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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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ihre Wurzeln ganz ertödten zu können, grünte auch in andern Sprossen, als
den dort gezeigten fort. Der Frühling und der Sommer sind nicht ärmer an
Nachklängen des heidnischen Alterthums als der Winter, und wenn im Folgen¬
den der Versuch gemacht wird, auf Grund fremder und eigner Sammlungen
und Beobachtungen die altgermanischen Maiseste zu reconstruiren, so ist
damit nur eine geringe Auswahl aus der Fülle des vorliegenden, seit Grimms
Mythologie beträchtlich vermehrten Stoffs und nur eine Andeutung dessen ge¬
geben, was bei mehr Raum und einer andern Bestimmung der Aufgabe ge¬
liefert werden könnte.

Die Feier, womit die alten Germanen den Frühling empfingen, fiel aller
Wahrscheinlichkeit nach nichr aus einen bestimmten Tag, sondern hing vom
Eintreffen der aus dem Süden zurückkehrenden Zugvögel und vom Er¬
grünen der Bäume ab. Auch die ersten Blumen, Käfer und Schmetterlinge
mögen das Zeichen zu Beginn dieser Feier gegeben haben. Dem einen Gau
mag das eine, dem andern das andere gegolten haben, und so erklärt es sich,
daß jene Anklänge an die heidnische Frühlingsbegrüßung sich hier mehr mit
dem März, dort mehr mit dem in den April fallenden Osterfeste, noch anderswo
endlich mehr mit dem Mai und Mit Pfingsten verknüpften. Der April konnte
mit seinem wechselvollen Himmel und seinen plötzlich gleich Pfeilschauern hernie-
dersansenden Regen- und Graupelgüssen, das Schwanken des Kampfes zwischen
dem persönlich vorgestellten Winter und Sommer verstnnbilden. Der Mai ver¬
kündete den Triumph der sommerlichen Macht und den Anbruch der Jahreszeit,
welche die Edda so poetisch "die Wonne der Vögel" nennt. Pfingsten aber,
das der Dichter als das Fest der Freude preist, konnte in christlicher Zeit als Feier
der Ausgießung des Geistes dem bisweilen feiner als man glaubt combinirenden
Ahnen der Volksseele recht wol der alten, noch unvergessnen Feier der erneuten
Ausgießung des Naturlebens entsprechen. Fragen wir uns selbst, ob wir uns
ein Herz denken können, das sich nicht neugeboren -- wenn auch nur auf
Augenblicke neugeboren -- fühlte und mit neuen Zungen reden möchte, wenn
es ein echter lachender Maitag ins Freie lockt, um jene Ausgießung der
neuen Sonnenwärme über Waldwipfel und Wiesenpläne von den Vögeln loben
zu hören. Allenthalben sind sie aufgethaut, die laubtreibenden Saftbrünnen
der Baumwurzeln, im Grase drunten, auf den Zweigen droben offenbaren
die Mächte der Natur ihre Sehnsucht nach dem Reiche des Geistes in
Düften und Farben, allenthalben, wo Quelle und Bäche springen, rauscht
der Siegesgesang Befreiter und -Neubelebter. Herrlich wie am ersten Tag schaut
die alte Erdenmutter mit Blumenaugen zum Himmel empor. Auf den Bergen
grünt licht die Birke, dunkel die Eiche. Aus den Hecken blickt schalkhaft die
Schlehenblüte. Würzige, Kräuter, im Moose sprossend, .entsenden aus ihren
Glocken und Kelchen unsichtbaren Weihrauch durch das Thal. Munter hüpft


ihre Wurzeln ganz ertödten zu können, grünte auch in andern Sprossen, als
den dort gezeigten fort. Der Frühling und der Sommer sind nicht ärmer an
Nachklängen des heidnischen Alterthums als der Winter, und wenn im Folgen¬
den der Versuch gemacht wird, auf Grund fremder und eigner Sammlungen
und Beobachtungen die altgermanischen Maiseste zu reconstruiren, so ist
damit nur eine geringe Auswahl aus der Fülle des vorliegenden, seit Grimms
Mythologie beträchtlich vermehrten Stoffs und nur eine Andeutung dessen ge¬
geben, was bei mehr Raum und einer andern Bestimmung der Aufgabe ge¬
liefert werden könnte.

