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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Beschlusses folgen ließ, so war dagegen nichts einzuwenden, keinenfalls aber
hatte ein solcher Act eine staatsrechtliche Bedeutung. In dieser Beziehung
sind wir also mit dem Ministerpräsidenten vollkommen einverstanden.

Nun findet man zwar alle möglichen Gründe, einen vermittelnden Weg
zu beschönigen, z. B. man hofft die Majorität zu gewinnen. Wenn so etwas
gelingt, so kann man weiter darüber sprechen, aber das Mißlingen, welches
man noch dazu ziemlich leicht voraussehen konnte, ist in solchen Fällen zu¬
gleich die absolute Verurtheilung einer Politik der Umstände und Intriguen.

Wir halten es für nöthig, diese dem Anschein nach abgethane Sache
noch einmal hervorzuheben, weil ein großer Theil der Opposition noch immer¬
fort den Umständen Rechnung trägt, um den officiellen Ausdruck zu gebrau¬
chen, weil er bei jedem Beschluß sich fragt: was werden für Folgen daraus
hervorgehen? Unter gewissen Umständen hat diese Transactionspolitik ihre
Berechtigung, nicht .jetzt, wo der Conflict der verschiedenen Ansichten eine
vollkommen greifbare Gestalt gewonnen hat und wo es sich darum handelt,
seine eigne Verantwortlichkeit vor dem Lande und vor seinem Gewissen zu
decken. Man fragt immer: was wird daraus entstehen, wenn z.B. die Kam¬
mern eine von der Regierung geforderte Anleihe verwerfen? Der vereinigte
Landtag von18i7 war noch nicht so staatsmännisch, er verwarf ohne weiteres
die meisten der von der Regierung geforderten Bewilligungen; was die Re¬
gierung infolge dessen thun wird, das geht die Kammer nichts an, dasür hat
sie keine Verantwortung zu tragen, das muß sie der Regierung überlassen.
Auf verfassungsmäßigen Wege kann nichts Anderes daraus hervorgehen, als
die Auflösung dieser Kaminer und die Einberufung einer neuen.

Wenn die Opposition der preußischen Kammern die Popularität im Lande,
die sie zum Theil ohne ihre Schuld eingebüßt, wiedergewinnen will, so kann
sie das nur, wenn sie ihre Abstimmungen lediglich nach Pflicht und Gewissen
einrichtet und die staatsmännischen Bedenken den Staatsmännern von Pro¬
fession überläßt. Sie kann in ihren Ueberzeugungen irren, denn welcher
Sterbliche wollte die absolute Wahrheit sür sich in Anspruch nehmen, aber sie hat
nach ihren Ueberzeugungen zu handeln und den Ausgang Gott zu überlassen. --

Noch einen Zwischenfall haben wir hier zu erwähnen, der in seiner Art
in der Geschichte der Diplomatie vielleicht einzig dasteht.

Die Zeitungen berichteten, der preußische Bundestagsgesandte, Herr von
Bismark-Schönhausen habe sich dahin ausgesprochen, daß die Verträge zwi¬
schen Oestreich und Preußen nicht allein gegen Rußland, sondern auch gegen
die Westmächte gerichtet seien und daß cbendaraus die Nothwendigkeit hervor¬
gehe, auch gegen Frankreich die Bundesfestungen zu armiren.

Nachdem darüber eine ziemliche Aufregung entstanden war, erklärt der
Moniteur, die preußische Regierung habe ihren Gesandten desavouirt.


Grenzboten. II. -ILöö.

Beschlusses folgen ließ, so war dagegen nichts einzuwenden, keinenfalls aber
hatte ein solcher Act eine staatsrechtliche Bedeutung. In dieser Beziehung
sind wir also mit dem Ministerpräsidenten vollkommen einverstanden.

Nun findet man zwar alle möglichen Gründe, einen vermittelnden Weg
zu beschönigen, z. B. man hofft die Majorität zu gewinnen. Wenn so etwas
gelingt, so kann man weiter darüber sprechen, aber das Mißlingen, welches
man noch dazu ziemlich leicht voraussehen konnte, ist in solchen Fällen zu¬
gleich die absolute Verurtheilung einer Politik der Umstände und Intriguen.

Wir halten es für nöthig, diese dem Anschein nach abgethane Sache
noch einmal hervorzuheben, weil ein großer Theil der Opposition noch immer¬
fort den Umständen Rechnung trägt, um den officiellen Ausdruck zu gebrau¬
chen, weil er bei jedem Beschluß sich fragt: was werden für Folgen daraus
hervorgehen? Unter gewissen Umständen hat diese Transactionspolitik ihre
Berechtigung, nicht .jetzt, wo der Conflict der verschiedenen Ansichten eine
vollkommen greifbare Gestalt gewonnen hat und wo es sich darum handelt,
seine eigne Verantwortlichkeit vor dem Lande und vor seinem Gewissen zu
decken. Man fragt immer: was wird daraus entstehen, wenn z.B. die Kam¬
mern eine von der Regierung geforderte Anleihe verwerfen? Der vereinigte
Landtag von18i7 war noch nicht so staatsmännisch, er verwarf ohne weiteres
die meisten der von der Regierung geforderten Bewilligungen; was die Re¬
gierung infolge dessen thun wird, das geht die Kammer nichts an, dasür hat
sie keine Verantwortung zu tragen, das muß sie der Regierung überlassen.
Auf verfassungsmäßigen Wege kann nichts Anderes daraus hervorgehen, als
die Auflösung dieser Kaminer und die Einberufung einer neuen.

