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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Die Elementarschule in Preußen.

Wer die Schule hat, dem gehört die Zukunft. Seitdem dieser Satz auf¬
gestellt worden ist, -- und es ist schon ziemlich lange her, -- hat man ihn
noch nie so gut verstanden, nie so durchgreifend in Anwendung gesetzt, als eS
jetzt in Preußen geschieht. Man begreift die jetzigen Vorgänge dort am besten,
wenn man sie als Reaction gegen frühere, theiüveise höchst unklare und ver¬
kehrte Bestrebungen auffaßt. .

Die im Jahre 1858 allorts in Deutschland zusammentretender Lehrerver¬
sammlungen verschollenen Andenkens forderten unter andern: hier und da eine
gründliche wissenschaftliche Vorbildung, thörichterweise nicht selten sogar ein
Universitütstriennium für den Dorfschullehrer; sie verlangten die Eröffnung der
Universität, wenigstens zum Studium gewisser Fächer, für die Abiturienten der
Realschulen; eine nationale Bildung im Anschluß an die Nationalliteratur und
vor allen Dingen Verbesserung der Lage der Lehrer. Die im Lehrfach und für
den Lehrstand beantragten Veränderungen riefen eine Agitation für sich hervor.
Zuletzt wurden, wie die Zeitungen damals berichteten, die einzelnen Lehrer¬
kollegien sogar amtlich aufgefordert, nach vorgängiger Berathung ihre Wünsche
den Behörden schriftlich einzureichen. Jene Bestrebungen hat der rückwärtsflutende
Strom der Zeit spurlos hinweggespült; auf diese schriftlich eingereichten Wünsche
hat die Behörde keine Antwort ertheilt; -- wenn man nicht die in der
letzten Zeit erlassenen Verordnungen als ihre Antwort ansehen will.

Die Behörde hat nämlich im Ganzen sich darauf beschränkt, grade das
Gegentheil von den damals entweder allgemein ausgesprochenen oder einzeln
auftauchenden Wünschen und Bestrebungen zu thun. Nicht zufrieden damit,
alle jene Wünsche und Bestrebungen für ungerechtfertigt zu erklären, fühlte
sie sich aufgefordert, auch den Zustand zu ändern, aus dem sie hervorgehen
konnten. Die wichtigsten hier einschlagenden Verordnungen des Ministeriums,
welche ein allgemeines Interesse beanspruchen, sind' die sogenannten Regulative
Vom 1-, 2>, 3- Oetober l8si> über die Vorbildung der Lehrer in den Semi¬
narien, über die Präparandcnanstalten, über den Unterricht in der Volks¬
schule.

Es kann mir nicht einfallen wollen, hier in die Einzelnheiten dieser Ver¬
ordnungen eingehen zu wollen; sie sind in einer besondern Schrift vor kurzem
veröffentlicht, zum Theil in den Zeitungen bekannt gemacht worden, man hat
sie mehrfach besprochen und ausgeführt; hier und da angegriffen und noch
öfter gepriesen; -- aber, was noch nicht geschehen ist, -- sie lassen sich mit
andern Verordnungen leicht unter jenen allgemeinen, schnell in die Augen
springenden Gesichtspunkt bringen, daß sie das Entgegengesetzte von dem be-


Die Elementarschule in Preußen.

Wer die Schule hat, dem gehört die Zukunft. Seitdem dieser Satz auf¬
gestellt worden ist, — und es ist schon ziemlich lange her, — hat man ihn
noch nie so gut verstanden, nie so durchgreifend in Anwendung gesetzt, als eS
jetzt in Preußen geschieht. Man begreift die jetzigen Vorgänge dort am besten,
wenn man sie als Reaction gegen frühere, theiüveise höchst unklare und ver¬
kehrte Bestrebungen auffaßt. .

Die im Jahre 1858 allorts in Deutschland zusammentretender Lehrerver¬
sammlungen verschollenen Andenkens forderten unter andern: hier und da eine
gründliche wissenschaftliche Vorbildung, thörichterweise nicht selten sogar ein
Universitütstriennium für den Dorfschullehrer; sie verlangten die Eröffnung der
Universität, wenigstens zum Studium gewisser Fächer, für die Abiturienten der
Realschulen; eine nationale Bildung im Anschluß an die Nationalliteratur und
vor allen Dingen Verbesserung der Lage der Lehrer. Die im Lehrfach und für
den Lehrstand beantragten Veränderungen riefen eine Agitation für sich hervor.
Zuletzt wurden, wie die Zeitungen damals berichteten, die einzelnen Lehrer¬
kollegien sogar amtlich aufgefordert, nach vorgängiger Berathung ihre Wünsche
den Behörden schriftlich einzureichen. Jene Bestrebungen hat der rückwärtsflutende
Strom der Zeit spurlos hinweggespült; auf diese schriftlich eingereichten Wünsche
hat die Behörde keine Antwort ertheilt; — wenn man nicht die in der
letzten Zeit erlassenen Verordnungen als ihre Antwort ansehen will.

