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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Setzung, der modernen französischen Heere, die anßer den Nachtheilen, welche
die Beschränkung der entscheidendsten Feuerwaffe ohne Zweifel mit sich bringt,
dennoch auch mehre Vortheile bietet, und es darauf ankommt, beide gegen¬
einander abzuwägen, um zu einem berechtigten Urtheil zu gelangen.

Da im gegenwärtigen Frankreich auf tausend Mann, wie eben' entwickelt,
nur halb soviel Geschütze (nämlich 1^ anstatt drei) gerechnet werden, als in
den Tagen des großen ersten Kaisers der Franzosen, so ist klar, daß dadurch
die Beweglichkeit der neueren französischen Heere gewonnen hat. Napoleon 1.
veranschlagte für je -I°Z0 Stück Feldartillerie einen'Train von 600 Wagen;
wenn heute eine französische Armee von 40,000 Mann, auf welche jene Zahlen
berechnet waren, ins Feld rückt, wird sie, selbst wenn man (im Marimum) zwei
Geschütze auf 1 000 Mann in Rechnung stellt, deren nur 80 und ebendes¬
halb auch nur 400 Fahrzeuge bedürfen. Da indeß die Marschfähigkeit und
Beweglichkeit einer Armee nicht ihre Schlagkraft im Gefecht zu ersetzen vermag,
so ist hieraus noch keine Rechtfertigung für die in Rede stehende Neuerung zu
entnehmen; auch dürfte die Verringerung des Armeeträins kaum die Haupt¬
ursache ihrer Einführung gewesen sein. Sobald man die Sache von ihrer
praktischen Seite anfaßt, wird man die Frage nicht umgehen und unerörtert las--
sen können: ob die neueren französischen Heere irgendein früher, zumal unter
Napoleon I., nicht vorhanden gewesenes Element in sich schließen, mittelst dessen
die Feuerwirkung der Artillerie stellenweise ergänzt wird? Nur im Fall man
sein Vorhandensein nachzuweisen vermag, wird die erwähnte Rechtfertigung ge¬
geben werden können. Ich werde aus diesen Punkt hier näher eingehen, muß
aber im voraus bemerken, daß eine gewisse Umständlichkeit dabei unerläßlich
ist, weil durch abgemessene Kürze in diesem Falle nur zu leicht die Klarheit be¬
einträchtigt werden könnte, aus die bei der Darstellung alles ankommt, wenn
mau den Einblick in Fachsachen zu eröffnen hat.

Wer die Schriften von Niccolo Machiavelli und im Besonderen sein Werk
,,über die Kriegskunst" gelesen hat, wird sich erinnern, daß dieser große Denker
in der Einführung der Artillerie in das Kriegswesen eher einen Grund der
Schwächung wie der Stärkung der modernen Heere zu erkennen glaubte. Diese
Ansicht war nicht so barock, um nicht später noch Vertreter zu finden; ja die
Controverse über die Frage dehnt sich bi's in die Zeiten des siebenjährigen
Krieges hinein. Eine eigentliche Entscheidungsrolle begann die Feldartillerie
erst in den napoleonischen Schlachten zu spielen; seitdem steigerte sich ihr Ruf,
und in den dreißiger Jahren war die Ansicht ziemlich allgemein, daß -wir in
Zukunft im Wesentlichen nur Artilleriekämpfe zu erwarten haben würden. Eine
Reaction gegen diese Ueberschwenglichkeit, welche bereits von einer Umstürzung
der gcscimmten neueren Taktik träumte, trat erst mit dem Beginnen jener wich¬
tigen Erfindungen ein, die seit etwa zwanzig Jahren im Bereich der Handfeuer-


Setzung, der modernen französischen Heere, die anßer den Nachtheilen, welche
die Beschränkung der entscheidendsten Feuerwaffe ohne Zweifel mit sich bringt,
dennoch auch mehre Vortheile bietet, und es darauf ankommt, beide gegen¬
einander abzuwägen, um zu einem berechtigten Urtheil zu gelangen.

Da im gegenwärtigen Frankreich auf tausend Mann, wie eben' entwickelt,
nur halb soviel Geschütze (nämlich 1^ anstatt drei) gerechnet werden, als in
den Tagen des großen ersten Kaisers der Franzosen, so ist klar, daß dadurch
die Beweglichkeit der neueren französischen Heere gewonnen hat. Napoleon 1.
veranschlagte für je -I°Z0 Stück Feldartillerie einen'Train von 600 Wagen;
wenn heute eine französische Armee von 40,000 Mann, auf welche jene Zahlen
berechnet waren, ins Feld rückt, wird sie, selbst wenn man (im Marimum) zwei
Geschütze auf 1 000 Mann in Rechnung stellt, deren nur 80 und ebendes¬
halb auch nur 400 Fahrzeuge bedürfen. Da indeß die Marschfähigkeit und
Beweglichkeit einer Armee nicht ihre Schlagkraft im Gefecht zu ersetzen vermag,
so ist hieraus noch keine Rechtfertigung für die in Rede stehende Neuerung zu
entnehmen; auch dürfte die Verringerung des Armeeträins kaum die Haupt¬
ursache ihrer Einführung gewesen sein. Sobald man die Sache von ihrer
praktischen Seite anfaßt, wird man die Frage nicht umgehen und unerörtert las--
sen können: ob die neueren französischen Heere irgendein früher, zumal unter
Napoleon I., nicht vorhanden gewesenes Element in sich schließen, mittelst dessen
die Feuerwirkung der Artillerie stellenweise ergänzt wird? Nur im Fall man
sein Vorhandensein nachzuweisen vermag, wird die erwähnte Rechtfertigung ge¬
geben werden können. Ich werde aus diesen Punkt hier näher eingehen, muß
aber im voraus bemerken, daß eine gewisse Umständlichkeit dabei unerläßlich
ist, weil durch abgemessene Kürze in diesem Falle nur zu leicht die Klarheit be¬
einträchtigt werden könnte, aus die bei der Darstellung alles ankommt, wenn
mau den Einblick in Fachsachen zu eröffnen hat.

