Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vorzusehen, wird es auch wol gelingen, dieselbe herzustellen. Sobald man sich
aber ins Einzelne einläßt, verliert sich dieser Zusammenhang. Bald regt sich
der Geist der neuen Zeit in der einen Stadt, bald in der andern: der Geschicht¬
schreiber muß die Localität fortwährend wechseln, und doch ist er genöthigt, auch-
für jede einzelne Stadt die Continuität festzuhalten, weil man sonst vieles in
seiner Erzählung gar nicht verstehen würde. Dabei machen die Reibungen der
einzelnen Parteien untereinander, so wichtig und inhaltschwer sie sind, wenn
man sie in ihrer Beziehung auf das Allgemeine betrachtet, doch fast in jedem
einzelnen Fall einen recht kläglichen und niederschlagenden Eindruck, und es
wird dem Geschichtschreiber schwer, bei sich selbst und bei den Lesern das Gefühl
der Verstimmung ganz zu vermeiden. Vollständig ist dieser Uebelstand nicht
zu beseitigen, auch wenn sich eine Meisterhand der Aufgabe unterzöge, doch
gibt es manche Kunstgriffe, um ihn weniger fühlbar zu machen; man muß die
Zeitabschnitte sehr scharf markiren und zum Schluß eines jeden eine bis ins
Detail des bürgerlichen Lebens eingehende Sittenschilderung geben, an welche
sich dann gleichsam als Beispiele die Berichte aus den einzelnen Städten, die
in der eigentlichen Erzählung keinen schicklichen Platz fanden, anknüpfen
lassen; sodann muß man jede Handlung, die einen längeren Faden ge¬
stattet und einen einigermaßen dramatischen Charakter an sich trägt,,sorg¬
fältig ausbeuten und die größte Ausführlichkeit nicht scheuen, um dadurch
einen Stamm herzustellen, an welchen sich die übrigen, weniger anregen¬
den Ereignisse wie Zweige anheften lassen. Herr Barthold hat Beides
gethan, allein wie es uns scheint nicht in dem wünschenswerthen Um¬
fang, obgleich es hier für den draußen Stehenden schwer fällt, ein ganz
unbefangenes Urtheil zu fällen, da eine feste Regel, diese formlose Masse zu
gruppiren, sich kaum auffinden läßt. Den weiteren Kunstgriff, den Herr
Bartholv anwendet, zeigt schon die Ueberschrift. Er hat nämlich die Geschichte
der Hansa von der Geschichte der deutschen Städte getrennt. Wenn man erwähnt,
paß beide Werke für eine und dieselbe Sammlung bestimmt sind, während das
erste doch nur ein Theil des zweiten ist, so erregt tuese Trennung zunächst
einiges Befremden, allein es läßt sich doch viel dafür sagen, den" so vielfach
die Beziehungen sind, welche die Hanseaten mit den oberdeutschen Städten ver¬
flechten, und so gleichförmig nach beiven Seiten hin die innere Entwicklung
verläuft, so bildet doch die Hansa einen zwar nicht entwickelten, aber in der
Anlage beachtenswerthen Staat, der eine selbstständige, zuweilen großartige
Politik verfolgte und der eine Zeit hindurch dem Auslande gegenüber die Macht
der deutschen Nation vert,eden mußte. In den oberdeutschen Städten ist zu
diesem Staatsleben auch nicht einmal ein Anlauf genommen; ihre Bündnisse
hatten einen rein defensiven Charakter und waren auf vorübergehende Verhält¬
nisse berechnet. Durch die Trennung gewinnt also der Geschichtschreiber den


vorzusehen, wird es auch wol gelingen, dieselbe herzustellen. Sobald man sich
aber ins Einzelne einläßt, verliert sich dieser Zusammenhang. Bald regt sich
der Geist der neuen Zeit in der einen Stadt, bald in der andern: der Geschicht¬
schreiber muß die Localität fortwährend wechseln, und doch ist er genöthigt, auch-
für jede einzelne Stadt die Continuität festzuhalten, weil man sonst vieles in
seiner Erzählung gar nicht verstehen würde. Dabei machen die Reibungen der
einzelnen Parteien untereinander, so wichtig und inhaltschwer sie sind, wenn
man sie in ihrer Beziehung auf das Allgemeine betrachtet, doch fast in jedem
einzelnen Fall einen recht kläglichen und niederschlagenden Eindruck, und es
wird dem Geschichtschreiber schwer, bei sich selbst und bei den Lesern das Gefühl
der Verstimmung ganz zu vermeiden. Vollständig ist dieser Uebelstand nicht
zu beseitigen, auch wenn sich eine Meisterhand der Aufgabe unterzöge, doch
gibt es manche Kunstgriffe, um ihn weniger fühlbar zu machen; man muß die
Zeitabschnitte sehr scharf markiren und zum Schluß eines jeden eine bis ins
Detail des bürgerlichen Lebens eingehende Sittenschilderung geben, an welche
