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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Nachtheile belehren mag, welche dem Kaiserreich seine lombardisch-venetianischen
Besitzungen bringen und über das Interesse, welches Rußland daran hatte,
daß dieselben im Jahre 1818 ihm nicht entrissen wurden.

Die Verwendbarkeit der östreichischen Heere stellt sich hiernach wie folgt
heraus. Von den vierzehn Armeecorps der Monarchie werden zehn zum Krieg
direct benutzt werden können. Zwei Armeecorps, in Böhmen das eine und
das andere in oder bei Wien, werden, im Sinne von Reserven, eine "be¬
dingungsweise Verwendung erhalten können; die beiden letzteren aber, in
Italien, werden für die Campagne kaum in Frage kommen. Aus den numeri¬
schen Ausdruck gebracht heißt dies: in erster Linie kann eine Masse von
350,000--100,000 stehen, mir denen die eigentlichen Kriegöoperationen zur
Durchführung kommen. Dieselbe hat im Rücken zwei Reservemassen in Böh¬
men oder Mähren und bei Wien von je 30--10,000 Mann, und endlich
würde, wenn Oestreich Italien blosstellen wollte, eine ebenso starke Macht d. h.
70--80,000 Mann von dorther herangezogen werden können. Die Verhält¬
nisse dieser Kraftvertheilung sind an und für sich nicht ungünstig. Sie weisen
für die gesammten Feldheere des Kaiserstaates einen Bestand von höchstens
560,000 Mann nach. Wenn, im Widerspruch damit, die meisten östreichischen
Angaben auf 030--700,000 Mann hinaufschritten, so beruht diese Verschie¬
denheit darauf, daß in der letzteren Schätzung die Garnisontruppen, Depot¬
bataillone und Depotescadronen, endlich die Festungsl'esatzungen, im Allge¬
meinen die nicht mobilen Kräfte mit eingerechnet sind. Wiewol dieselben für
die Kriegführung in wesentlichen Betracht kommen, als das Mittel, ver¬
möge welches die Feldarmeen auf ihrem Etat erhalten werden, ist dennoch ein
und für alle Mal davon abzusehen, daß sie jemals diesen zugetheilt und eben-
daburch deren Massen um ein Wesentliches erhöhet werden könnten. Mit
anderen Worten: 350,000--100,000 Mann in erster und 70--80,000 Mann
in zweiter Linie sind das Kraftmaß, über welches Oestreich in einem Kriege
gegen Rußland nicht hinausgehen kann, und es wird alle Anstrengungen der
Regierung des Kaisers Franz"! Joseph erheischen, um diesen Bestand vollzählig
zu erhalten.

Was immerhin auch Entscheidendes gegen Rußland unternommen werden
mag, Oestreichs Macht muß den Kern der Kraft bilden, durch welche es ins Werk
gesetzt wird. Insofern Preußen neutral bleibt, ist sie das nothwendige Centrum
jeder angriffsweisen Vorbewegung des verbündeten Europas gegen den östlichen
Niesen. Die Flügel, welche aus türkischen und westmächtlichen Truppen rechts, aus
westmächtlichen und möglicherweise skandinavischen links bestehen, mögen noch so
große Neigung haben, selbstständig zu operiren: sowie sie zu entscheidenden Unter¬
nehmungen schreiten wollen, werden sie die Lage der Mitte in Rücksicht ziehen
müssen und schwerlich werden sie umhin können, sich auf dieses Centrum zu stützen.


Nachtheile belehren mag, welche dem Kaiserreich seine lombardisch-venetianischen
Besitzungen bringen und über das Interesse, welches Rußland daran hatte,
daß dieselben im Jahre 1818 ihm nicht entrissen wurden.

Die Verwendbarkeit der östreichischen Heere stellt sich hiernach wie folgt
heraus. Von den vierzehn Armeecorps der Monarchie werden zehn zum Krieg
direct benutzt werden können. Zwei Armeecorps, in Böhmen das eine und
das andere in oder bei Wien, werden, im Sinne von Reserven, eine »be¬
dingungsweise Verwendung erhalten können; die beiden letzteren aber, in
Italien, werden für die Campagne kaum in Frage kommen. Aus den numeri¬
schen Ausdruck gebracht heißt dies: in erster Linie kann eine Masse von
350,000—100,000 stehen, mir denen die eigentlichen Kriegöoperationen zur
Durchführung kommen. Dieselbe hat im Rücken zwei Reservemassen in Böh¬
men oder Mähren und bei Wien von je 30—10,000 Mann, und endlich
würde, wenn Oestreich Italien blosstellen wollte, eine ebenso starke Macht d. h.
70—80,000 Mann von dorther herangezogen werden können. Die Verhält¬
nisse dieser Kraftvertheilung sind an und für sich nicht ungünstig. Sie weisen
für die gesammten Feldheere des Kaiserstaates einen Bestand von höchstens
560,000 Mann nach. Wenn, im Widerspruch damit, die meisten östreichischen
Angaben auf 030—700,000 Mann hinaufschritten, so beruht diese Verschie¬
denheit darauf, daß in der letzteren Schätzung die Garnisontruppen, Depot¬
bataillone und Depotescadronen, endlich die Festungsl'esatzungen, im Allge¬
meinen die nicht mobilen Kräfte mit eingerechnet sind. Wiewol dieselben für
die Kriegführung in wesentlichen Betracht kommen, als das Mittel, ver¬
möge welches die Feldarmeen auf ihrem Etat erhalten werden, ist dennoch ein
und für alle Mal davon abzusehen, daß sie jemals diesen zugetheilt und eben-
daburch deren Massen um ein Wesentliches erhöhet werden könnten. Mit
anderen Worten: 350,000—100,000 Mann in erster und 70—80,000 Mann
in zweiter Linie sind das Kraftmaß, über welches Oestreich in einem Kriege
gegen Rußland nicht hinausgehen kann, und es wird alle Anstrengungen der
Regierung des Kaisers Franz"! Joseph erheischen, um diesen Bestand vollzählig
zu erhalten.

