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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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schien in der letzten Zeit im Steigen und in der Eroberung begriffen zu sein,
folglich musite, sie herabzudrücken und in knappere Grenzen als früher einzri'
schränken, jetzt ein richtiger und von den neuen Zeitverhältnissen geforderter
Schritt sein. Zudem gründet die Realschule sich vorzugsweise auf die Natur¬
wissenschaften, die Naturwissenschaften fördern die Aufklärung; Grund genug,
die Naturwissenschaften und die Realschulen, auf denen sie gelehrt werden,
mit Mißgunst zu betrachten. Man würde wol noch weiter darin gehen, wenn
man nicht zu befürchten hätte , damit dem Gewerbfleiß, dem'Handel und dem
Nationalreichthum eine unheilvolle Wunde zu schlagen.

Und wie ist es mit der Stellung der Lehrer geworden? Laut genug war
im Jahre 1848 ihr Schrei nach Verbesserung, so daß man fast nach der Induc-
tion, die sich aus den bisher mitgetheilten Verwaltungsmaßregeln ziehen läßt,
schließen könnte, man hätte eine Verschlechterung versucht, die übrigens, auch
ohne Zuthun der Behörden bei jedem festen Gehalt durch das Fallen des
Geldwerths von selbst eintritt. Sie ist nicht versucht worden; es war eine
Möglichkeit nicht da. Und doch! Und hier ist zugleich ein Fall, wo die Be¬
hörde bereitwillig auf die Wünsche der Lehrer eingegangen ist. Sie verlangten
die Rechte und die Pflichten der Staatsbürger zu theilen und namentlich,
nach vorhergegangener Erhöhung ihres Gehalts, die Abgaben mit entrichten zu
dürfen. Man hat ihren Gehalt zwar nicht erhöht, aber die Abgaben bezahlen
sie, nur daß man die städtischen Elementarlehrer von der Miethssteuer befreien
zu müssen geglaubt hat. Als ob die Lehrer der höhern Unterrichtsanstalten
besser daran wären! Von ihrer Lage sprechen am besten statistische Berech¬
nungen. Vor 12 Jahren hielt der geheime Medicinalrath Kasper in der
Singakademie einen Vortrag über die Mortalität der verschiedenen Stände.
Mit Ausnahme der Aerzte, deren große Sterblichkeit der Vortragende, der als
Arzt ein sicheres Urtheil darüber haben muß, auf die Aufregungen der Praris,
auf die Ansteckung des Krankenbettes und auf die Uebertreibung der Tafel¬
freuden schob, zeigte sich die größte Mortalität unter den Lehrern höherer Un¬
terrichtsanstalten; die Elementarlehrer kamen in dieser Hinsichr noch ziemlich
gut fort. Ein ehemaliger Oberpräsident einer Provinz pflegte mit Beziehung
ans die Lehrer zu sagen: Wenn die Vögel fett werden, singen sie nicht. Man
hat sie mager genug gelassen und doch wenig Jubellieder gehört. Der Fall
wird so leicht nicht vorgekommen sein, daß ein Lehrer aus Uebertreibung der
Tafelfreuden eines frühzeitigen Todes gestorben ist. In allen andern Dingen
gilt es für ein Zeichen staatsmännischer Einsicht, die Geldfrage in den Vorder¬
grund zu stellen: man weiß, mit welcher Zähigkeit die Kirche an ihrem Besitz
festhält, und wie wenig blöde ihre Vertreter sind, die Wahrung ihrer irdischen
Güter offen zur Schau zu tragen; -- nur die Lehrer sind immer noch zu
sehr auf das himmlische Papiergeld angewiesen. Der Lehrer, der demüthig den


schien in der letzten Zeit im Steigen und in der Eroberung begriffen zu sein,
folglich musite, sie herabzudrücken und in knappere Grenzen als früher einzri'
schränken, jetzt ein richtiger und von den neuen Zeitverhältnissen geforderter
Schritt sein. Zudem gründet die Realschule sich vorzugsweise auf die Natur¬
wissenschaften, die Naturwissenschaften fördern die Aufklärung; Grund genug,
die Naturwissenschaften und die Realschulen, auf denen sie gelehrt werden,
mit Mißgunst zu betrachten. Man würde wol noch weiter darin gehen, wenn
man nicht zu befürchten hätte , damit dem Gewerbfleiß, dem'Handel und dem
Nationalreichthum eine unheilvolle Wunde zu schlagen.

Und wie ist es mit der Stellung der Lehrer geworden? Laut genug war
im Jahre 1848 ihr Schrei nach Verbesserung, so daß man fast nach der Induc-
tion, die sich aus den bisher mitgetheilten Verwaltungsmaßregeln ziehen läßt,
schließen könnte, man hätte eine Verschlechterung versucht, die übrigens, auch
ohne Zuthun der Behörden bei jedem festen Gehalt durch das Fallen des
Geldwerths von selbst eintritt. Sie ist nicht versucht worden; es war eine
Möglichkeit nicht da. Und doch! Und hier ist zugleich ein Fall, wo die Be¬
hörde bereitwillig auf die Wünsche der Lehrer eingegangen ist. Sie verlangten
die Rechte und die Pflichten der Staatsbürger zu theilen und namentlich,
nach vorhergegangener Erhöhung ihres Gehalts, die Abgaben mit entrichten zu
dürfen. Man hat ihren Gehalt zwar nicht erhöht, aber die Abgaben bezahlen
sie, nur daß man die städtischen Elementarlehrer von der Miethssteuer befreien
zu müssen geglaubt hat. Als ob die Lehrer der höhern Unterrichtsanstalten
besser daran wären! Von ihrer Lage sprechen am besten statistische Berech¬
nungen. Vor 12 Jahren hielt der geheime Medicinalrath Kasper in der
Singakademie einen Vortrag über die Mortalität der verschiedenen Stände.
Mit Ausnahme der Aerzte, deren große Sterblichkeit der Vortragende, der als
Arzt ein sicheres Urtheil darüber haben muß, auf die Aufregungen der Praris,
auf die Ansteckung des Krankenbettes und auf die Uebertreibung der Tafel¬
freuden schob, zeigte sich die größte Mortalität unter den Lehrern höherer Un¬
terrichtsanstalten; die Elementarlehrer kamen in dieser Hinsichr noch ziemlich
gut fort. Ein ehemaliger Oberpräsident einer Provinz pflegte mit Beziehung
ans die Lehrer zu sagen: Wenn die Vögel fett werden, singen sie nicht. Man
hat sie mager genug gelassen und doch wenig Jubellieder gehört. Der Fall
wird so leicht nicht vorgekommen sein, daß ein Lehrer aus Uebertreibung der
Tafelfreuden eines frühzeitigen Todes gestorben ist. In allen andern Dingen
gilt es für ein Zeichen staatsmännischer Einsicht, die Geldfrage in den Vorder¬
grund zu stellen: man weiß, mit welcher Zähigkeit die Kirche an ihrem Besitz
festhält, und wie wenig blöde ihre Vertreter sind, die Wahrung ihrer irdischen
Güter offen zur Schau zu tragen; — nur die Lehrer sind immer noch zu
sehr auf das himmlische Papiergeld angewiesen. Der Lehrer, der demüthig den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/381>, abgerufen am 01.07.2024.