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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Nach dem, waS bereits mitgetheilt ist, wird man schwerlich erwarten, hier
ein energisch bewegtes Handelsleben zu finden. Es ist auch nicht vorhanden.
Diejenigen Schiffe, welche für die Newafahrt nicht zu tief gehen, werden plom-
birt, mit Zollwachen besetzt und löschen erst in Petersburg. Diejenigen, welche
nicht in die Newa laufen können, werden auf Lichterschiffe umgepackt. Dies
Alles geschieht jedoch auf dem Wasser und, wenn auch im Bereiche des Hafens,
doch meistens in dessen äußerstem Theile, so daß kein wahrhaft belebter und
bewegter Anblick sich bietet. So wiederholt sich auch hier, was man in Nu߬
land so oft zu sehen gewohnt ist, daß die Vorrichtungen und Gebäude mit
ihrer Nothwendigkeit und Benutzung nicht im Verhältniß stehen. Das Impo¬
sante und Großartige wird dadurch öd und ermüdend; 50 und -100 Menschen
vor und in einem Raume, der auf Tausende berechnet ist, verschwinden ent¬
weder völlig oder geben dem Großartigsten den Charakter des Gemachtem, Ge¬
zwungenen, Unfertigen. -- Denkt man sich dies nun auf die Sammelplätze
der Menschen, des Geschäftsverkehrs, des Vergnügens im Allgemeinen ange¬
wendet, so erkennt man leicht, daß, außer in den Residenzen, im eigentlichen
Rußland von den Bewegungen eines öffentlichen Lebens kaum die Rede sein
kann.

So ists auch in Kronstäbe; und hier umsomehr, als es eben nicht haupt¬
sächlich Hafen- und Handelsplatz, sondern vor allem und über alles Festung
und Kriegshafen ist. Hin- und hermaschirende Schildwachen, erercirende Regi¬
menter, arbeitende Baugefangene, eilende Adjutanten und müssiggehende Offi¬
ziere sind in ihrer ewigen Wiederholung und Gleichförmigkeit keine malens¬
werthen Bilder. Es bleibt fast nichts zu bemerken, als wie das schwarze Civil
sich vor dieser militärischen Alleinherrschaft fast ängstlich verkriecht; grellgeputzte
Frauenzimmer sehr zweifelhaften Aussehens ausgenommen, die in ihrer Pfauen-
Prachr allüberall herumstolziren.

Selbst die Capitäns und Matrosen der ankernden Handelsschiffe ver¬
leihen hier dem Strandleben nicht jene lustige Färbung, deren Anschauung
in andern Hafenstädten wenigstens ein paar Stunden vertreiben kann. Dazu
ist in der Stadt und ihrer nächsten Umgebung die Polizei zu streng. So
feiern sie ihre immerhin beschränken Bacchanale weit draußen auf der Insel
in Häusern, die vom allgemeinen Verkehr abseits gelegen sind.

Die Soldaten aber und namentlich die Marinesoldaten können in russi¬
schem Dienste wahrlich nicht daran denken, von ihrer Löhnung das geringste
zu verjubeln. Eher ist noch in den Städten derartiges möglich, wo sie neben
dem Dienste etwas erarbeiten oder anch erbetteln können. Zu beiden fehlt auf
Kronstäbe die Gelegenheit und ist die Aufsicht zu streng.

Nur eines ist ihnen, oder wenigstens den Sängerchören der Regimenter
erlaubt. Sie dürfen in der einzigen Gartenwirthschaft der Insel ihre Gesang-


Nach dem, waS bereits mitgetheilt ist, wird man schwerlich erwarten, hier
ein energisch bewegtes Handelsleben zu finden. Es ist auch nicht vorhanden.
Diejenigen Schiffe, welche für die Newafahrt nicht zu tief gehen, werden plom-
birt, mit Zollwachen besetzt und löschen erst in Petersburg. Diejenigen, welche
nicht in die Newa laufen können, werden auf Lichterschiffe umgepackt. Dies
Alles geschieht jedoch auf dem Wasser und, wenn auch im Bereiche des Hafens,
doch meistens in dessen äußerstem Theile, so daß kein wahrhaft belebter und
bewegter Anblick sich bietet. So wiederholt sich auch hier, was man in Nu߬
land so oft zu sehen gewohnt ist, daß die Vorrichtungen und Gebäude mit
ihrer Nothwendigkeit und Benutzung nicht im Verhältniß stehen. Das Impo¬
sante und Großartige wird dadurch öd und ermüdend; 50 und -100 Menschen
vor und in einem Raume, der auf Tausende berechnet ist, verschwinden ent¬
weder völlig oder geben dem Großartigsten den Charakter des Gemachtem, Ge¬
zwungenen, Unfertigen. — Denkt man sich dies nun auf die Sammelplätze
der Menschen, des Geschäftsverkehrs, des Vergnügens im Allgemeinen ange¬
wendet, so erkennt man leicht, daß, außer in den Residenzen, im eigentlichen
Rußland von den Bewegungen eines öffentlichen Lebens kaum die Rede sein
kann.

