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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Erfolg des gegenwärtigen abhängig. Wir wünschen aufs lebhafteste, daß
dieser so günstig als möglich ausfallen möchte, denn grade mit der Ge¬
sinnung und Einsicht des Verfassers wünschten wir die Geschichte bis zu der
Zeit dargestellt zu sehen, wo auch der letzte schwache Versuch, die Reform
wenigstens gewähren zu lassen, mit dem Widerruf des Edicts von Nantes auf¬
gegeben wurde, wo also die freiheitliche Richtung in dem Staat und in der
Kirche aus der Reform in die Revolution getrieben wurde. Aus der gründ¬
lichen Darstellung dieser Übergangsperiode in Frankreich werden wir auch
lernen, die entsprechende Uebergangsperiode in Deutschland richtiger zu wür¬
digen, wenn wir bei unsern eignen Zuständen, um vorurtheilsfrei zu urtheilen,
gewissermaßen eine Vermittlung brauchen, sowie der Reisende die Zustände
seiner Heimat unbefangener würdigen wird, sobald sie ihm wie etwas Fremdes
gegenübertreten. --


Stein und sein Zeitalter. Ein Bruchstück aus der Geschichte Preußens und
Deutschlands in de.it Jahren 1804--1815. Von 0,-. Sigismund Stern.
Leipzig, F. A. Brockhaus, -1833. --

Bei der eigenthümlichen Einrichtung der Pertzschen Biographie, die ledig¬
lich für größere Bibliotheken bestimmt sein kann, war ein populärer Auszug
schon seit lange zu erwarten und zu wünschen. Stein gehört zu den Männern,
deren Leben dem Volk wie eine frohe Botschaft stets von neuem wieder ver¬
kündigt werden sollte, damit es einsieht, daß die deutsche Gesinnung nicht blos
in der Luft , nicht blos in den Gesängen der Barden lebt. Abgesehen von der
großen deutschen Frage, die gegenwärtig alle andern in den Hintergrund zu
drängen scheint und in Bezug auf welche das Nationalgefühl jetzt allmälig wieder
als eine verbotene Waare angesehen wird, sind es auch die kleinen Fragen der
innern Politik, die uns daran erinnern müssen, daß unser so vorgeschrittenes
Zeitalter doch noch immer nicht die einfachen Verhältnisse geregelt hat, deren
Reform der Freiherr von Stein in so großartigen Umrissen unternahm. Es
wird wol niemand geben, der nicht die neulichen Verhandlungen des preußi¬
schen Herrenhauses über das Konkursverfahren mit einem Gefühl gelesen hat,
-- mit einem Gefühl, das sich eben mehr fühlen, als beschreiben läßt. Die
Preußische Regierung, die man jedenfalls nicht demokratisch oder revolutionär
nennen wird, bringt einen lange.vorbereiteten und gründlich durchdachten Ge¬
setzentwurf ein, der im Wesentlichen den Zweck hat, die Unklarheiten der bis¬
herigen gesetzlichen Bestimmungen, welche den offenen und versteckten Betrug
möglich machten, aufzuheben. Ein großer Theil der preußischen Aristokratie
setzt ihr eine gesinnungsvolle Opposition entgegen und kommt endlich zu dem
Resultat, daß die Ehrlichkeit zwar für Kaufleute und Bürger nothwendig sei,
aber nicht in den höhern Verhältnissen des Adels. Ehre sei dem Herrn Senfft


, 33*

Erfolg des gegenwärtigen abhängig. Wir wünschen aufs lebhafteste, daß
dieser so günstig als möglich ausfallen möchte, denn grade mit der Ge¬
sinnung und Einsicht des Verfassers wünschten wir die Geschichte bis zu der
Zeit dargestellt zu sehen, wo auch der letzte schwache Versuch, die Reform
wenigstens gewähren zu lassen, mit dem Widerruf des Edicts von Nantes auf¬
gegeben wurde, wo also die freiheitliche Richtung in dem Staat und in der
Kirche aus der Reform in die Revolution getrieben wurde. Aus der gründ¬
lichen Darstellung dieser Übergangsperiode in Frankreich werden wir auch
lernen, die entsprechende Uebergangsperiode in Deutschland richtiger zu wür¬
digen, wenn wir bei unsern eignen Zuständen, um vorurtheilsfrei zu urtheilen,
gewissermaßen eine Vermittlung brauchen, sowie der Reisende die Zustände
seiner Heimat unbefangener würdigen wird, sobald sie ihm wie etwas Fremdes
gegenübertreten. —


Stein und sein Zeitalter. Ein Bruchstück aus der Geschichte Preußens und
Deutschlands in de.it Jahren 1804—1815. Von 0,-. Sigismund Stern.
Leipzig, F. A. Brockhaus, -1833. —

