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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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ander der Herenrichter eines finstern Jahrhunderts. Sie erscheint uns als
vollständige Verrücktheit; aber selbst in diesen Erfindungen einer aus Furcht
vor den spanischen Stiefeln in Wahnwitz umgeschlagenen Phantasie findet
sich mehr als ein Körnchen Wahrheit, das wir zur Herstellung einer
richtigen Auffassung dieses Aberglaubens, des entsetzlichsten, welchen das
Christenthum in seiner Vermischung mit dem Heidenthume erzeugt hat, benutzen
können.

Es darf mit größter Bestimmtheit behauptet werden, daß die Vorstellung
von dem Thun der Heren und dem Bocke, den sie in der Walpurgisnacht ver¬
ehren, im Wesentlichen auf einer Verkehrung der Erinnerungen an die alten
Götter und der Ceremonien, mit denen man ihnen diente, beruht, wobei indeß
zugestanden werden mag, daß diese Verehrung theilweise schon in der Zeit
stattgefunden hat, wo jene Gottheiten im Bewußtsein der Masse des Volks
noch im Gegensatze gegen die Dämonenwelt standen, also nicht allein durch das
Christenthum eingetreten ist. Die Herenvcrsammlungen in der Nackt vor dem
ersten Mai wenigstens sind ganz bestimmt nichts Andres, als die Verdrehung
und Verdüsterung der Gebräuche, welche im Vorigen als Neste des heidnischen
Frühlingsempfanges dargestellt wurden. Man kommt des Nachts zusammen
und siehe, die Feste des deutschen Alterthums scheinen sämmtlich nächtliche
gewesen zu sein. Man schmaust Pferdefleisch, trinkt aus Noßköpfen, bedient
sich ihrer zu Musikinstrumenten und siehe, die germanischen Heiden opferten
ihren Göttern vor allem Pferde und die Neigung zum Genusse des Fleisches
dieser Thiere ward den Bekehrten lange noch als heimliche Sünde nachgesagt.
Der Satan wählt sich eine Genossin unter den versammelten Weibern, ganz
so wie der Maikönig sich eine Maikönigin wählt. Man tanzt, und buhlt und
siehe, die heidnischen Feste der Germanen waren -- und sind in ihren Resten
noch jetzt -- allenthalben von Reigen begleitet, die, ursprünglich feierlicher Art,
bald nach Einführung des Christenthums in bachantische Ausgelassenheit, tollen
Taumel und wilde Unzucht umschlugen. Die Pferdefuße des Teufels können
(ganz so wie die Gänsefüße an ihr Attribut, die Gans oder den Schwan) an die
Füße von Wuotans Rosse, der eine Schuh an seine Gemahlin mahnen, welche
an einem Fuße lahm war. Die Bocksgestalt des Satan dagegen mag eine Er¬
innerung an Donar sein, dessen Wagen von Böcken gezogen wurde. Häufig
flössen die Gestalten mehrer Götter im Angedenken der Menschen späterer
Jahrhunderte, die ihre Namen vergessen, zusammen und ebenso häufig wurden,
wie schon bemerkt, ihre Attribute im Laufe der Zeit zu Gliedern, ja der Gott
selbst zu dem Thiere, das einst sein Begleiter war. Ebenso ferner verschmolzen,
wie oft zu beobachten, verschiedene Ceremonien in eine einzige und so stehen
wir nicht an, in dem Verbrennen des großen Böckh das Verbrennen deS
Winters oder Todes und in der Asche, die zu Zwecken der schwarzen Magie


ander der Herenrichter eines finstern Jahrhunderts. Sie erscheint uns als
vollständige Verrücktheit; aber selbst in diesen Erfindungen einer aus Furcht
vor den spanischen Stiefeln in Wahnwitz umgeschlagenen Phantasie findet
sich mehr als ein Körnchen Wahrheit, das wir zur Herstellung einer
richtigen Auffassung dieses Aberglaubens, des entsetzlichsten, welchen das
Christenthum in seiner Vermischung mit dem Heidenthume erzeugt hat, benutzen
können.