So ists auch in Kronstäbe; und hier umsomehr, als es eben nicht haupt¬
sächlich Hafen- und Handelsplatz, sondern vor allem und über alles Festung
und Kriegshafen ist. Hin- und hermaschirende Schildwachen, erercirende Regi¬
menter, arbeitende Baugefangene, eilende Adjutanten und müssiggehende Offi¬
ziere sind in ihrer ewigen Wiederholung und Gleichförmigkeit keine malens¬
werthen Bilder. Es bleibt fast nichts zu bemerken, als wie das schwarze Civil
sich vor dieser militärischen Alleinherrschaft fast ängstlich verkriecht; grellgeputzte
Frauenzimmer sehr zweifelhaften Aussehens ausgenommen, die in ihrer Pfauen-
Prachr allüberall herumstolziren.

Selbst die Capitäns und Matrosen der ankernden Handelsschiffe ver¬
leihen hier dem Strandleben nicht jene lustige Färbung, deren Anschauung
in andern Hafenstädten wenigstens ein paar Stunden vertreiben kann. Dazu
ist in der Stadt und ihrer nächsten Umgebung die Polizei zu streng. So
feiern sie ihre immerhin beschränken Bacchanale weit draußen auf der Insel
in Häusern, die vom allgemeinen Verkehr abseits gelegen sind.

Die Soldaten aber und namentlich die Marinesoldaten können in russi¬
schem Dienste wahrlich nicht daran denken, von ihrer Löhnung das geringste
zu verjubeln. Eher ist noch in den Städten derartiges möglich, wo sie neben
dem Dienste etwas erarbeiten oder anch erbetteln können. Zu beiden fehlt auf
Kronstäbe die Gelegenheit und ist die Aufsicht zu streng.

Nur eines ist ihnen, oder wenigstens den Sängerchören der Regimenter
erlaubt. Sie dürfen in der einzigen Gartenwirthschaft der Insel ihre Gesang-


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[0261] Nach dem, waS bereits mitgetheilt ist, wird man schwerlich erwarten, hier ein energisch bewegtes Handelsleben zu finden. Es ist auch nicht vorhanden. Diejenigen Schiffe, welche für die Newafahrt nicht zu tief gehen, werden plom- birt, mit Zollwachen besetzt und löschen erst in Petersburg. Diejenigen, welche nicht in die Newa laufen können, werden auf Lichterschiffe umgepackt. Dies Alles geschieht jedoch auf dem Wasser und, wenn auch im Bereiche des Hafens, doch meistens in dessen äußerstem Theile, so daß kein wahrhaft belebter und bewegter Anblick sich bietet. So wiederholt sich auch hier, was man in Nu߬ land so oft zu sehen gewohnt ist, daß die Vorrichtungen und Gebäude mit ihrer Nothwendigkeit und Benutzung nicht im Verhältniß stehen. Das Impo¬ sante und Großartige wird dadurch öd und ermüdend; 50 und -100 Menschen vor und in einem Raume, der auf Tausende berechnet ist, verschwinden ent¬ weder völlig oder geben dem Großartigsten den Charakter des Gemachtem, Ge¬ zwungenen, Unfertigen. — Denkt man sich dies nun auf die Sammelplätze der Menschen, des Geschäftsverkehrs, des Vergnügens im Allgemeinen ange¬ wendet, so erkennt man leicht, daß, außer in den Residenzen, im eigentlichen Rußland von den Bewegungen eines öffentlichen Lebens kaum die Rede sein kann. So ists auch in Kronstäbe; und hier umsomehr, als es eben nicht haupt¬ sächlich Hafen- und Handelsplatz, sondern vor allem und über alles Festung und Kriegshafen ist. Hin- und hermaschirende Schildwachen, erercirende Regi¬ menter, arbeitende Baugefangene, eilende Adjutanten und müssiggehende Offi¬ ziere sind in ihrer ewigen Wiederholung und Gleichförmigkeit keine malens¬ werthen Bilder. Es bleibt fast nichts zu bemerken, als wie das schwarze Civil sich vor dieser militärischen Alleinherrschaft fast ängstlich verkriecht; grellgeputzte Frauenzimmer sehr zweifelhaften Aussehens ausgenommen, die in ihrer Pfauen- Prachr allüberall herumstolziren. Selbst die Capitäns und Matrosen der ankernden Handelsschiffe ver¬ leihen hier dem Strandleben nicht jene lustige Färbung, deren Anschauung in andern Hafenstädten wenigstens ein paar Stunden vertreiben kann. Dazu ist in der Stadt und ihrer nächsten Umgebung die Polizei zu streng. So feiern sie ihre immerhin beschränken Bacchanale weit draußen auf der Insel in Häusern, die vom allgemeinen Verkehr abseits gelegen sind. Die Soldaten aber und namentlich die Marinesoldaten können in russi¬ schem Dienste wahrlich nicht daran denken, von ihrer Löhnung das geringste zu verjubeln. Eher ist noch in den Städten derartiges möglich, wo sie neben dem Dienste etwas erarbeiten oder anch erbetteln können. Zu beiden fehlt auf Kronstäbe die Gelegenheit und ist die Aufsicht zu streng. Nur eines ist ihnen, oder wenigstens den Sängerchören der Regimenter erlaubt. Sie dürfen in der einzigen Gartenwirthschaft der Insel ihre Gesang-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/261>, abgerufen am 03.07.2024.