens fortgerissen und in den
großen religiösen Kampf des 16. Jahrhunderts hineingezogen wurden. Noch
fehlt uns ein Geschichtswerk, welches die wunderbare und unwiderstehliche
Bewegung, welche damals durch alle deutschen Stämme ging, ausführlich
mit den richtigen Farben darstellte. Gegenüber der unwissenden, im Genuß
sicher gewordenen Geistlichkeit und dem verfallenden Adel regte sich plötzlich
in dem Volke ein neuer heftiger Drang, die Sehnsucht nach Bildung.
Bald wurde die gewonnene Bildung eine Macht, welche die alten Verhält¬
nisse umwarf. Um die Figuren Luthers und seiner Mitreformatvren zu ver¬
stehen, muß man die Kämpfe auch solcher Zeitgenossen, welche in der Ge¬
schichte keinen hervorragendenj Platz gefunden haben, wol ins Auge fassen.
Es war ein heiliger, für uns unendlich rührender Eifer, der unsre ganze
Nation erfaßt hatte. Arme Bauerknaben wanderten Hunderte von Meilett,
um einen Schullehrer zu finden, der sie im Lateinischen unterrichtete, ein
griechisches Buch war ein kostbarer Schatz, sür eine hebräische Bibel gab der
Wißbegierige vielleicht das ganze Erbtheil seiner Eltern, den letzten Goldgulden
hin. Um bei einem guten Lehrer Unterricht zu erhalten, bettelte und
hungerte der Arme. Die Zahl der jungen Männer, welche Griechisch und
Lateinisch lernten, um die Schrift zu verstehen und den wahren Glauben zu
finden, wurde in der Schweiz z. B so groß, daß Zwingli ernsthaft ermahnt,
auch solche möchten ein Handwerk lernen, um sich Auskommen und ein gesundes
Leben auf dieser Erde zu sichern. So wurde der gelehrte Keßler nach seiner
Rückkehr von Wittenberg (Ur. 23 d. Grzbt.) Sattlermeister, Plater war eine
Zeitlang Seilergeselle, sein erster Meister hatte auch studirt und verstand
Lateinisch und Griechisch; wenn Plater das Seil drehte, hatte er durch eine
hölzerne Gabel Blätter des Terenz daran befestigt, die ihm nachrückten und die
er während der Arbeit lesen konnte. Es war eine große Zeit und ein mäch¬
tiges ideales Leben im Volke, und es thut weh, wenn mau bedenkt, wie schon
in der zweiten Hälfte des -16. Jahrhunderts das leidenschaftliche Begehren eines
edlen einfältigen Volksstammes an Pfaffengezänk und fürstlichen Intriguen
verdarb.

Es ist eben nicht der geistige Kampf, sondern das einfache Gemüthsleben


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[0424] Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, wurde Drucker und Schullehrer zu Basel, und starb in spätem Alter als Haus- und Grundbesitzer, als ein hochgeachteter Mann. Die Schilderung seines Lebens, für seinen Sohn Felix geschrieben, ist für Kenntniß des damaligen Volkslebens von höchster Bedeutung; am öftersten gedruckt und überarbeitet ist der Theil desselben, welcher die Schüler¬ fahrten enthält. Sein Leben kann fast als Beispiel gelten sür das Treiben von tausend armen und wißbegierigen Männern, welche durch die starke geistige Strömung jener Zeit aus den einfachen Verhältnissen des Landlebens fortgerissen und in den großen religiösen Kampf des 16. Jahrhunderts hineingezogen wurden. Noch fehlt uns ein Geschichtswerk, welches die wunderbare und unwiderstehliche Bewegung, welche damals durch alle deutschen Stämme ging, ausführlich mit den richtigen Farben darstellte. Gegenüber der unwissenden, im Genuß sicher gewordenen Geistlichkeit und dem verfallenden Adel regte sich plötzlich in dem Volke ein neuer heftiger Drang, die Sehnsucht nach Bildung. Bald wurde die gewonnene Bildung eine Macht, welche die alten Verhält¬ nisse umwarf. Um die Figuren Luthers und seiner Mitreformatvren zu ver¬ stehen, muß man die Kämpfe auch solcher Zeitgenossen, welche in der Ge¬ schichte keinen hervorragendenj Platz gefunden haben, wol ins Auge fassen. Es war ein heiliger, für uns unendlich rührender Eifer, der unsre ganze Nation erfaßt hatte. Arme Bauerknaben wanderten Hunderte von Meilett, um einen Schullehrer zu finden, der sie im Lateinischen unterrichtete, ein griechisches Buch war ein kostbarer Schatz, sür eine hebräische Bibel gab der Wißbegierige vielleicht das ganze Erbtheil seiner Eltern, den letzten Goldgulden hin. Um bei einem guten Lehrer Unterricht zu erhalten, bettelte und hungerte der Arme. Die Zahl der jungen Männer, welche Griechisch und Lateinisch lernten, um die Schrift zu verstehen und den wahren Glauben zu finden, wurde in der Schweiz z. B so groß, daß Zwingli ernsthaft ermahnt, auch solche möchten ein Handwerk lernen, um sich Auskommen und ein gesundes Leben auf dieser Erde zu sichern. So wurde der gelehrte Keßler nach seiner Rückkehr von Wittenberg (Ur. 23 d. Grzbt.) Sattlermeister, Plater war eine Zeitlang Seilergeselle, sein erster Meister hatte auch studirt und verstand Lateinisch und Griechisch; wenn Plater das Seil drehte, hatte er durch eine hölzerne Gabel Blätter des Terenz daran befestigt, die ihm nachrückten und die er während der Arbeit lesen konnte. Es war eine große Zeit und ein mäch¬ tiges ideales Leben im Volke, und es thut weh, wenn mau bedenkt, wie schon in der zweiten Hälfte des -16. Jahrhunderts das leidenschaftliche Begehren eines edlen einfältigen Volksstammes an Pfaffengezänk und fürstlichen Intriguen verdarb. Es ist eben nicht der geistige Kampf, sondern das einfache Gemüthsleben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/424>, abgerufen am 01.07.2024.