Wer die Schriften von Niccolo Machiavelli und im Besonderen sein Werk
,,über die Kriegskunst" gelesen hat, wird sich erinnern, daß dieser große Denker
in der Einführung der Artillerie in das Kriegswesen eher einen Grund der
Schwächung wie der Stärkung der modernen Heere zu erkennen glaubte. Diese
Ansicht war nicht so barock, um nicht später noch Vertreter zu finden; ja die
Controverse über die Frage dehnt sich bi's in die Zeiten des siebenjährigen
Krieges hinein. Eine eigentliche Entscheidungsrolle begann die Feldartillerie
erst in den napoleonischen Schlachten zu spielen; seitdem steigerte sich ihr Ruf,
und in den dreißiger Jahren war die Ansicht ziemlich allgemein, daß -wir in
Zukunft im Wesentlichen nur Artilleriekämpfe zu erwarten haben würden. Eine
Reaction gegen diese Ueberschwenglichkeit, welche bereits von einer Umstürzung
der gcscimmten neueren Taktik träumte, trat erst mit dem Beginnen jener wich¬
tigen Erfindungen ein, die seit etwa zwanzig Jahren im Bereich der Handfeuer-


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[0158] Setzung, der modernen französischen Heere, die anßer den Nachtheilen, welche die Beschränkung der entscheidendsten Feuerwaffe ohne Zweifel mit sich bringt, dennoch auch mehre Vortheile bietet, und es darauf ankommt, beide gegen¬ einander abzuwägen, um zu einem berechtigten Urtheil zu gelangen. Da im gegenwärtigen Frankreich auf tausend Mann, wie eben' entwickelt, nur halb soviel Geschütze (nämlich 1^ anstatt drei) gerechnet werden, als in den Tagen des großen ersten Kaisers der Franzosen, so ist klar, daß dadurch die Beweglichkeit der neueren französischen Heere gewonnen hat. Napoleon 1. veranschlagte für je -I°Z0 Stück Feldartillerie einen'Train von 600 Wagen; wenn heute eine französische Armee von 40,000 Mann, auf welche jene Zahlen berechnet waren, ins Feld rückt, wird sie, selbst wenn man (im Marimum) zwei Geschütze auf 1 000 Mann in Rechnung stellt, deren nur 80 und ebendes¬ halb auch nur 400 Fahrzeuge bedürfen. Da indeß die Marschfähigkeit und Beweglichkeit einer Armee nicht ihre Schlagkraft im Gefecht zu ersetzen vermag, so ist hieraus noch keine Rechtfertigung für die in Rede stehende Neuerung zu entnehmen; auch dürfte die Verringerung des Armeeträins kaum die Haupt¬ ursache ihrer Einführung gewesen sein. Sobald man die Sache von ihrer praktischen Seite anfaßt, wird man die Frage nicht umgehen und unerörtert las-- sen können: ob die neueren französischen Heere irgendein früher, zumal unter Napoleon I., nicht vorhanden gewesenes Element in sich schließen, mittelst dessen die Feuerwirkung der Artillerie stellenweise ergänzt wird? Nur im Fall man sein Vorhandensein nachzuweisen vermag, wird die erwähnte Rechtfertigung ge¬ geben werden können. Ich werde aus diesen Punkt hier näher eingehen, muß aber im voraus bemerken, daß eine gewisse Umständlichkeit dabei unerläßlich ist, weil durch abgemessene Kürze in diesem Falle nur zu leicht die Klarheit be¬ einträchtigt werden könnte, aus die bei der Darstellung alles ankommt, wenn mau den Einblick in Fachsachen zu eröffnen hat. Wer die Schriften von Niccolo Machiavelli und im Besonderen sein Werk ,,über die Kriegskunst" gelesen hat, wird sich erinnern, daß dieser große Denker in der Einführung der Artillerie in das Kriegswesen eher einen Grund der Schwächung wie der Stärkung der modernen Heere zu erkennen glaubte. Diese Ansicht war nicht so barock, um nicht später noch Vertreter zu finden; ja die Controverse über die Frage dehnt sich bi's in die Zeiten des siebenjährigen Krieges hinein. Eine eigentliche Entscheidungsrolle begann die Feldartillerie erst in den napoleonischen Schlachten zu spielen; seitdem steigerte sich ihr Ruf, und in den dreißiger Jahren war die Ansicht ziemlich allgemein, daß -wir in Zukunft im Wesentlichen nur Artilleriekämpfe zu erwarten haben würden. Eine Reaction gegen diese Ueberschwenglichkeit, welche bereits von einer Umstürzung der gcscimmten neueren Taktik träumte, trat erst mit dem Beginnen jener wich¬ tigen Erfindungen ein, die seit etwa zwanzig Jahren im Bereich der Handfeuer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/158>, abgerufen am 03.07.2024.