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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Vortheil, in dem einen Werk vorzugsweise die innere bürgerliche Entwicklung,
in dem andern die auswärtige Politik im Auge zu behalten, und im Ganzen
bequemt sich auch die Localität dieser ideellen Trennung.

Indem wir nun mit dem Verfasser den Verlust der großen Güter, welche
uns die Entwicklung des Bürgerthums im Mittelalter in Aussicht stellte, auf
daS lebhafteste beklagen, können wir gleichwol nicht umhin, das Zugeständnis?
zu machen, daß sich die Möglichkeit dieser Entwicklung beim Fortgang des
allgemeinen politischen Lebens kaum denken läßt. So ruhmvoll sich die Hansa
eine lange Zeit hindurch behauptete, so war ihre Eristenz doch nur in den
ganz irrationeller Zuständen des Mittelalters möglich und mußte aufhören,
sobald die privatrechtliche Haltung der Politik überhaupt aufhörte. Im hei¬
ligen römischen Reich, das seit dem Fall der Hphenstaufen überhaupt aller
wirkliche" Einheit entbehrte, ließ sich ein Staat im Staate denken; mit der
entwickelten Fürstenmacht war er unvereinbar, und selbst wenn wir uns vor¬
stellen, die Geschicke Deutschlands hätten eine andere Wendung genommen,
die Kaiser hätten sich zur Herstellung der Neichseinheit mit den Städten und
dem kleinen Grundadel verbündet und mit ihrer Hilfe die Fürsten unterdrückt,
so hätte auch in dieser Entwicklung die geschlossene Form der Hansa gebrochen
werden müssen. Ebenso ist es mit der innern Städteverfassung. sowol das
Regiment der Geschlechter, als daS Regiment der Zünfte beruhte auf bürger¬
lichen Grundlagen, die seit der Einrichtung der stehenden Heere und des Be-
amtenthums allen neuen Formen des Lebens widersprachen. Zudem war die
Muuicipalsreihcit in den meisten Fällen aus der kirchlichen Immunität hervor¬
gegangen, die ihrerseits im Laufe der Zeit erliegen mußte. '

Allein damit ist keineswegs gesagt, daß die wesentliche Richtung des deut¬
schen Bürgerlebens unter den modernen Verhältnissen sich nicht wieder ähnlich
sollte gestalten können. Die innere Macht des Bürgerthums ist seit jener Zeit
keineswegs gesunken. Durch das ungeheure Wachsthum der Industrie, des
Handels, sowie durch die Vermehrung der Communicationsmittel ist jeder Stand
gezwungen, in der Weise des Bürgerthums auf Erwerb zu denken, das heißt
folgerichtig mit Ausdauer und Verstand zu arbeiten. Der Landedelmann, der
seine Güter nicht mit Benutzung aller neuentdeckten Hilfsmittel bewirthschaften
wollte, würde zu Grunde gehen und auch der Capitalist, der sein Vermögen
arbeiten läßt, muß sich gemalt nach dem Inhalt und dem Werth der Arbeit,
die er unterstützt, erkundigen, wenn ihn freilich in vielen Fällen zunächst auch
nur der Courszettel darüber aufklärt. Die bürgerliche Arbeit ist die einzige
Grundlage der modernen Gesellschaft, also auch des modernen Staats; es
kommt also nur darauf an, ihr eine politische und nationale Färbung zu ver¬
leihen , die sie im gegenwärtigen Augenblick, wo sie ängstlich an den unmittel-
baren sichern Fortgang der Geschäfte denkt, nicht hat. In der parlamentarischen


Vortheil, in dem einen Werk vorzugsweise die innere bürgerliche Entwicklung,
in dem andern die auswärtige Politik im Auge zu behalten, und im Ganzen
bequemt sich auch die Localität dieser ideellen Trennung.

Indem wir nun mit dem Verfasser den Verlust der großen Güter, welche
uns die Entwicklung des Bürgerthums im Mittelalter in Aussicht stellte, auf
daS lebhafteste beklagen, können wir gleichwol nicht umhin, das Zugeständnis?
zu machen, daß sich die Möglichkeit dieser Entwicklung beim Fortgang des
allgemeinen politischen Lebens kaum denken läßt. So ruhmvoll sich die Hansa
eine lange Zeit hindurch behauptete, so war ihre Eristenz doch nur in den
ganz irrationeller Zuständen des Mittelalters möglich und mußte aufhören,
sobald die privatrechtliche Haltung der Politik überhaupt aufhörte. Im hei¬
ligen römischen Reich, das seit dem Fall der Hphenstaufen überhaupt aller
wirkliche» Einheit entbehrte, ließ sich ein Staat im Staate denken; mit der
entwickelten Fürstenmacht war er unvereinbar, und selbst wenn wir uns vor¬
stellen, die Geschicke Deutschlands hätten eine andere Wendung genommen,
die Kaiser hätten sich zur Herstellung der Neichseinheit mit den Städten und
dem kleinen Grundadel verbündet und mit ihrer Hilfe die Fürsten unterdrückt,
so hätte auch in dieser Entwicklung die geschlossene Form der Hansa gebrochen
werden müssen. Ebenso ist es mit der innern Städteverfassung. sowol das
Regiment der Geschlechter, als daS Regiment der Zünfte beruhte auf bürger¬
lichen Grundlagen, die seit der Einrichtung der stehenden Heere und des Be-
amtenthums allen neuen Formen des Lebens widersprachen. Zudem war die
Muuicipalsreihcit in den meisten Fällen aus der kirchlichen Immunität hervor¬
gegangen, die ihrerseits im Laufe der Zeit erliegen mußte. '

