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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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einen positiven Werth gehabt haben, wenn es auch wahr ist, daß die wechseln-
den Chancen in Kriege nur zu oft Garantien, welche allein auf Vertragsschluß
beruhen, sehr relativ machen. Nun hat in dem vorliegenden Falle thatsächlich
Preußen sich zu keiner derartigen Verpflichtung herbeigelassen, aber ich muth-
maße, daß man es in Wien kaum wenig anders ansehen kann, als ob dieselbe
eingegangen worden sei; zunächst darum, weil Preußen sich an einigen an¬
fänglichen diplomatischen Schritten gegen Nußland betheiligt und bei Beginn
der Differenz einen ähnlichen Standpunkt wie Oestreich eingenommen hatte;
dann auch, weil in der ganzen Haltung ver norddeutschen Großmacht eine
Scheu vor entscheidungsvollen Entschlüssen sich ausspricht, die am wenigsten
sich vermindert haben dürfte, wenn kurz vorher die Kriegführung' ein Beispiel
für die schnell wechselnden Chancen des Glücks geboten hätte. Hierauf
fußend sprach ich die Ansicht aus, daß der Kaiserstaat nicht mehr als ein
Armeecorps auf seiner linken Flanke in Böhmen oder Mähren aufzustellen
nöthig habe, welche Vorsichtsmaßregel mit dem Gewicht von 30--40,000 Mann
der Größe des politischen Bedenkens entsprechen mag-, welches man in Rücksicht
auf etwaige kriegerische Wechselfälle hegt.

Zu diesem rückgestellten Armeecorps wird ein anderes hinzugefügt werden,
welches in Wien sein Hauptquartier und in dieser Position die Bestimmung
haben muß, eine centrale Reservemacht für den ganzen Bereich der Monarchie
zu bilden. Nicht nur daß die große Stadt und der Donaustrom die Verpfle¬
gungsschwierigkeiten für eine Masse von 40,000 Mann, auf diesem Punkte
auch unter schwierigen Zeitumständen auf beinahe nichts reduciren, geben auch
die Eisenbahnen, welche sich hier zum mächtigsten Knoten vereinigen wie nir¬
gend anderswo eine Gelegenheit, die versammelte Streitmacht, je nach Bedürf¬
niß, nach jedweder Richtung und zwar mit der Schnelligkeit der Locomotivzüge
vorzubewegen. In diesem Sinne kann behauptet werden, daß die Concentri-
rung bei Wien auch für die Kriegszwecke nicht verloren gehen wird. Vermöge
derselben kann die Armee in Böhmen oder Mähren, welche zur Sicherung der
linken Flanke dort belassen würde, hinan kurzem auf das Doppelte verstärkt
werden, und kaum längere Zeit würde es beanspruchen, um die in Rede stehende
Streitmacht an die Weichsel, oder auf Dampfschiffen in die untere Donau zu
führen.

Um vieles weniger verwendbar für allgemeine Kriegszwecke und in dieser
Hinsicht mehr local firirt, werden die Truppenkörper sein, die Oestreich sich in
dem Fall befindet, in Oberitalien stehen zu lassen. Nach dem Einblick, den
ich lediglich durch Zeitungsnotizen in die zu Wien getroffenen Dispositionen
genommen habe, werden dieselben aus zwei Armeecorps d. h. aus einer Masse
von etwa 70--80,000 Mann bestehen. Es ist das eine bedenkliche Abschwä-
chung, welche mehr als manche weitläufige politische Entwicklung über die


einen positiven Werth gehabt haben, wenn es auch wahr ist, daß die wechseln-
den Chancen in Kriege nur zu oft Garantien, welche allein auf Vertragsschluß
beruhen, sehr relativ machen. Nun hat in dem vorliegenden Falle thatsächlich
Preußen sich zu keiner derartigen Verpflichtung herbeigelassen, aber ich muth-
maße, daß man es in Wien kaum wenig anders ansehen kann, als ob dieselbe
eingegangen worden sei; zunächst darum, weil Preußen sich an einigen an¬
fänglichen diplomatischen Schritten gegen Nußland betheiligt und bei Beginn
der Differenz einen ähnlichen Standpunkt wie Oestreich eingenommen hatte;
dann auch, weil in der ganzen Haltung ver norddeutschen Großmacht eine
Scheu vor entscheidungsvollen Entschlüssen sich ausspricht, die am wenigsten
sich vermindert haben dürfte, wenn kurz vorher die Kriegführung' ein Beispiel
für die schnell wechselnden Chancen des Glücks geboten hätte. Hierauf
fußend sprach ich die Ansicht aus, daß der Kaiserstaat nicht mehr als ein
Armeecorps auf seiner linken Flanke in Böhmen oder Mähren aufzustellen
nöthig habe, welche Vorsichtsmaßregel mit dem Gewicht von 30—40,000 Mann
der Größe des politischen Bedenkens entsprechen mag-, welches man in Rücksicht
auf etwaige kriegerische Wechselfälle hegt.

Zu diesem rückgestellten Armeecorps wird ein anderes hinzugefügt werden,
welches in Wien sein Hauptquartier und in dieser Position die Bestimmung
haben muß, eine centrale Reservemacht für den ganzen Bereich der Monarchie
zu bilden. Nicht nur daß die große Stadt und der Donaustrom die Verpfle¬
gungsschwierigkeiten für eine Masse von 40,000 Mann, auf diesem Punkte
auch unter schwierigen Zeitumständen auf beinahe nichts reduciren, geben auch
die Eisenbahnen, welche sich hier zum mächtigsten Knoten vereinigen wie nir¬
gend anderswo eine Gelegenheit, die versammelte Streitmacht, je nach Bedürf¬
niß, nach jedweder Richtung und zwar mit der Schnelligkeit der Locomotivzüge
vorzubewegen. In diesem Sinne kann behauptet werden, daß die Concentri-
rung bei Wien auch für die Kriegszwecke nicht verloren gehen wird. Vermöge
derselben kann die Armee in Böhmen oder Mähren, welche zur Sicherung der
linken Flanke dort belassen würde, hinan kurzem auf das Doppelte verstärkt
werden, und kaum längere Zeit würde es beanspruchen, um die in Rede stehende
Streitmacht an die Weichsel, oder auf Dampfschiffen in die untere Donau zu
führen.

Um vieles weniger verwendbar für allgemeine Kriegszwecke und in dieser
Hinsicht mehr local firirt, werden die Truppenkörper sein, die Oestreich sich in
dem Fall befindet, in Oberitalien stehen zu lassen. Nach dem Einblick, den
ich lediglich durch Zeitungsnotizen in die zu Wien getroffenen Dispositionen
genommen habe, werden dieselben aus zwei Armeecorps d. h. aus einer Masse
von etwa 70—80,000 Mann bestehen. Es ist das eine bedenkliche Abschwä-
chung, welche mehr als manche weitläufige politische Entwicklung über die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/310>, abgerufen am 01.07.2024.