Die Behörde hat nämlich im Ganzen sich darauf beschränkt, grade das
Gegentheil von den damals entweder allgemein ausgesprochenen oder einzeln
auftauchenden Wünschen und Bestrebungen zu thun. Nicht zufrieden damit,
alle jene Wünsche und Bestrebungen für ungerechtfertigt zu erklären, fühlte
sie sich aufgefordert, auch den Zustand zu ändern, aus dem sie hervorgehen
konnten. Die wichtigsten hier einschlagenden Verordnungen des Ministeriums,
welche ein allgemeines Interesse beanspruchen, sind' die sogenannten Regulative
Vom 1-, 2>, 3- Oetober l8si> über die Vorbildung der Lehrer in den Semi¬
narien, über die Präparandcnanstalten, über den Unterricht in der Volks¬
schule.

Es kann mir nicht einfallen wollen, hier in die Einzelnheiten dieser Ver¬
ordnungen eingehen zu wollen; sie sind in einer besondern Schrift vor kurzem
veröffentlicht, zum Theil in den Zeitungen bekannt gemacht worden, man hat
sie mehrfach besprochen und ausgeführt; hier und da angegriffen und noch
öfter gepriesen; — aber, was noch nicht geschehen ist, — sie lassen sich mit
andern Verordnungen leicht unter jenen allgemeinen, schnell in die Augen
springenden Gesichtspunkt bringen, daß sie das Entgegengesetzte von dem be-


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[0375] Die Elementarschule in Preußen. Wer die Schule hat, dem gehört die Zukunft. Seitdem dieser Satz auf¬ gestellt worden ist, — und es ist schon ziemlich lange her, — hat man ihn noch nie so gut verstanden, nie so durchgreifend in Anwendung gesetzt, als eS jetzt in Preußen geschieht. Man begreift die jetzigen Vorgänge dort am besten, wenn man sie als Reaction gegen frühere, theiüveise höchst unklare und ver¬ kehrte Bestrebungen auffaßt. . Die im Jahre 1858 allorts in Deutschland zusammentretender Lehrerver¬ sammlungen verschollenen Andenkens forderten unter andern: hier und da eine gründliche wissenschaftliche Vorbildung, thörichterweise nicht selten sogar ein Universitütstriennium für den Dorfschullehrer; sie verlangten die Eröffnung der Universität, wenigstens zum Studium gewisser Fächer, für die Abiturienten der Realschulen; eine nationale Bildung im Anschluß an die Nationalliteratur und vor allen Dingen Verbesserung der Lage der Lehrer. Die im Lehrfach und für den Lehrstand beantragten Veränderungen riefen eine Agitation für sich hervor. Zuletzt wurden, wie die Zeitungen damals berichteten, die einzelnen Lehrer¬ kollegien sogar amtlich aufgefordert, nach vorgängiger Berathung ihre Wünsche den Behörden schriftlich einzureichen. Jene Bestrebungen hat der rückwärtsflutende Strom der Zeit spurlos hinweggespült; auf diese schriftlich eingereichten Wünsche hat die Behörde keine Antwort ertheilt; — wenn man nicht die in der letzten Zeit erlassenen Verordnungen als ihre Antwort ansehen will. Die Behörde hat nämlich im Ganzen sich darauf beschränkt, grade das Gegentheil von den damals entweder allgemein ausgesprochenen oder einzeln auftauchenden Wünschen und Bestrebungen zu thun. Nicht zufrieden damit, alle jene Wünsche und Bestrebungen für ungerechtfertigt zu erklären, fühlte sie sich aufgefordert, auch den Zustand zu ändern, aus dem sie hervorgehen konnten. Die wichtigsten hier einschlagenden Verordnungen des Ministeriums, welche ein allgemeines Interesse beanspruchen, sind' die sogenannten Regulative Vom 1-, 2>, 3- Oetober l8si> über die Vorbildung der Lehrer in den Semi¬ narien, über die Präparandcnanstalten, über den Unterricht in der Volks¬ schule. Es kann mir nicht einfallen wollen, hier in die Einzelnheiten dieser Ver¬ ordnungen eingehen zu wollen; sie sind in einer besondern Schrift vor kurzem veröffentlicht, zum Theil in den Zeitungen bekannt gemacht worden, man hat sie mehrfach besprochen und ausgeführt; hier und da angegriffen und noch öfter gepriesen; — aber, was noch nicht geschehen ist, — sie lassen sich mit andern Verordnungen leicht unter jenen allgemeinen, schnell in die Augen springenden Gesichtspunkt bringen, daß sie das Entgegengesetzte von dem be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/375>, abgerufen am 03.07.2024.