Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.ihm zugetheilt war. Junge Leute von unsauberen Wandel fürchteten dabei zu Hier sehen wir die Sitte der Maigrafen, die, wie nachträglich bemerkt ihm zugetheilt war. Junge Leute von unsauberen Wandel fürchteten dabei zu Hier sehen wir die Sitte der Maigrafen, die, wie nachträglich bemerkt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99719"/> <p xml:id="ID_1133" prev="#ID_1132"> ihm zugetheilt war. Junge Leute von unsauberen Wandel fürchteten dabei zu<lb/> erscheinen, da ihre Schande unbarmherzig bekannt gemacht wurde. Mädchen<lb/> unlauteren Rufs wurden niemandem zugetheilt, sondern Ihre Gestrengen, die<lb/> Maigrafen, fällten über sie den Spruch, daß man ihnen Häckerling vor die<lb/> Thür streue oder einen Kirschbaumast stecke oder aber einen Strohmann vor<lb/> dem Hause aufrichte. Ferner entschied das Gericht der Maigrasen, welchen<lb/> Jungfer» der ehrende Maibaum vor die Thür zu stellen sei. Damit wurde<lb/> sofort begonnen, und zwar verwendete man dazu gewöhnlich eine Linde, die<lb/> man mit gefärbten oder vergoldeten Eiern, mit Blumen und Bändern anputzte.<lb/> Je größer der Baum, desto mehr der Ehre. Am Maimorgen ging jeder Bursche<lb/> zu dem ihm am Abend zuvor beschiedenen Mädchen, brachte Spruch und Gruß<lb/> und empfing zum Danke einen frischen Maiblumenstrauß. Zur Maikönigin<lb/> gingen alle miteinander mit Gesang, krönten und schmückten sie mit Blumen<lb/> und bezeugten durch Lieder und Sprüche ihre Unterthänigkeit. Der Tag war<lb/> eines der schönsten Fi ste im ganzen Jahre. Sogar die Kirche feierte ihn. Der<lb/> Küster ahmte mit der Orgej den Kukuk nach und der Pfarrer wählte passende<lb/> Lieder aus. Noch vor fünfzig Jahren sang man aus dem Buche „die Tochter<lb/> Zion" eine Stelle aus dem Hohenlied Salomonis: „Komm meine Freundin,<lb/> meine Taube." Nachmittags begann der Tanz unter der Dorflinde. Jeder<lb/> Bursche holte sich seine Tänzerin aus deren Hause ab, wohin er sie bis zum<lb/> Einbruch der Dunkelheit zurückgebracht haben mußte. Das war Mairecht, aus<lb/> dessen Beobachtung von. den Maigrafen mit Strenge gehalten wurde. Das<lb/> Mädchen aber, das dem Burschen zugetheilt worden, behielt er das ganze Jahr<lb/> bis zum nächsten Maiabende und hatte es zum Johannis- und Kirmesreigen,<lb/> zum Vogelschießfeste und zum Schwingtage zu führen und davon heim zu geleiten.<lb/> Das Maikönigspaar hatte überall den Vortritt beim Tanze, und der König<lb/> mit seinen Grafen schlichtete alle Zwiste in Liebesangelegenheiten und leitete<lb/> auch die übrigen Volksfeste.</p><lb/> <p xml:id="ID_1134" next="#ID_1135"> Hier sehen wir die Sitte der Maigrafen, die, wie nachträglich bemerkt<lb/> wird, auch in verschiedenen Kirchspielen Holsteins noch vorkommt, mit >dem<lb/> Setzen des Maibaumes in Verbindung gebracht. Anderwärts tritt letzterer<lb/> Gebrauch für sich allein auf. Vor Zeiten wurde auf der Grenze der Mar¬<lb/> kungen Bräunisheim und Schalkstetten im Sackenthal auf dem Platze Bah», der<lb/> zugleich ein Freiplatz d. h. ein altes Heiligthum war, alljährlich am ersten Mai<lb/> ein Tanz gehalten. An demselben Tage wird noch jetzt in Unterkochen eine große<lb/> Tanne ins Dorf geholt, mit Bändern geschmückt und eingepflanzt. Dann<lb/> tanzen die Burschen und Dirnen um den Baum, und derselbe wird das ganze<lb/> Jahr hindurch stehen gelassen, bis er durch einen frischen ersetzt wird. Die<lb/> Krone des Baumes ist mit bunten Tüchern und Bändern behängen, welche<lb/> als Preis den besten Kletterern zufallen. Unter Musik und Jubelgeschrei kreist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0333]