Die Feier, womit die alten Germanen den Frühling empfingen, fiel aller
Wahrscheinlichkeit nach nichr aus einen bestimmten Tag, sondern hing vom
Eintreffen der aus dem Süden zurückkehrenden Zugvögel und vom Er¬
grünen der Bäume ab. Auch die ersten Blumen, Käfer und Schmetterlinge
mögen das Zeichen zu Beginn dieser Feier gegeben haben. Dem einen Gau
mag das eine, dem andern das andere gegolten haben, und so erklärt es sich,
daß jene Anklänge an die heidnische Frühlingsbegrüßung sich hier mehr mit
dem März, dort mehr mit dem in den April fallenden Osterfeste, noch anderswo
endlich mehr mit dem Mai und Mit Pfingsten verknüpften. Der April konnte
mit seinem wechselvollen Himmel und seinen plötzlich gleich Pfeilschauern hernie-
dersansenden Regen- und Graupelgüssen, das Schwanken des Kampfes zwischen
dem persönlich vorgestellten Winter und Sommer verstnnbilden. Der Mai ver¬
kündete den Triumph der sommerlichen Macht und den Anbruch der Jahreszeit,
welche die Edda so poetisch „die Wonne der Vögel" nennt. Pfingsten aber,
das der Dichter als das Fest der Freude preist, konnte in christlicher Zeit als Feier
der Ausgießung des Geistes dem bisweilen feiner als man glaubt combinirenden
Ahnen der Volksseele recht wol der alten, noch unvergessnen Feier der erneuten
Ausgießung des Naturlebens entsprechen. Fragen wir uns selbst, ob wir uns
ein Herz denken können, das sich nicht neugeboren — wenn auch nur auf
Augenblicke neugeboren — fühlte und mit neuen Zungen reden möchte, wenn
es ein echter lachender Maitag ins Freie lockt, um jene Ausgießung der
neuen Sonnenwärme über Waldwipfel und Wiesenpläne von den Vögeln loben
zu hören. Allenthalben sind sie aufgethaut, die laubtreibenden Saftbrünnen
der Baumwurzeln, im Grase drunten, auf den Zweigen droben offenbaren
die Mächte der Natur ihre Sehnsucht nach dem Reiche des Geistes in
Düften und Farben, allenthalben, wo Quelle und Bäche springen, rauscht
der Siegesgesang Befreiter und -Neubelebter. Herrlich wie am ersten Tag schaut
die alte Erdenmutter mit Blumenaugen zum Himmel empor. Auf den Bergen
grünt licht die Birke, dunkel die Eiche. Aus den Hecken blickt schalkhaft die
Schlehenblüte. Würzige, Kräuter, im Moose sprossend, .entsenden aus ihren
Glocken und Kelchen unsichtbaren Weihrauch durch das Thal. Munter hüpft


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[0330] ihre Wurzeln ganz ertödten zu können, grünte auch in andern Sprossen, als den dort gezeigten fort. Der Frühling und der Sommer sind nicht ärmer an Nachklängen des heidnischen Alterthums als der Winter, und wenn im Folgen¬ den der Versuch gemacht wird, auf Grund fremder und eigner Sammlungen und Beobachtungen die altgermanischen Maiseste zu reconstruiren, so ist damit nur eine geringe Auswahl aus der Fülle des vorliegenden, seit Grimms Mythologie beträchtlich vermehrten Stoffs und nur eine Andeutung dessen ge¬ geben, was bei mehr Raum und einer andern Bestimmung der Aufgabe ge¬ liefert werden könnte. Die Feier, womit die alten Germanen den Frühling empfingen, fiel aller Wahrscheinlichkeit nach nichr aus einen bestimmten Tag, sondern hing vom Eintreffen der aus dem Süden zurückkehrenden Zugvögel und vom Er¬ grünen der Bäume ab. Auch die ersten Blumen, Käfer und Schmetterlinge mögen das Zeichen zu Beginn dieser Feier gegeben haben. Dem einen Gau mag das eine, dem andern das andere gegolten haben, und so erklärt es sich, daß jene Anklänge an die heidnische Frühlingsbegrüßung sich hier mehr mit dem März, dort mehr mit dem in den April fallenden Osterfeste, noch anderswo endlich mehr mit dem Mai und Mit Pfingsten verknüpften. Der April konnte mit seinem wechselvollen Himmel und seinen plötzlich gleich Pfeilschauern hernie- dersansenden Regen- und Graupelgüssen, das Schwanken des Kampfes zwischen dem persönlich vorgestellten Winter und Sommer verstnnbilden. Der Mai ver¬ kündete den Triumph der sommerlichen Macht und den Anbruch der Jahreszeit, welche die Edda so poetisch „die Wonne der Vögel" nennt. Pfingsten aber, das der Dichter als das Fest der Freude preist, konnte in christlicher Zeit als Feier der Ausgießung des Geistes dem bisweilen feiner als man glaubt combinirenden Ahnen der Volksseele recht wol der alten, noch unvergessnen Feier der erneuten Ausgießung des Naturlebens entsprechen. Fragen wir uns selbst, ob wir uns ein Herz denken können, das sich nicht neugeboren — wenn auch nur auf Augenblicke neugeboren — fühlte und mit neuen Zungen reden möchte, wenn es ein echter lachender Maitag ins Freie lockt, um jene Ausgießung der neuen Sonnenwärme über Waldwipfel und Wiesenpläne von den Vögeln loben zu hören. Allenthalben sind sie aufgethaut, die laubtreibenden Saftbrünnen der Baumwurzeln, im Grase drunten, auf den Zweigen droben offenbaren die Mächte der Natur ihre Sehnsucht nach dem Reiche des Geistes in Düften und Farben, allenthalben, wo Quelle und Bäche springen, rauscht der Siegesgesang Befreiter und -Neubelebter. Herrlich wie am ersten Tag schaut die alte Erdenmutter mit Blumenaugen zum Himmel empor. Auf den Bergen grünt licht die Birke, dunkel die Eiche. Aus den Hecken blickt schalkhaft die Schlehenblüte. Würzige, Kräuter, im Moose sprossend, .entsenden aus ihren Glocken und Kelchen unsichtbaren Weihrauch durch das Thal. Munter hüpft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/330>, abgerufen am 01.07.2024.