Bei der eigenthümlichen Einrichtung der Pertzschen Biographie, die ledig¬
lich für größere Bibliotheken bestimmt sein kann, war ein populärer Auszug
schon seit lange zu erwarten und zu wünschen. Stein gehört zu den Männern,
deren Leben dem Volk wie eine frohe Botschaft stets von neuem wieder ver¬
kündigt werden sollte, damit es einsieht, daß die deutsche Gesinnung nicht blos
in der Luft , nicht blos in den Gesängen der Barden lebt. Abgesehen von der
großen deutschen Frage, die gegenwärtig alle andern in den Hintergrund zu
drängen scheint und in Bezug auf welche das Nationalgefühl jetzt allmälig wieder
als eine verbotene Waare angesehen wird, sind es auch die kleinen Fragen der
innern Politik, die uns daran erinnern müssen, daß unser so vorgeschrittenes
Zeitalter doch noch immer nicht die einfachen Verhältnisse geregelt hat, deren
Reform der Freiherr von Stein in so großartigen Umrissen unternahm. Es
wird wol niemand geben, der nicht die neulichen Verhandlungen des preußi¬
schen Herrenhauses über das Konkursverfahren mit einem Gefühl gelesen hat,
— mit einem Gefühl, das sich eben mehr fühlen, als beschreiben läßt. Die
Preußische Regierung, die man jedenfalls nicht demokratisch oder revolutionär
nennen wird, bringt einen lange.vorbereiteten und gründlich durchdachten Ge¬
setzentwurf ein, der im Wesentlichen den Zweck hat, die Unklarheiten der bis¬
herigen gesetzlichen Bestimmungen, welche den offenen und versteckten Betrug
möglich machten, aufzuheben. Ein großer Theil der preußischen Aristokratie
setzt ihr eine gesinnungsvolle Opposition entgegen und kommt endlich zu dem
Resultat, daß die Ehrlichkeit zwar für Kaufleute und Bürger nothwendig sei,
aber nicht in den höhern Verhältnissen des Adels. Ehre sei dem Herrn Senfft


, 33*
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[0267] Erfolg des gegenwärtigen abhängig. Wir wünschen aufs lebhafteste, daß dieser so günstig als möglich ausfallen möchte, denn grade mit der Ge¬ sinnung und Einsicht des Verfassers wünschten wir die Geschichte bis zu der Zeit dargestellt zu sehen, wo auch der letzte schwache Versuch, die Reform wenigstens gewähren zu lassen, mit dem Widerruf des Edicts von Nantes auf¬ gegeben wurde, wo also die freiheitliche Richtung in dem Staat und in der Kirche aus der Reform in die Revolution getrieben wurde. Aus der gründ¬ lichen Darstellung dieser Übergangsperiode in Frankreich werden wir auch lernen, die entsprechende Uebergangsperiode in Deutschland richtiger zu wür¬ digen, wenn wir bei unsern eignen Zuständen, um vorurtheilsfrei zu urtheilen, gewissermaßen eine Vermittlung brauchen, sowie der Reisende die Zustände seiner Heimat unbefangener würdigen wird, sobald sie ihm wie etwas Fremdes gegenübertreten. — Stein und sein Zeitalter. Ein Bruchstück aus der Geschichte Preußens und Deutschlands in de.it Jahren 1804—1815. Von 0,-. Sigismund Stern. Leipzig, F. A. Brockhaus, -1833. — Bei der eigenthümlichen Einrichtung der Pertzschen Biographie, die ledig¬ lich für größere Bibliotheken bestimmt sein kann, war ein populärer Auszug schon seit lange zu erwarten und zu wünschen. Stein gehört zu den Männern, deren Leben dem Volk wie eine frohe Botschaft stets von neuem wieder ver¬ kündigt werden sollte, damit es einsieht, daß die deutsche Gesinnung nicht blos in der Luft , nicht blos in den Gesängen der Barden lebt. Abgesehen von der großen deutschen Frage, die gegenwärtig alle andern in den Hintergrund zu drängen scheint und in Bezug auf welche das Nationalgefühl jetzt allmälig wieder als eine verbotene Waare angesehen wird, sind es auch die kleinen Fragen der innern Politik, die uns daran erinnern müssen, daß unser so vorgeschrittenes Zeitalter doch noch immer nicht die einfachen Verhältnisse geregelt hat, deren Reform der Freiherr von Stein in so großartigen Umrissen unternahm. Es wird wol niemand geben, der nicht die neulichen Verhandlungen des preußi¬ schen Herrenhauses über das Konkursverfahren mit einem Gefühl gelesen hat, — mit einem Gefühl, das sich eben mehr fühlen, als beschreiben läßt. Die Preußische Regierung, die man jedenfalls nicht demokratisch oder revolutionär nennen wird, bringt einen lange.vorbereiteten und gründlich durchdachten Ge¬ setzentwurf ein, der im Wesentlichen den Zweck hat, die Unklarheiten der bis¬ herigen gesetzlichen Bestimmungen, welche den offenen und versteckten Betrug möglich machten, aufzuheben. Ein großer Theil der preußischen Aristokratie setzt ihr eine gesinnungsvolle Opposition entgegen und kommt endlich zu dem Resultat, daß die Ehrlichkeit zwar für Kaufleute und Bürger nothwendig sei, aber nicht in den höhern Verhältnissen des Adels. Ehre sei dem Herrn Senfft , 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/267>, abgerufen am 03.07.2024.