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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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waffen gemacht worden sind. Diese Erfindungen haben, wie bekannt, neuer¬
dings zu einer Neubewaffnung der Infanterie geführt, die in den meisten Armeen
erst begonnen hat, deren Vollendung aber die neuerdings gemachten Erfahrungen
immer dringender erheischen.

Es geschal) eben auf Grund dieser Neubewaffnung und der in den neuesten
Kriegen durch sie gewonnenen Resultate, daß Ole Ansicht Boden gewann: die
Artillerie sei in den Armeen dennoch nur zu einer interimistischen Action be¬
rufen, und werde, wenn nicht ganz, (denn sie bleibt das einzige Mittel, um
Deckungen zu zerstören, hat die Sprengwirkung ihrer Geschosse voraus und
außerdem vieles Andere), so doch zum größeren Theil nach und nach durch die
mehr und mehr verbesserten Handfeuerwaffen, vielleicht unter Mithilfe der
neueren Raketen verdrängt werden. Diese Ansicht bezeichnet die extremste Mei¬
nung über den Werth der in der Durchführung begriffenen Neuerung. Für
den Augenblick scheint sie noch keine Berechtigung gewonnen zu haben, und
sie wird dieselbe aus oben gedachten Gründen kaum jemals ihrer ganzen Aus¬
dehnung und Tragweite nach erlangen; aber als einer reformatorischen Idee,
die schon ihre Einwirkung zu üben beginnt, dürfen wir ihr unsre ernsteste Be¬
achtung nicht versagen.

Der Hauptunterschied zwischen der Leistungsfähigkeit des Geschützes und
der des kleinen Gewehrs hat von jeher in der größeren Percussions- oder Schlag¬
kraft der Geschosse des ersteren und der größeren Schußweite bestanden. In er¬
sterer Hinsicht mit der Artillerie zu wetteisern war selbstverständlich der Natur der
Sache nach unmöglich, weil man, wenn auch sähig, die Geschwindigkeit der Ge¬
schosse der Handfeuerwaffe zu steigern, dennoch nichl im Stande war und voraus¬
sichtlich nicht im Stande sein komme, ihre Masse wesentlich zu vermehren. In
Betreff der Tragweite dagegen hat man eine Art Wettkampf, der anfangs aller¬
dings nicht eben aussichtsreich war, nie aufgegeben, und man ist in letzter
Zeit dabei ganz außerordentlich und in überraschender Weise glücklich gewesen.

Man kann es schon jetzt als Thatsache annehmen, daß vie neueren G"
wehre die Feuerwirkung der Infanterie von 300 und 400 Schritt, wo dieselbe
vorher ihre Geenze gehabt halte, auf 800 Schritt, ja aus 1000 und -1200 er¬
weitert hat. Dieses ist ein Wachsen um das Doppelte und Dreifache. Da
der Kariätschschuß des Sechspfünders aus 700, der des Achlpfünberö auf 800,
der des Zwölfpfünders endlich aus 900 Schritte seine letzte Wirkung äußert,
so ist es klar und wird nicht mehr bestellten werden können, daß innerhalb
dieser ganzen Sphäre Das moderne kleine Gewehr mit ihm wetteifern kann; ja
es stellt sich mehr und mehr die Ansicht fest, daß es auch in der Wirkung,
V. h. in der reinen Vernichtungsfähigkeit, auf dieser Strecke hinter den Kar¬
tätschen nicht zurücksteht, d. h. mit andern Worten, daß eine kleine Spitzkugel
von vier Loth innerhalb der in Reve stehenden Strecke unter den natürlichen


waffen gemacht worden sind. Diese Erfindungen haben, wie bekannt, neuer¬
dings zu einer Neubewaffnung der Infanterie geführt, die in den meisten Armeen
erst begonnen hat, deren Vollendung aber die neuerdings gemachten Erfahrungen
immer dringender erheischen.

Es geschal) eben auf Grund dieser Neubewaffnung und der in den neuesten
Kriegen durch sie gewonnenen Resultate, daß Ole Ansicht Boden gewann: die
Artillerie sei in den Armeen dennoch nur zu einer interimistischen Action be¬
rufen, und werde, wenn nicht ganz, (denn sie bleibt das einzige Mittel, um
Deckungen zu zerstören, hat die Sprengwirkung ihrer Geschosse voraus und
außerdem vieles Andere), so doch zum größeren Theil nach und nach durch die
mehr und mehr verbesserten Handfeuerwaffen, vielleicht unter Mithilfe der
neueren Raketen verdrängt werden. Diese Ansicht bezeichnet die extremste Mei¬
nung über den Werth der in der Durchführung begriffenen Neuerung. Für
den Augenblick scheint sie noch keine Berechtigung gewonnen zu haben, und
sie wird dieselbe aus oben gedachten Gründen kaum jemals ihrer ganzen Aus¬
dehnung und Tragweite nach erlangen; aber als einer reformatorischen Idee,
die schon ihre Einwirkung zu üben beginnt, dürfen wir ihr unsre ernsteste Be¬
achtung nicht versagen.

