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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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war vom Könige bevollmächtigt, eine neue Verwaltung zu bilden. Dienstag
den 20. März entsagte Herr Dedecker dem Traume von der Bildung eines
Cabinets, und acht Tage darauf, am 27., während das Mandat der Linken
noch in voller Kraft war, veröffentlichte die klerikale Partei ihre Liste, stellte sie
am hellen Tage zur Schau.> Keck und verwegen trat sie der königlichen Würde
gegenüber, verkannte deren Prärogative, setzte der souveränen Entscheidung die
Entscheidung der Parteiambitionen entgegen. Sie sagte: Unsern Gegnern
wurde ein Mandat anvertraut; aber hier sind Wir! Wir bringen eine ohne
Auftrag gebildete Combination, durch denselben Mann gebildet, der erst vor
wenigen Tagen seine Ohnmacht bekennen mußte. Ein solcher Ursprung ist
weder für ein Ministerium, noch für die Partei, die es repräsentirt, ehrenwerth;
er ist politischer Männer, die sich selbst achten, unwürdig, obwol freilich in der
Politik der Erfolg allein den stattlichen Mantel schneidert und ihm die goldenen
Tressen der Würdigkeit aufheftet.

Der politische Charakter der neuen Verwaltung findet im Lande nicht
weniger Mißachtung. Vielleicht erhält diese Verwaltung ein Element der
Majorität durch einige Ueberläufer von der Linken, deren Abtrünnigkeit sich
seit drei Jahren mehr als einmal manifestirt hat; aber die große Majorität
des Landes wird ihr dennoch feindlich bleiben. Die Organe der Rechten haben
gut schreien, daß dieses Ministerium der Ausdruck des Friedens und der Ver¬
söhnung sei; wir kennen diesen Friedensvogel, der nur solange mit den Schwingen
flattert, bis er jene Höhe erreicht, von wo er sicher und schonungslos auf sein
Ziel herabstoßen kann; wir kennen diese scheinheilige Versöhnung, die das
Weihrauchfaß nur schwingt, um die Kohlen in Brand zu halten, und sie uns
gelegentlich an den Kopf zu werfen. Diese durchsichtige Maske mit der fried¬
lich devoter Bemalung wird bald fallen. Niemand läßt sich täuschen: wir
haben ein klerikales Ministerium, ebenso reactionär, aber weniger aufrichtig,
weniger loyal, als es ein Ministerium de Theur gewesen wäre. Alle seine
Elemente gehören der Rechten an, seine Mitglieder haben in allen großen
Parteifragen mit der Rechten gestimmt. Wo sind da die friedlichen und ver¬
söhnlichen Ideen? Wir suchen sie vergebens. Schade, daß die Ernennungen
der neuen Herren Minister sich vom 3V. März uyd nicht vom l. April
datiren.

Seit fünfzehn Jahren predigt Herr Dedecker, in unaufhörlicher Jsolirung,
in allen seinen Reden, in allen seinen Broschüren, das, was er die nationale
Politik, die traditionelle Politik des Congresses nennt. Nach seinen Dcclama-
mationen muß ein Ministerium beide parlamentarische Parteien repräsentiren,
Männer von beiden Meinungen müssen geduldig nebeneinander sitzen, der Vereini¬
gung, der Transaction huldigen, sich gegenseitig ihre Doctrinen, ihre Instinkte, die
Interessen ihrer Partei'aufopfern. Das wäre die Union, die Union von 1830,


war vom Könige bevollmächtigt, eine neue Verwaltung zu bilden. Dienstag
den 20. März entsagte Herr Dedecker dem Traume von der Bildung eines
Cabinets, und acht Tage darauf, am 27., während das Mandat der Linken
noch in voller Kraft war, veröffentlichte die klerikale Partei ihre Liste, stellte sie
am hellen Tage zur Schau.> Keck und verwegen trat sie der königlichen Würde
gegenüber, verkannte deren Prärogative, setzte der souveränen Entscheidung die
Entscheidung der Parteiambitionen entgegen. Sie sagte: Unsern Gegnern
wurde ein Mandat anvertraut; aber hier sind Wir! Wir bringen eine ohne
Auftrag gebildete Combination, durch denselben Mann gebildet, der erst vor
wenigen Tagen seine Ohnmacht bekennen mußte. Ein solcher Ursprung ist
weder für ein Ministerium, noch für die Partei, die es repräsentirt, ehrenwerth;
er ist politischer Männer, die sich selbst achten, unwürdig, obwol freilich in der
Politik der Erfolg allein den stattlichen Mantel schneidert und ihm die goldenen
Tressen der Würdigkeit aufheftet.

Der politische Charakter der neuen Verwaltung findet im Lande nicht
weniger Mißachtung. Vielleicht erhält diese Verwaltung ein Element der
Majorität durch einige Ueberläufer von der Linken, deren Abtrünnigkeit sich
seit drei Jahren mehr als einmal manifestirt hat; aber die große Majorität
des Landes wird ihr dennoch feindlich bleiben. Die Organe der Rechten haben
gut schreien, daß dieses Ministerium der Ausdruck des Friedens und der Ver¬
söhnung sei; wir kennen diesen Friedensvogel, der nur solange mit den Schwingen
flattert, bis er jene Höhe erreicht, von wo er sicher und schonungslos auf sein
Ziel herabstoßen kann; wir kennen diese scheinheilige Versöhnung, die das
Weihrauchfaß nur schwingt, um die Kohlen in Brand zu halten, und sie uns
gelegentlich an den Kopf zu werfen. Diese durchsichtige Maske mit der fried¬
lich devoter Bemalung wird bald fallen. Niemand läßt sich täuschen: wir
haben ein klerikales Ministerium, ebenso reactionär, aber weniger aufrichtig,
weniger loyal, als es ein Ministerium de Theur gewesen wäre. Alle seine
Elemente gehören der Rechten an, seine Mitglieder haben in allen großen
Parteifragen mit der Rechten gestimmt. Wo sind da die friedlichen und ver¬
söhnlichen Ideen? Wir suchen sie vergebens. Schade, daß die Ernennungen
der neuen Herren Minister sich vom 3V. März uyd nicht vom l. April
datiren.

Seit fünfzehn Jahren predigt Herr Dedecker, in unaufhörlicher Jsolirung,
in allen seinen Reden, in allen seinen Broschüren, das, was er die nationale
Politik, die traditionelle Politik des Congresses nennt. Nach seinen Dcclama-
mationen muß ein Ministerium beide parlamentarische Parteien repräsentiren,
Männer von beiden Meinungen müssen geduldig nebeneinander sitzen, der Vereini¬
gung, der Transaction huldigen, sich gegenseitig ihre Doctrinen, ihre Instinkte, die
Interessen ihrer Partei'aufopfern. Das wäre die Union, die Union von 1830,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/222>, abgerufen am 06.10.2024.