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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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das Lamm, behaglich breit wandelt das Rind auf der Weide. Der Kukuk
weissagt mit fernher schallendem Rufe den Kindern. Die Nachtigall flötet, in
Büschen verborgen, den Liebenden zu, daß auch sie sich des Lebens freut.
Ueberall werden des Waldes geheimnißvolle Stimmen laut, oft wehmüthig, bis¬
weilen neckisch, häufiger freudenvoll, eine wundersame Musik auch für den, der
nicht zu den Empfindsamen gehört.

Wem das sinnige Auge beschieden ist, welches all dies strotzen und Sprossen
draußen sieht, wer des Ohres sich erfreut, das diese Naturmusik vernimmt, und
deS Herzens, welches den Einklang dieses Ringens und Klingens fühlt und
die liebende Allseele herauöempfindet, die der Urborn und zugleich das Ziel
dieses reichen, ewig sich verjüngenden Lebens ist, dem ist die Zeit des wiederer¬
wachten Frühlings nicht blos eine schöne, sondern auch eine hochheilige Zeit, eine
Zeit voll göttlicher Gewalt. Vor allem mächtig wirkte die aufsprießende Maien¬
pracht auf die Geschlechter, denen ein mißverstandenes Christenthum die Natur
noch nicht zu verachten gelehrt hatte, auf die freie, fröhliche Heidenzeit nament¬
lich unsres Volkes. Eine Menge wohlerhaltner Züge des alten Cultus sind Zeuge
für die Inbrunst, womit die germanischen Stämme aller Gauen das Eintreffen
des Frühlingsgottes feierten. Diese Spuren zerfallen in zwei Reihen: in die
nur hin und wieder noch jetzt üblichen Gebräuche, mit denen man einst den
ersten Mai beging, und in die, welche noch jetzt im Süden wie im Norden
Deutschlands und andern von germanischen Völkerschaften überzognen Ländern
beobachtet werden, wenn die Tage der Pfingsten erscheinen.

Von den Volksfesten der Osterzeit erwähnen wir nur das Kampfspiel, das in
der Pfalz und in Schwaben zu Mittfasten (Lätare), am Niederrhein aber nach den
Osterfeiertagen bis in die neueste Zeit gehalten wurde. Die Bewohnerschaft zog
aus den Dörfern und kleinen Städten hinaus auf eine Wiese. Einige Burschen,,
mit Strohgeflechten bekleidet, stellten den Winter vor, an der Spitze den Winter¬
könig mit einer Strohkrone und einem hölzernen Schwerte. Andere in Laub
eingeflochten, voran der Sommerkönig mit der Blumenkvone, in Moos und
Epheu gehüllt, brachten den Frühling, den sie "hinter den Hecken schlafend ge¬
funden". Erst sangen sie in Chören aus der Ferne einander entgegen. Dann
rückten sie näher, um zu kämpfen, indem der Winter mit Häckerling und Asche,
der Sommer mit Blättern und Blumen warf. Der Sommer gewann den
Sieg. Der Winter ergriff die Flucht, wobei die ihn vorstellenden Knaben ihre
Strohkleider in einen Bach oder ein zu dem Zwecke angeschürtes Feuer warfen,
das sie jubelnd umtanzten. Dann folgten im Dorfe Schmaus und Tanz. Im
bergischen Lande, wo sich auch sonst viel Alterthümliches erhalten hat, ist dieses
sinnige Volksfest durch die Frau Großmutter Polizei abgestellt worden. Die
Liederstrophen sind aber noch nicht vergessen. Der Winter sang (nach Montanus:
die deutschen Volksfeste):*


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das Lamm, behaglich breit wandelt das Rind auf der Weide. Der Kukuk
weissagt mit fernher schallendem Rufe den Kindern. Die Nachtigall flötet, in
Büschen verborgen, den Liebenden zu, daß auch sie sich des Lebens freut.
Ueberall werden des Waldes geheimnißvolle Stimmen laut, oft wehmüthig, bis¬
weilen neckisch, häufiger freudenvoll, eine wundersame Musik auch für den, der
nicht zu den Empfindsamen gehört.

Wem das sinnige Auge beschieden ist, welches all dies strotzen und Sprossen
draußen sieht, wer des Ohres sich erfreut, das diese Naturmusik vernimmt, und
deS Herzens, welches den Einklang dieses Ringens und Klingens fühlt und
die liebende Allseele herauöempfindet, die der Urborn und zugleich das Ziel
dieses reichen, ewig sich verjüngenden Lebens ist, dem ist die Zeit des wiederer¬
wachten Frühlings nicht blos eine schöne, sondern auch eine hochheilige Zeit, eine
Zeit voll göttlicher Gewalt. Vor allem mächtig wirkte die aufsprießende Maien¬
pracht auf die Geschlechter, denen ein mißverstandenes Christenthum die Natur
noch nicht zu verachten gelehrt hatte, auf die freie, fröhliche Heidenzeit nament¬
lich unsres Volkes. Eine Menge wohlerhaltner Züge des alten Cultus sind Zeuge
für die Inbrunst, womit die germanischen Stämme aller Gauen das Eintreffen
des Frühlingsgottes feierten. Diese Spuren zerfallen in zwei Reihen: in die
nur hin und wieder noch jetzt üblichen Gebräuche, mit denen man einst den
ersten Mai beging, und in die, welche noch jetzt im Süden wie im Norden
Deutschlands und andern von germanischen Völkerschaften überzognen Ländern
beobachtet werden, wenn die Tage der Pfingsten erscheinen.