ihm zugetheilt war. Junge Leute von unsauberen Wandel fürchteten dabei zu
erscheinen, da ihre Schande unbarmherzig bekannt gemacht wurde. Mädchen
unlauteren Rufs wurden niemandem zugetheilt, sondern Ihre Gestrengen, die
Maigrafen, fällten über sie den Spruch, daß man ihnen Häckerling vor die
Thür streue oder einen Kirschbaumast stecke oder aber einen Strohmann vor
dem Hause aufrichte. Ferner entschied das Gericht der Maigrasen, welchen
Jungfer» der ehrende Maibaum vor die Thür zu stellen sei. Damit wurde
sofort begonnen, und zwar verwendete man dazu gewöhnlich eine Linde, die
man mit gefärbten oder vergoldeten Eiern, mit Blumen und Bändern anputzte.
Je größer der Baum, desto mehr der Ehre. Am Maimorgen ging jeder Bursche
zu dem ihm am Abend zuvor beschiedenen Mädchen, brachte Spruch und Gruß
und empfing zum Danke einen frischen Maiblumenstrauß. Zur Maikönigin
gingen alle miteinander mit Gesang, krönten und schmückten sie mit Blumen
und bezeugten durch Lieder und Sprüche ihre Unterthänigkeit. Der Tag war
eines der schönsten Fi ste im ganzen Jahre. Sogar die Kirche feierte ihn. Der
Küster ahmte mit der Orgej den Kukuk nach und der Pfarrer wählte passende
Lieder aus. Noch vor fünfzig Jahren sang man aus dem Buche „die Tochter
Zion" eine Stelle aus dem Hohenlied Salomonis: „Komm meine Freundin,
meine Taube." Nachmittags begann der Tanz unter der Dorflinde. Jeder
Bursche holte sich seine Tänzerin aus deren Hause ab, wohin er sie bis zum
Einbruch der Dunkelheit zurückgebracht haben mußte. Das war Mairecht, aus
dessen Beobachtung von. den Maigrafen mit Strenge gehalten wurde. Das
Mädchen aber, das dem Burschen zugetheilt worden, behielt er das ganze Jahr
bis zum nächsten Maiabende und hatte es zum Johannis- und Kirmesreigen,
zum Vogelschießfeste und zum Schwingtage zu führen und davon heim zu geleiten.
Das Maikönigspaar hatte überall den Vortritt beim Tanze, und der König
mit seinen Grafen schlichtete alle Zwiste in Liebesangelegenheiten und leitete
auch die übrigen Volksfeste.
Hier sehen wir die Sitte der Maigrafen, die, wie nachträglich bemerkt
wird, auch in verschiedenen Kirchspielen Holsteins noch vorkommt, mit >dem
Setzen des Maibaumes in Verbindung gebracht. Anderwärts tritt letzterer
Gebrauch für sich allein auf. Vor Zeiten wurde auf der Grenze der Mar¬
kungen Bräunisheim und Schalkstetten im Sackenthal auf dem Platze Bah», der
zugleich ein Freiplatz d. h. ein altes Heiligthum war, alljährlich am ersten Mai
ein Tanz gehalten. An demselben Tage wird noch jetzt in Unterkochen eine große
Tanne ins Dorf geholt, mit Bändern geschmückt und eingepflanzt. Dann
tanzen die Burschen und Dirnen um den Baum, und derselbe wird das ganze
Jahr hindurch stehen gelassen, bis er durch einen frischen ersetzt wird. Die
Krone des Baumes ist mit bunten Tüchern und Bändern behängen, welche
als Preis den besten Kletterern zufallen. Unter Musik und Jubelgeschrei kreist
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