Wenn die Opposition der preußischen Kammern die Popularität im Lande,
die sie zum Theil ohne ihre Schuld eingebüßt, wiedergewinnen will, so kann
sie das nur, wenn sie ihre Abstimmungen lediglich nach Pflicht und Gewissen
einrichtet und die staatsmännischen Bedenken den Staatsmännern von Pro¬
fession überläßt. Sie kann in ihren Ueberzeugungen irren, denn welcher
Sterbliche wollte die absolute Wahrheit sür sich in Anspruch nehmen, aber sie hat
nach ihren Ueberzeugungen zu handeln und den Ausgang Gott zu überlassen. —

Noch einen Zwischenfall haben wir hier zu erwähnen, der in seiner Art
in der Geschichte der Diplomatie vielleicht einzig dasteht.

Die Zeitungen berichteten, der preußische Bundestagsgesandte, Herr von
Bismark-Schönhausen habe sich dahin ausgesprochen, daß die Verträge zwi¬
schen Oestreich und Preußen nicht allein gegen Rußland, sondern auch gegen
die Westmächte gerichtet seien und daß cbendaraus die Nothwendigkeit hervor¬
gehe, auch gegen Frankreich die Bundesfestungen zu armiren.

Nachdem darüber eine ziemliche Aufregung entstanden war, erklärt der
Moniteur, die preußische Regierung habe ihren Gesandten desavouirt.


Grenzboten. II. -ILöö.
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[0041] Beschlusses folgen ließ, so war dagegen nichts einzuwenden, keinenfalls aber hatte ein solcher Act eine staatsrechtliche Bedeutung. In dieser Beziehung sind wir also mit dem Ministerpräsidenten vollkommen einverstanden. Nun findet man zwar alle möglichen Gründe, einen vermittelnden Weg zu beschönigen, z. B. man hofft die Majorität zu gewinnen. Wenn so etwas gelingt, so kann man weiter darüber sprechen, aber das Mißlingen, welches man noch dazu ziemlich leicht voraussehen konnte, ist in solchen Fällen zu¬ gleich die absolute Verurtheilung einer Politik der Umstände und Intriguen. Wir halten es für nöthig, diese dem Anschein nach abgethane Sache noch einmal hervorzuheben, weil ein großer Theil der Opposition noch immer¬ fort den Umständen Rechnung trägt, um den officiellen Ausdruck zu gebrau¬ chen, weil er bei jedem Beschluß sich fragt: was werden für Folgen daraus hervorgehen? Unter gewissen Umständen hat diese Transactionspolitik ihre Berechtigung, nicht .jetzt, wo der Conflict der verschiedenen Ansichten eine vollkommen greifbare Gestalt gewonnen hat und wo es sich darum handelt, seine eigne Verantwortlichkeit vor dem Lande und vor seinem Gewissen zu decken. Man fragt immer: was wird daraus entstehen, wenn z.B. die Kam¬ mern eine von der Regierung geforderte Anleihe verwerfen? Der vereinigte Landtag von18i7 war noch nicht so staatsmännisch, er verwarf ohne weiteres die meisten der von der Regierung geforderten Bewilligungen; was die Re¬ gierung infolge dessen thun wird, das geht die Kammer nichts an, dasür hat sie keine Verantwortung zu tragen, das muß sie der Regierung überlassen. Auf verfassungsmäßigen Wege kann nichts Anderes daraus hervorgehen, als die Auflösung dieser Kaminer und die Einberufung einer neuen. Wenn die Opposition der preußischen Kammern die Popularität im Lande, die sie zum Theil ohne ihre Schuld eingebüßt, wiedergewinnen will, so kann sie das nur, wenn sie ihre Abstimmungen lediglich nach Pflicht und Gewissen einrichtet und die staatsmännischen Bedenken den Staatsmännern von Pro¬ fession überläßt. Sie kann in ihren Ueberzeugungen irren, denn welcher Sterbliche wollte die absolute Wahrheit sür sich in Anspruch nehmen, aber sie hat nach ihren Ueberzeugungen zu handeln und den Ausgang Gott zu überlassen. — Noch einen Zwischenfall haben wir hier zu erwähnen, der in seiner Art in der Geschichte der Diplomatie vielleicht einzig dasteht. Die Zeitungen berichteten, der preußische Bundestagsgesandte, Herr von Bismark-Schönhausen habe sich dahin ausgesprochen, daß die Verträge zwi¬ schen Oestreich und Preußen nicht allein gegen Rußland, sondern auch gegen die Westmächte gerichtet seien und daß cbendaraus die Nothwendigkeit hervor¬ gehe, auch gegen Frankreich die Bundesfestungen zu armiren. Nachdem darüber eine ziemliche Aufregung entstanden war, erklärt der Moniteur, die preußische Regierung habe ihren Gesandten desavouirt. Grenzboten. II. -ILöö.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/41>, abgerufen am 25.08.2024.