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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Leiter der Sekte werden sich vor extremen Maßregeln hüten und in Washing¬
ton wird man über geringfügige Ungesetzlichkeiten hinwegzusehen wissen.

Dennoch ist dem Mormonenthum in Deseret kein günstiges Horoscop zu
stellen. Möglich, daß diese Pseudoreligion sich erhält, möglich auch, daß der
Staat Deseret eine Zeitlang als Theodemokratie Bestand hat -- in seiner
jetzigen Gestalt wird keins von beiden von Dauer sein, und nicht unwahrschein¬
lich ist es, daß noch die Gehilfen Smiths den Zusammenbruch und die völlige
Umgestaltung des von ihm errichteten wunderlichen Gebäudes erleben. Nicht
von außen, wohl aber von innen, aus der Mitte der Sekte selbst wird der
Sturm sich erheben, der es stürzen wird, und zwar werden die Ursachen des
Untergangs um so eher wirken, jemehr man den Mormonen gewährt, was sie
verlangen, jemehr man sie als nichtvorhandcn betrachtet und sich selbst über¬
läßt. Die Verfolgung, das Märtyrerthum, das sie durchmachten, war der beste
Theil des Kilts, der sie zusammenhielt. Bedrohungen ihrer Existenz ließen sie
nach außen blicken und so übersah man es, daß im Innern die böse Saat böse
Früchte reifte. Sich nicht bedroht wissend, wird man in kurzem zum Gefühle
und zur Erkenntniß wenigstens der schreiendsten Mißbräuche und Irrthümer
kommen, und der Erkenntniß wird der Abfall auf dem Fuße folgen.

Die erste Störung der jetzigen Harmonie wird vermuthlich von der Viel¬
weiberei ausgehen. Man kehrt damit zu asiatischer Barbarei zurück, während
man andrerseits durch eifrige Sorge für den Unterricht die Bildung zu fördern
bestrebt ist. Man läßt den Frauen eine gleich gute Erziehung zu Theil werden,
und doch läßt man sie in der Praxis fühlen, daß sie tief unter dem Manne
stehen, doch nennt man die zarten Aufmerksamkeiten, welche die Sitte gebildeter
Nationen dem weiblichen Geschlechte zu erweisen gebietet, "heidnische Mode",
doch hat die Frau des Mormonen keinen andern Werth, als den einen
"Mutter in Israel" oder mit andern Worten, einer Maschine zur möglichst
raschen Füllung des Landes mit den sechzigtausend Einwohnern, welche zur
Verwandlung des Territoriums in einen Staat erforderlich sind. Das ist eine
Philosophie für Kaninchen und Feldmäuse, nicht für Menschen. Am wenig¬
sten aber für junge, mehr in Gefühlen, als in Berechnungen des Verstandes
lebende Menschen. In Asien werden die Harems mit Mädchen gefüllt, die man
dahin verkauft. Das Mormonengesetz dagegen erlaubt den Damen, die zur
Versiegelung begehrt werden, Einspruch zu thun, wenn sie auch mit dem Zorne
des Herrn bedroht werden, wofern sie sich seinem Willen nicht unterwerfen.
Denkt man sich nun, daß einem jungen Mädchen die Frage vorgelegt würde,
ob sie wol geneigt wäre, Frau A. Ur. 20 zu werden oder ob sie sich einem
Herrn X. vermählen lassen wolle, der nach einigen Jahren sie vernachlässige",
dann für Wochen unsichtbar werden und endlich <mes schönen Morgens ein¬
treten könne, um ihr zu sagen: "Freue mich wirklich recht sehr, dich einmal


Leiter der Sekte werden sich vor extremen Maßregeln hüten und in Washing¬
ton wird man über geringfügige Ungesetzlichkeiten hinwegzusehen wissen.

Dennoch ist dem Mormonenthum in Deseret kein günstiges Horoscop zu
stellen. Möglich, daß diese Pseudoreligion sich erhält, möglich auch, daß der
Staat Deseret eine Zeitlang als Theodemokratie Bestand hat — in seiner
jetzigen Gestalt wird keins von beiden von Dauer sein, und nicht unwahrschein¬
lich ist es, daß noch die Gehilfen Smiths den Zusammenbruch und die völlige
Umgestaltung des von ihm errichteten wunderlichen Gebäudes erleben. Nicht
von außen, wohl aber von innen, aus der Mitte der Sekte selbst wird der
Sturm sich erheben, der es stürzen wird, und zwar werden die Ursachen des
Untergangs um so eher wirken, jemehr man den Mormonen gewährt, was sie
verlangen, jemehr man sie als nichtvorhandcn betrachtet und sich selbst über¬
läßt. Die Verfolgung, das Märtyrerthum, das sie durchmachten, war der beste
Theil des Kilts, der sie zusammenhielt. Bedrohungen ihrer Existenz ließen sie
nach außen blicken und so übersah man es, daß im Innern die böse Saat böse
Früchte reifte. Sich nicht bedroht wissend, wird man in kurzem zum Gefühle
und zur Erkenntniß wenigstens der schreiendsten Mißbräuche und Irrthümer
kommen, und der Erkenntniß wird der Abfall auf dem Fuße folgen.