Von den Volksfesten der Osterzeit erwähnen wir nur das Kampfspiel, das in
der Pfalz und in Schwaben zu Mittfasten (Lätare), am Niederrhein aber nach den
Osterfeiertagen bis in die neueste Zeit gehalten wurde. Die Bewohnerschaft zog
aus den Dörfern und kleinen Städten hinaus auf eine Wiese. Einige Burschen,,
mit Strohgeflechten bekleidet, stellten den Winter vor, an der Spitze den Winter¬
könig mit einer Strohkrone und einem hölzernen Schwerte. Andere in Laub
eingeflochten, voran der Sommerkönig mit der Blumenkvone, in Moos und
Epheu gehüllt, brachten den Frühling, den sie „hinter den Hecken schlafend ge¬
funden". Erst sangen sie in Chören aus der Ferne einander entgegen. Dann
rückten sie näher, um zu kämpfen, indem der Winter mit Häckerling und Asche,
der Sommer mit Blättern und Blumen warf. Der Sommer gewann den
Sieg. Der Winter ergriff die Flucht, wobei die ihn vorstellenden Knaben ihre
Strohkleider in einen Bach oder ein zu dem Zwecke angeschürtes Feuer warfen,
das sie jubelnd umtanzten. Dann folgten im Dorfe Schmaus und Tanz. Im
bergischen Lande, wo sich auch sonst viel Alterthümliches erhalten hat, ist dieses
sinnige Volksfest durch die Frau Großmutter Polizei abgestellt worden. Die
Liederstrophen sind aber noch nicht vergessen. Der Winter sang (nach Montanus:
die deutschen Volksfeste):*


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[0331] das Lamm, behaglich breit wandelt das Rind auf der Weide. Der Kukuk weissagt mit fernher schallendem Rufe den Kindern. Die Nachtigall flötet, in Büschen verborgen, den Liebenden zu, daß auch sie sich des Lebens freut. Ueberall werden des Waldes geheimnißvolle Stimmen laut, oft wehmüthig, bis¬ weilen neckisch, häufiger freudenvoll, eine wundersame Musik auch für den, der nicht zu den Empfindsamen gehört. Wem das sinnige Auge beschieden ist, welches all dies strotzen und Sprossen draußen sieht, wer des Ohres sich erfreut, das diese Naturmusik vernimmt, und deS Herzens, welches den Einklang dieses Ringens und Klingens fühlt und die liebende Allseele herauöempfindet, die der Urborn und zugleich das Ziel dieses reichen, ewig sich verjüngenden Lebens ist, dem ist die Zeit des wiederer¬ wachten Frühlings nicht blos eine schöne, sondern auch eine hochheilige Zeit, eine Zeit voll göttlicher Gewalt. Vor allem mächtig wirkte die aufsprießende Maien¬ pracht auf die Geschlechter, denen ein mißverstandenes Christenthum die Natur noch nicht zu verachten gelehrt hatte, auf die freie, fröhliche Heidenzeit nament¬ lich unsres Volkes. Eine Menge wohlerhaltner Züge des alten Cultus sind Zeuge für die Inbrunst, womit die germanischen Stämme aller Gauen das Eintreffen des Frühlingsgottes feierten. Diese Spuren zerfallen in zwei Reihen: in die nur hin und wieder noch jetzt üblichen Gebräuche, mit denen man einst den ersten Mai beging, und in die, welche noch jetzt im Süden wie im Norden Deutschlands und andern von germanischen Völkerschaften überzognen Ländern beobachtet werden, wenn die Tage der Pfingsten erscheinen. Von den Volksfesten der Osterzeit erwähnen wir nur das Kampfspiel, das in der Pfalz und in Schwaben zu Mittfasten (Lätare), am Niederrhein aber nach den Osterfeiertagen bis in die neueste Zeit gehalten wurde. Die Bewohnerschaft zog aus den Dörfern und kleinen Städten hinaus auf eine Wiese. Einige Burschen,, mit Strohgeflechten bekleidet, stellten den Winter vor, an der Spitze den Winter¬ könig mit einer Strohkrone und einem hölzernen Schwerte. Andere in Laub eingeflochten, voran der Sommerkönig mit der Blumenkvone, in Moos und Epheu gehüllt, brachten den Frühling, den sie „hinter den Hecken schlafend ge¬ funden". Erst sangen sie in Chören aus der Ferne einander entgegen. Dann rückten sie näher, um zu kämpfen, indem der Winter mit Häckerling und Asche, der Sommer mit Blättern und Blumen warf. Der Sommer gewann den Sieg. Der Winter ergriff die Flucht, wobei die ihn vorstellenden Knaben ihre Strohkleider in einen Bach oder ein zu dem Zwecke angeschürtes Feuer warfen, das sie jubelnd umtanzten. Dann folgten im Dorfe Schmaus und Tanz. Im bergischen Lande, wo sich auch sonst viel Alterthümliches erhalten hat, ist dieses sinnige Volksfest durch die Frau Großmutter Polizei abgestellt worden. Die Liederstrophen sind aber noch nicht vergessen. Der Winter sang (nach Montanus: die deutschen Volksfeste):* ä-I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/331>, abgerufen am 03.07.2024.