Es darf mit größter Bestimmtheit behauptet werden, daß die Vorstellung
von dem Thun der Heren und dem Bocke, den sie in der Walpurgisnacht ver¬
ehren, im Wesentlichen auf einer Verkehrung der Erinnerungen an die alten
Götter und der Ceremonien, mit denen man ihnen diente, beruht, wobei indeß
zugestanden werden mag, daß diese Verehrung theilweise schon in der Zeit
stattgefunden hat, wo jene Gottheiten im Bewußtsein der Masse des Volks
noch im Gegensatze gegen die Dämonenwelt standen, also nicht allein durch das
Christenthum eingetreten ist. Die Herenvcrsammlungen in der Nackt vor dem
ersten Mai wenigstens sind ganz bestimmt nichts Andres, als die Verdrehung
und Verdüsterung der Gebräuche, welche im Vorigen als Neste des heidnischen
Frühlingsempfanges dargestellt wurden. Man kommt des Nachts zusammen
und siehe, die Feste des deutschen Alterthums scheinen sämmtlich nächtliche
gewesen zu sein. Man schmaust Pferdefleisch, trinkt aus Noßköpfen, bedient
sich ihrer zu Musikinstrumenten und siehe, die germanischen Heiden opferten
ihren Göttern vor allem Pferde und die Neigung zum Genusse des Fleisches
dieser Thiere ward den Bekehrten lange noch als heimliche Sünde nachgesagt.
Der Satan wählt sich eine Genossin unter den versammelten Weibern, ganz
so wie der Maikönig sich eine Maikönigin wählt. Man tanzt, und buhlt und
siehe, die heidnischen Feste der Germanen waren — und sind in ihren Resten
noch jetzt — allenthalben von Reigen begleitet, die, ursprünglich feierlicher Art,
bald nach Einführung des Christenthums in bachantische Ausgelassenheit, tollen
Taumel und wilde Unzucht umschlugen. Die Pferdefuße des Teufels können
(ganz so wie die Gänsefüße an ihr Attribut, die Gans oder den Schwan) an die
Füße von Wuotans Rosse, der eine Schuh an seine Gemahlin mahnen, welche
an einem Fuße lahm war. Die Bocksgestalt des Satan dagegen mag eine Er¬
innerung an Donar sein, dessen Wagen von Böcken gezogen wurde. Häufig
flössen die Gestalten mehrer Götter im Angedenken der Menschen späterer
Jahrhunderte, die ihre Namen vergessen, zusammen und ebenso häufig wurden,
wie schon bemerkt, ihre Attribute im Laufe der Zeit zu Gliedern, ja der Gott
selbst zu dem Thiere, das einst sein Begleiter war. Ebenso ferner verschmolzen,
wie oft zu beobachten, verschiedene Ceremonien in eine einzige und so stehen
wir nicht an, in dem Verbrennen des großen Böckh das Verbrennen deS
Winters oder Todes und in der Asche, die zu Zwecken der schwarzen Magie


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[0338] ander der Herenrichter eines finstern Jahrhunderts. Sie erscheint uns als vollständige Verrücktheit; aber selbst in diesen Erfindungen einer aus Furcht vor den spanischen Stiefeln in Wahnwitz umgeschlagenen Phantasie findet sich mehr als ein Körnchen Wahrheit, das wir zur Herstellung einer richtigen Auffassung dieses Aberglaubens, des entsetzlichsten, welchen das Christenthum in seiner Vermischung mit dem Heidenthume erzeugt hat, benutzen können. Es darf mit größter Bestimmtheit behauptet werden, daß die Vorstellung von dem Thun der Heren und dem Bocke, den sie in der Walpurgisnacht ver¬ ehren, im Wesentlichen auf einer Verkehrung der Erinnerungen an die alten Götter und der Ceremonien, mit denen man ihnen diente, beruht, wobei indeß zugestanden werden mag, daß diese Verehrung theilweise schon in der Zeit stattgefunden hat, wo jene Gottheiten im Bewußtsein der Masse des Volks noch im Gegensatze gegen die Dämonenwelt standen, also nicht allein durch das Christenthum eingetreten ist. Die Herenvcrsammlungen in der Nackt vor dem ersten Mai wenigstens sind ganz bestimmt nichts Andres, als die Verdrehung und Verdüsterung der Gebräuche, welche im Vorigen als Neste des heidnischen Frühlingsempfanges dargestellt wurden. Man kommt des Nachts zusammen und siehe, die Feste des deutschen Alterthums scheinen sämmtlich nächtliche gewesen zu sein. Man schmaust Pferdefleisch, trinkt aus Noßköpfen, bedient sich ihrer zu Musikinstrumenten und siehe, die germanischen Heiden opferten ihren Göttern vor allem Pferde und die Neigung zum Genusse des Fleisches dieser Thiere ward den Bekehrten lange noch als heimliche Sünde nachgesagt. Der Satan wählt sich eine Genossin unter den versammelten Weibern, ganz so wie der Maikönig sich eine Maikönigin wählt. Man tanzt, und buhlt und siehe, die heidnischen Feste der Germanen waren — und sind in ihren Resten noch jetzt — allenthalben von Reigen begleitet, die, ursprünglich feierlicher Art, bald nach Einführung des Christenthums in bachantische Ausgelassenheit, tollen Taumel und wilde Unzucht umschlugen. Die Pferdefuße des Teufels können (ganz so wie die Gänsefüße an ihr Attribut, die Gans oder den Schwan) an die Füße von Wuotans Rosse, der eine Schuh an seine Gemahlin mahnen, welche an einem Fuße lahm war. Die Bocksgestalt des Satan dagegen mag eine Er¬ innerung an Donar sein, dessen Wagen von Böcken gezogen wurde. Häufig flössen die Gestalten mehrer Götter im Angedenken der Menschen späterer Jahrhunderte, die ihre Namen vergessen, zusammen und ebenso häufig wurden, wie schon bemerkt, ihre Attribute im Laufe der Zeit zu Gliedern, ja der Gott selbst zu dem Thiere, das einst sein Begleiter war. Ebenso ferner verschmolzen, wie oft zu beobachten, verschiedene Ceremonien in eine einzige und so stehen wir nicht an, in dem Verbrennen des großen Böckh das Verbrennen deS Winters oder Todes und in der Asche, die zu Zwecken der schwarzen Magie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/338>, abgerufen am 03.07.2024.