Allein damit ist keineswegs gesagt, daß die wesentliche Richtung des deut¬
schen Bürgerlebens unter den modernen Verhältnissen sich nicht wieder ähnlich
sollte gestalten können. Die innere Macht des Bürgerthums ist seit jener Zeit
keineswegs gesunken. Durch das ungeheure Wachsthum der Industrie, des
Handels, sowie durch die Vermehrung der Communicationsmittel ist jeder Stand
gezwungen, in der Weise des Bürgerthums auf Erwerb zu denken, das heißt
folgerichtig mit Ausdauer und Verstand zu arbeiten. Der Landedelmann, der
seine Güter nicht mit Benutzung aller neuentdeckten Hilfsmittel bewirthschaften
wollte, würde zu Grunde gehen und auch der Capitalist, der sein Vermögen
arbeiten läßt, muß sich gemalt nach dem Inhalt und dem Werth der Arbeit,
die er unterstützt, erkundigen, wenn ihn freilich in vielen Fällen zunächst auch
nur der Courszettel darüber aufklärt. Die bürgerliche Arbeit ist die einzige
Grundlage der modernen Gesellschaft, also auch des modernen Staats; es
kommt also nur darauf an, ihr eine politische und nationale Färbung zu ver¬
leihen , die sie im gegenwärtigen Augenblick, wo sie ängstlich an den unmittel-
baren sichern Fortgang der Geschäfte denkt, nicht hat. In der parlamentarischen


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[0133] Vortheil, in dem einen Werk vorzugsweise die innere bürgerliche Entwicklung, in dem andern die auswärtige Politik im Auge zu behalten, und im Ganzen bequemt sich auch die Localität dieser ideellen Trennung. Indem wir nun mit dem Verfasser den Verlust der großen Güter, welche uns die Entwicklung des Bürgerthums im Mittelalter in Aussicht stellte, auf daS lebhafteste beklagen, können wir gleichwol nicht umhin, das Zugeständnis? zu machen, daß sich die Möglichkeit dieser Entwicklung beim Fortgang des allgemeinen politischen Lebens kaum denken läßt. So ruhmvoll sich die Hansa eine lange Zeit hindurch behauptete, so war ihre Eristenz doch nur in den ganz irrationeller Zuständen des Mittelalters möglich und mußte aufhören, sobald die privatrechtliche Haltung der Politik überhaupt aufhörte. Im hei¬ ligen römischen Reich, das seit dem Fall der Hphenstaufen überhaupt aller wirkliche» Einheit entbehrte, ließ sich ein Staat im Staate denken; mit der entwickelten Fürstenmacht war er unvereinbar, und selbst wenn wir uns vor¬ stellen, die Geschicke Deutschlands hätten eine andere Wendung genommen, die Kaiser hätten sich zur Herstellung der Neichseinheit mit den Städten und dem kleinen Grundadel verbündet und mit ihrer Hilfe die Fürsten unterdrückt, so hätte auch in dieser Entwicklung die geschlossene Form der Hansa gebrochen werden müssen. Ebenso ist es mit der innern Städteverfassung. sowol das Regiment der Geschlechter, als daS Regiment der Zünfte beruhte auf bürger¬ lichen Grundlagen, die seit der Einrichtung der stehenden Heere und des Be- amtenthums allen neuen Formen des Lebens widersprachen. Zudem war die Muuicipalsreihcit in den meisten Fällen aus der kirchlichen Immunität hervor¬ gegangen, die ihrerseits im Laufe der Zeit erliegen mußte. ' Allein damit ist keineswegs gesagt, daß die wesentliche Richtung des deut¬ schen Bürgerlebens unter den modernen Verhältnissen sich nicht wieder ähnlich sollte gestalten können. Die innere Macht des Bürgerthums ist seit jener Zeit keineswegs gesunken. Durch das ungeheure Wachsthum der Industrie, des Handels, sowie durch die Vermehrung der Communicationsmittel ist jeder Stand gezwungen, in der Weise des Bürgerthums auf Erwerb zu denken, das heißt folgerichtig mit Ausdauer und Verstand zu arbeiten. Der Landedelmann, der seine Güter nicht mit Benutzung aller neuentdeckten Hilfsmittel bewirthschaften wollte, würde zu Grunde gehen und auch der Capitalist, der sein Vermögen arbeiten läßt, muß sich gemalt nach dem Inhalt und dem Werth der Arbeit, die er unterstützt, erkundigen, wenn ihn freilich in vielen Fällen zunächst auch nur der Courszettel darüber aufklärt. Die bürgerliche Arbeit ist die einzige Grundlage der modernen Gesellschaft, also auch des modernen Staats; es kommt also nur darauf an, ihr eine politische und nationale Färbung zu ver¬ leihen , die sie im gegenwärtigen Augenblick, wo sie ängstlich an den unmittel- baren sichern Fortgang der Geschäfte denkt, nicht hat. In der parlamentarischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/133>, abgerufen am 03.07.2024.