Der Hauptunterschied zwischen der Leistungsfähigkeit des Geschützes und
der des kleinen Gewehrs hat von jeher in der größeren Percussions- oder Schlag¬
kraft der Geschosse des ersteren und der größeren Schußweite bestanden. In er¬
sterer Hinsicht mit der Artillerie zu wetteisern war selbstverständlich der Natur der
Sache nach unmöglich, weil man, wenn auch sähig, die Geschwindigkeit der Ge¬
schosse der Handfeuerwaffe zu steigern, dennoch nichl im Stande war und voraus¬
sichtlich nicht im Stande sein komme, ihre Masse wesentlich zu vermehren. In
Betreff der Tragweite dagegen hat man eine Art Wettkampf, der anfangs aller¬
dings nicht eben aussichtsreich war, nie aufgegeben, und man ist in letzter
Zeit dabei ganz außerordentlich und in überraschender Weise glücklich gewesen.

Man kann es schon jetzt als Thatsache annehmen, daß vie neueren G»
wehre die Feuerwirkung der Infanterie von 300 und 400 Schritt, wo dieselbe
vorher ihre Geenze gehabt halte, auf 800 Schritt, ja aus 1000 und -1200 er¬
weitert hat. Dieses ist ein Wachsen um das Doppelte und Dreifache. Da
der Kariätschschuß des Sechspfünders aus 700, der des Achlpfünberö auf 800,
der des Zwölfpfünders endlich aus 900 Schritte seine letzte Wirkung äußert,
so ist es klar und wird nicht mehr bestellten werden können, daß innerhalb
dieser ganzen Sphäre Das moderne kleine Gewehr mit ihm wetteifern kann; ja
es stellt sich mehr und mehr die Ansicht fest, daß es auch in der Wirkung,
V. h. in der reinen Vernichtungsfähigkeit, auf dieser Strecke hinter den Kar¬
tätschen nicht zurücksteht, d. h. mit andern Worten, daß eine kleine Spitzkugel
von vier Loth innerhalb der in Reve stehenden Strecke unter den natürlichen


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[0159] waffen gemacht worden sind. Diese Erfindungen haben, wie bekannt, neuer¬ dings zu einer Neubewaffnung der Infanterie geführt, die in den meisten Armeen erst begonnen hat, deren Vollendung aber die neuerdings gemachten Erfahrungen immer dringender erheischen. Es geschal) eben auf Grund dieser Neubewaffnung und der in den neuesten Kriegen durch sie gewonnenen Resultate, daß Ole Ansicht Boden gewann: die Artillerie sei in den Armeen dennoch nur zu einer interimistischen Action be¬ rufen, und werde, wenn nicht ganz, (denn sie bleibt das einzige Mittel, um Deckungen zu zerstören, hat die Sprengwirkung ihrer Geschosse voraus und außerdem vieles Andere), so doch zum größeren Theil nach und nach durch die mehr und mehr verbesserten Handfeuerwaffen, vielleicht unter Mithilfe der neueren Raketen verdrängt werden. Diese Ansicht bezeichnet die extremste Mei¬ nung über den Werth der in der Durchführung begriffenen Neuerung. Für den Augenblick scheint sie noch keine Berechtigung gewonnen zu haben, und sie wird dieselbe aus oben gedachten Gründen kaum jemals ihrer ganzen Aus¬ dehnung und Tragweite nach erlangen; aber als einer reformatorischen Idee, die schon ihre Einwirkung zu üben beginnt, dürfen wir ihr unsre ernsteste Be¬ achtung nicht versagen. Der Hauptunterschied zwischen der Leistungsfähigkeit des Geschützes und der des kleinen Gewehrs hat von jeher in der größeren Percussions- oder Schlag¬ kraft der Geschosse des ersteren und der größeren Schußweite bestanden. In er¬ sterer Hinsicht mit der Artillerie zu wetteisern war selbstverständlich der Natur der Sache nach unmöglich, weil man, wenn auch sähig, die Geschwindigkeit der Ge¬ schosse der Handfeuerwaffe zu steigern, dennoch nichl im Stande war und voraus¬ sichtlich nicht im Stande sein komme, ihre Masse wesentlich zu vermehren. In Betreff der Tragweite dagegen hat man eine Art Wettkampf, der anfangs aller¬ dings nicht eben aussichtsreich war, nie aufgegeben, und man ist in letzter Zeit dabei ganz außerordentlich und in überraschender Weise glücklich gewesen. Man kann es schon jetzt als Thatsache annehmen, daß vie neueren G» wehre die Feuerwirkung der Infanterie von 300 und 400 Schritt, wo dieselbe vorher ihre Geenze gehabt halte, auf 800 Schritt, ja aus 1000 und -1200 er¬ weitert hat. Dieses ist ein Wachsen um das Doppelte und Dreifache. Da der Kariätschschuß des Sechspfünders aus 700, der des Achlpfünberö auf 800, der des Zwölfpfünders endlich aus 900 Schritte seine letzte Wirkung äußert, so ist es klar und wird nicht mehr bestellten werden können, daß innerhalb dieser ganzen Sphäre Das moderne kleine Gewehr mit ihm wetteifern kann; ja es stellt sich mehr und mehr die Ansicht fest, daß es auch in der Wirkung, V. h. in der reinen Vernichtungsfähigkeit, auf dieser Strecke hinter den Kar¬ tätschen nicht zurücksteht, d. h. mit andern Worten, daß eine kleine Spitzkugel von vier Loth innerhalb der in Reve stehenden Strecke unter den natürlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/159>, abgerufen am 03.07.2024.