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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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haben glaubt, ist, daß wir in jenen Verbesserungen etwas Andres haben, als
bloße Conjecturen, daß sie vielmehr von bestimmten Quellen ausgingen;
wenigstens hält er es nur in dem Fall für möglich, wenn der alte Corrector
ein mit positiven Kenntnissen ausgerüsteter Gelehrter und eminenter Kritiker
war, der seine Hypothese eines durchweg verderbten Tertes mit großer Sicher¬
heit, Kühnheit und Genialität aus denselben anwandte, dabei die alten
Ausgaben nicht unberücksichtigt ließ, sowie von durchaus richtigen historischen
Voraussetzungen in Betreff der Anwendung des Reimes ausging. Dieser
Kritiker mußte ferner eine sehr tiefe Einsicht in die Poesie des Dichters und
eine lebendige Anschauung von dem Ausführen der Shakespeareschen Dramen,
sowie von dem alten Bühnenwesen überhaupt gehabt haben; besonders aber
bedürfte er, um einiges Positive wissen zu können, der Erinnerung, so daß, da
er selbst alterrhümliche Schrift und Orthographie zeigt, er wol gar ein Zeit¬
genosse des Dichters gewesen sein könnte; oder er war ein sorgfältiger Ab¬
schreiber, der vermuthlich auf die Anweisung einer Schauspielergesellschast, die
in den Besitz der der ersten Folioausgabe zu Grunde liegenden Handschriften
gelangt war, aus denselben in ein gedrucktes Eremplar viele Abweichungen
mit der größten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit übertrug, vielleicht um dadurch
ein bequemeres und lesbareres Eremplar zum Einstudiren und Svuffliren her¬
zustellen, vielleicht um für ein andres Theater einen authentischen Tert zu
gewinnen. Dies war eine Arbeit, die nicht nur große Ausdauer und lange
Zeit erforderte, sondern auch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte,
wenn die Manuscripte zerrissen, beschmuzt, unleserlich, durchcorrigirt und mit
Nachträgen versehen waren, wie dies bei ihrem Alter und ihrer Vielfachen Be¬
nutzung zu Bühnenzwecken vorauszusetzen ist.

Sich für die eine oder die andre dieser Ansichten endgiltig zu entscheiden,
nimmt der Verfasser Anstand, weil dazu eine sorgfältige Untersuchung an Ort
und Stelle, vor allen Dingen eine Einsicht in das Manuscript und eine
Vergleichung der Handschriften nothwendig ist. Doch stellt der H. 25-1 eine
scharfsinnige Hypothese auf.

Mit diesen historischen Angaben müssen wir uns hier begnügen, denn zu
einer gelehrten und ins Einzelne eingehenden Kritik, die allein einer so ge¬
wissenhaften Arbeit gerecht werden könnte, ist hier der Ort nicht. Der Verfasser
hat alle Materialien zusammengebracht, Damit jeder Einzelne, der sich zu einer
gelehrten Untersuchung der Sache berufen glaubt, sich selbst sein Urtheil bilden
kann und für andre ist das Werk nicht geschrieben. Noch machen wir darauf
aufmerksam, daß sich zur Vergleichung dieser Bearbeitung der Ergänzungsband
zu Shakespeare von Frese empfiehlt (Berlin, Franz Duncker) sowie als geist¬
volle Darstellung der entgegengesetzten Ansicht die kleine Schrift von Delius
(Bonn, König). -- Herr Mommsen benachrichtigt uns davon, daß er bei der


haben glaubt, ist, daß wir in jenen Verbesserungen etwas Andres haben, als
bloße Conjecturen, daß sie vielmehr von bestimmten Quellen ausgingen;
wenigstens hält er es nur in dem Fall für möglich, wenn der alte Corrector
ein mit positiven Kenntnissen ausgerüsteter Gelehrter und eminenter Kritiker
war, der seine Hypothese eines durchweg verderbten Tertes mit großer Sicher¬
heit, Kühnheit und Genialität aus denselben anwandte, dabei die alten
Ausgaben nicht unberücksichtigt ließ, sowie von durchaus richtigen historischen
Voraussetzungen in Betreff der Anwendung des Reimes ausging. Dieser
Kritiker mußte ferner eine sehr tiefe Einsicht in die Poesie des Dichters und
eine lebendige Anschauung von dem Ausführen der Shakespeareschen Dramen,
sowie von dem alten Bühnenwesen überhaupt gehabt haben; besonders aber
bedürfte er, um einiges Positive wissen zu können, der Erinnerung, so daß, da
er selbst alterrhümliche Schrift und Orthographie zeigt, er wol gar ein Zeit¬
genosse des Dichters gewesen sein könnte; oder er war ein sorgfältiger Ab¬
schreiber, der vermuthlich auf die Anweisung einer Schauspielergesellschast, die
in den Besitz der der ersten Folioausgabe zu Grunde liegenden Handschriften
gelangt war, aus denselben in ein gedrucktes Eremplar viele Abweichungen
mit der größten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit übertrug, vielleicht um dadurch
ein bequemeres und lesbareres Eremplar zum Einstudiren und Svuffliren her¬
zustellen, vielleicht um für ein andres Theater einen authentischen Tert zu
gewinnen. Dies war eine Arbeit, die nicht nur große Ausdauer und lange
Zeit erforderte, sondern auch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte,
wenn die Manuscripte zerrissen, beschmuzt, unleserlich, durchcorrigirt und mit
Nachträgen versehen waren, wie dies bei ihrem Alter und ihrer Vielfachen Be¬
nutzung zu Bühnenzwecken vorauszusetzen ist.

Sich für die eine oder die andre dieser Ansichten endgiltig zu entscheiden,
nimmt der Verfasser Anstand, weil dazu eine sorgfältige Untersuchung an Ort
und Stelle, vor allen Dingen eine Einsicht in das Manuscript und eine
Vergleichung der Handschriften nothwendig ist. Doch stellt der H. 25-1 eine
scharfsinnige Hypothese auf.

Mit diesen historischen Angaben müssen wir uns hier begnügen, denn zu
einer gelehrten und ins Einzelne eingehenden Kritik, die allein einer so ge¬
wissenhaften Arbeit gerecht werden könnte, ist hier der Ort nicht. Der Verfasser
hat alle Materialien zusammengebracht, Damit jeder Einzelne, der sich zu einer
gelehrten Untersuchung der Sache berufen glaubt, sich selbst sein Urtheil bilden
kann und für andre ist das Werk nicht geschrieben. Noch machen wir darauf
aufmerksam, daß sich zur Vergleichung dieser Bearbeitung der Ergänzungsband
zu Shakespeare von Frese empfiehlt (Berlin, Franz Duncker) sowie als geist¬
volle Darstellung der entgegengesetzten Ansicht die kleine Schrift von Delius
(Bonn, König). — Herr Mommsen benachrichtigt uns davon, daß er bei der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/357>, abgerufen am 26.06.2024.