Die erste Störung der jetzigen Harmonie wird vermuthlich von der Viel¬
weiberei ausgehen. Man kehrt damit zu asiatischer Barbarei zurück, während
man andrerseits durch eifrige Sorge für den Unterricht die Bildung zu fördern
bestrebt ist. Man läßt den Frauen eine gleich gute Erziehung zu Theil werden,
und doch läßt man sie in der Praxis fühlen, daß sie tief unter dem Manne
stehen, doch nennt man die zarten Aufmerksamkeiten, welche die Sitte gebildeter
Nationen dem weiblichen Geschlechte zu erweisen gebietet, „heidnische Mode",
doch hat die Frau des Mormonen keinen andern Werth, als den einen
„Mutter in Israel" oder mit andern Worten, einer Maschine zur möglichst
raschen Füllung des Landes mit den sechzigtausend Einwohnern, welche zur
Verwandlung des Territoriums in einen Staat erforderlich sind. Das ist eine
Philosophie für Kaninchen und Feldmäuse, nicht für Menschen. Am wenig¬
sten aber für junge, mehr in Gefühlen, als in Berechnungen des Verstandes
lebende Menschen. In Asien werden die Harems mit Mädchen gefüllt, die man
dahin verkauft. Das Mormonengesetz dagegen erlaubt den Damen, die zur
Versiegelung begehrt werden, Einspruch zu thun, wenn sie auch mit dem Zorne
des Herrn bedroht werden, wofern sie sich seinem Willen nicht unterwerfen.
Denkt man sich nun, daß einem jungen Mädchen die Frage vorgelegt würde,
ob sie wol geneigt wäre, Frau A. Ur. 20 zu werden oder ob sie sich einem
Herrn X. vermählen lassen wolle, der nach einigen Jahren sie vernachlässige»,
dann für Wochen unsichtbar werden und endlich <mes schönen Morgens ein¬
treten könne, um ihr zu sagen: „Freue mich wirklich recht sehr, dich einmal


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[0142] Leiter der Sekte werden sich vor extremen Maßregeln hüten und in Washing¬ ton wird man über geringfügige Ungesetzlichkeiten hinwegzusehen wissen. Dennoch ist dem Mormonenthum in Deseret kein günstiges Horoscop zu stellen. Möglich, daß diese Pseudoreligion sich erhält, möglich auch, daß der Staat Deseret eine Zeitlang als Theodemokratie Bestand hat — in seiner jetzigen Gestalt wird keins von beiden von Dauer sein, und nicht unwahrschein¬ lich ist es, daß noch die Gehilfen Smiths den Zusammenbruch und die völlige Umgestaltung des von ihm errichteten wunderlichen Gebäudes erleben. Nicht von außen, wohl aber von innen, aus der Mitte der Sekte selbst wird der Sturm sich erheben, der es stürzen wird, und zwar werden die Ursachen des Untergangs um so eher wirken, jemehr man den Mormonen gewährt, was sie verlangen, jemehr man sie als nichtvorhandcn betrachtet und sich selbst über¬ läßt. Die Verfolgung, das Märtyrerthum, das sie durchmachten, war der beste Theil des Kilts, der sie zusammenhielt. Bedrohungen ihrer Existenz ließen sie nach außen blicken und so übersah man es, daß im Innern die böse Saat böse Früchte reifte. Sich nicht bedroht wissend, wird man in kurzem zum Gefühle und zur Erkenntniß wenigstens der schreiendsten Mißbräuche und Irrthümer kommen, und der Erkenntniß wird der Abfall auf dem Fuße folgen. Die erste Störung der jetzigen Harmonie wird vermuthlich von der Viel¬ weiberei ausgehen. Man kehrt damit zu asiatischer Barbarei zurück, während man andrerseits durch eifrige Sorge für den Unterricht die Bildung zu fördern bestrebt ist. Man läßt den Frauen eine gleich gute Erziehung zu Theil werden, und doch läßt man sie in der Praxis fühlen, daß sie tief unter dem Manne stehen, doch nennt man die zarten Aufmerksamkeiten, welche die Sitte gebildeter Nationen dem weiblichen Geschlechte zu erweisen gebietet, „heidnische Mode", doch hat die Frau des Mormonen keinen andern Werth, als den einen „Mutter in Israel" oder mit andern Worten, einer Maschine zur möglichst raschen Füllung des Landes mit den sechzigtausend Einwohnern, welche zur Verwandlung des Territoriums in einen Staat erforderlich sind. Das ist eine Philosophie für Kaninchen und Feldmäuse, nicht für Menschen. Am wenig¬ sten aber für junge, mehr in Gefühlen, als in Berechnungen des Verstandes lebende Menschen. In Asien werden die Harems mit Mädchen gefüllt, die man dahin verkauft. Das Mormonengesetz dagegen erlaubt den Damen, die zur Versiegelung begehrt werden, Einspruch zu thun, wenn sie auch mit dem Zorne des Herrn bedroht werden, wofern sie sich seinem Willen nicht unterwerfen. Denkt man sich nun, daß einem jungen Mädchen die Frage vorgelegt würde, ob sie wol geneigt wäre, Frau A. Ur. 20 zu werden oder ob sie sich einem Herrn X. vermählen lassen wolle, der nach einigen Jahren sie vernachlässige», dann für Wochen unsichtbar werden und endlich <mes schönen Morgens ein¬ treten könne, um ihr zu sagen: „Freue mich wirklich recht sehr, dich einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/142>, abgerufen am 02.10.2024.