Was immerhin auch Entscheidendes gegen Rußland unternommen werden
mag, Oestreichs Macht muß den Kern der Kraft bilden, durch welche es ins Werk
gesetzt wird. Insofern Preußen neutral bleibt, ist sie das nothwendige Centrum
jeder angriffsweisen Vorbewegung des verbündeten Europas gegen den östlichen
Niesen. Die Flügel, welche aus türkischen und westmächtlichen Truppen rechts, aus
westmächtlichen und möglicherweise skandinavischen links bestehen, mögen noch so
große Neigung haben, selbstständig zu operiren: sowie sie zu entscheidenden Unter¬
nehmungen schreiten wollen, werden sie die Lage der Mitte in Rücksicht ziehen
müssen und schwerlich werden sie umhin können, sich auf dieses Centrum zu stützen.


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[0311] Nachtheile belehren mag, welche dem Kaiserreich seine lombardisch-venetianischen Besitzungen bringen und über das Interesse, welches Rußland daran hatte, daß dieselben im Jahre 1818 ihm nicht entrissen wurden. Die Verwendbarkeit der östreichischen Heere stellt sich hiernach wie folgt heraus. Von den vierzehn Armeecorps der Monarchie werden zehn zum Krieg direct benutzt werden können. Zwei Armeecorps, in Böhmen das eine und das andere in oder bei Wien, werden, im Sinne von Reserven, eine »be¬ dingungsweise Verwendung erhalten können; die beiden letzteren aber, in Italien, werden für die Campagne kaum in Frage kommen. Aus den numeri¬ schen Ausdruck gebracht heißt dies: in erster Linie kann eine Masse von 350,000—100,000 stehen, mir denen die eigentlichen Kriegöoperationen zur Durchführung kommen. Dieselbe hat im Rücken zwei Reservemassen in Böh¬ men oder Mähren und bei Wien von je 30—10,000 Mann, und endlich würde, wenn Oestreich Italien blosstellen wollte, eine ebenso starke Macht d. h. 70—80,000 Mann von dorther herangezogen werden können. Die Verhält¬ nisse dieser Kraftvertheilung sind an und für sich nicht ungünstig. Sie weisen für die gesammten Feldheere des Kaiserstaates einen Bestand von höchstens 560,000 Mann nach. Wenn, im Widerspruch damit, die meisten östreichischen Angaben auf 030—700,000 Mann hinaufschritten, so beruht diese Verschie¬ denheit darauf, daß in der letzteren Schätzung die Garnisontruppen, Depot¬ bataillone und Depotescadronen, endlich die Festungsl'esatzungen, im Allge¬ meinen die nicht mobilen Kräfte mit eingerechnet sind. Wiewol dieselben für die Kriegführung in wesentlichen Betracht kommen, als das Mittel, ver¬ möge welches die Feldarmeen auf ihrem Etat erhalten werden, ist dennoch ein und für alle Mal davon abzusehen, daß sie jemals diesen zugetheilt und eben- daburch deren Massen um ein Wesentliches erhöhet werden könnten. Mit anderen Worten: 350,000—100,000 Mann in erster und 70—80,000 Mann in zweiter Linie sind das Kraftmaß, über welches Oestreich in einem Kriege gegen Rußland nicht hinausgehen kann, und es wird alle Anstrengungen der Regierung des Kaisers Franz"! Joseph erheischen, um diesen Bestand vollzählig zu erhalten. Was immerhin auch Entscheidendes gegen Rußland unternommen werden mag, Oestreichs Macht muß den Kern der Kraft bilden, durch welche es ins Werk gesetzt wird. Insofern Preußen neutral bleibt, ist sie das nothwendige Centrum jeder angriffsweisen Vorbewegung des verbündeten Europas gegen den östlichen Niesen. Die Flügel, welche aus türkischen und westmächtlichen Truppen rechts, aus westmächtlichen und möglicherweise skandinavischen links bestehen, mögen noch so große Neigung haben, selbstständig zu operiren: sowie sie zu entscheidenden Unter¬ nehmungen schreiten wollen, werden sie die Lage der Mitte in Rücksicht ziehen müssen und schwerlich werden sie umhin können, sich auf dieses Centrum zu stützen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/311>, abgerufen am 01.10.2024.