sich dann gleichsam als Beispiele die Berichte aus den einzelnen Städten, die
in der eigentlichen Erzählung keinen schicklichen Platz fanden, anknüpfen
lassen; sodann muß man jede Handlung, die einen längeren Faden ge¬
stattet und einen einigermaßen dramatischen Charakter an sich trägt,,sorg¬
fältig ausbeuten und die größte Ausführlichkeit nicht scheuen, um dadurch
einen Stamm herzustellen, an welchen sich die übrigen, weniger anregen¬
den Ereignisse wie Zweige anheften lassen. Herr Barthold hat Beides
gethan, allein wie es uns scheint nicht in dem wünschenswerthen Um¬
fang, obgleich es hier für den draußen Stehenden schwer fällt, ein ganz
unbefangenes Urtheil zu fällen, da eine feste Regel, diese formlose Masse zu
gruppiren, sich kaum auffinden läßt. Den weiteren Kunstgriff, den Herr
Bartholv anwendet, zeigt schon die Ueberschrift. Er hat nämlich die Geschichte
der Hansa von der Geschichte der deutschen Städte getrennt. Wenn man erwähnt,
paß beide Werke für eine und dieselbe Sammlung bestimmt sind, während das
erste doch nur ein Theil des zweiten ist, so erregt tuese Trennung zunächst
einiges Befremden, allein es läßt sich doch viel dafür sagen, den» so vielfach
die Beziehungen sind, welche die Hanseaten mit den oberdeutschen Städten ver¬
flechten, und so gleichförmig nach beiven Seiten hin die innere Entwicklung
verläuft, so bildet doch die Hansa einen zwar nicht entwickelten, aber in der
Anlage beachtenswerthen Staat, der eine selbstständige, zuweilen großartige
Politik verfolgte und der eine Zeit hindurch dem Auslande gegenüber die Macht
der deutschen Nation vert,eden mußte. In den oberdeutschen Städten ist zu
diesem Staatsleben auch nicht einmal ein Anlauf genommen; ihre Bündnisse
hatten einen rein defensiven Charakter und waren auf vorübergehende Verhält¬
nisse berechnet. Durch die Trennung gewinnt also der Geschichtschreiber den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99518"/>
            <p xml:id="ID_462" prev="#ID_461" next="#ID_463"> vorzusehen, wird es auch wol gelingen, dieselbe herzustellen. Sobald man sich<lb/>
aber ins Einzelne einläßt, verliert sich dieser Zusammenhang. Bald regt sich<lb/>
der Geist der neuen Zeit in der einen Stadt, bald in der andern: der Geschicht¬<lb/>
schreiber muß die Localität fortwährend wechseln, und doch ist er genöthigt, auch-<lb/>
für jede einzelne Stadt die Continuität festzuhalten, weil man sonst vieles in<lb/>
seiner Erzählung gar nicht verstehen würde. Dabei machen die Reibungen der<lb/>
einzelnen Parteien untereinander, so wichtig und inhaltschwer sie sind, wenn<lb/>
man sie in ihrer Beziehung auf das Allgemeine betrachtet, doch fast in jedem<lb/>
einzelnen Fall einen recht kläglichen und niederschlagenden Eindruck, und es<lb/>
wird dem Geschichtschreiber schwer, bei sich selbst und bei den Lesern das Gefühl<lb/>
der Verstimmung ganz zu vermeiden. Vollständig ist dieser Uebelstand nicht<lb/>
zu beseitigen, auch wenn sich eine Meisterhand der Aufgabe unterzöge, doch<lb/>
gibt es manche Kunstgriffe, um ihn weniger fühlbar zu machen; man muß die<lb/>
Zeitabschnitte sehr scharf markiren und zum Schluß eines jeden eine bis ins<lb/>
Detail des bürgerlichen Lebens eingehende Sittenschilderung geben, an welche<lb/>
sich dann gleichsam als Beispiele die Berichte aus den einzelnen Städten, die<lb/>
in der eigentlichen Erzählung keinen schicklichen Platz fanden, anknüpfen<lb/>
lassen; sodann muß man jede Handlung, die einen längeren Faden ge¬<lb/>
stattet und einen einigermaßen dramatischen Charakter an sich trägt,,sorg¬<lb/>
fältig ausbeuten und die größte Ausführlichkeit nicht scheuen, um dadurch<lb/>
einen Stamm herzustellen, an welchen sich die übrigen, weniger anregen¬<lb/>
den Ereignisse wie Zweige anheften lassen. Herr Barthold hat Beides<lb/>
gethan, allein wie es uns scheint nicht in dem wünschenswerthen Um¬<lb/>
fang, obgleich es hier für den draußen Stehenden schwer fällt, ein ganz<lb/>
unbefangenes Urtheil zu fällen, da eine feste Regel, diese formlose Masse zu<lb/>
gruppiren, sich kaum auffinden läßt. Den weiteren Kunstgriff, den Herr<lb/>
Bartholv anwendet, zeigt schon die Ueberschrift. Er hat nämlich die Geschichte<lb/>
der Hansa von der Geschichte der deutschen Städte getrennt. Wenn man erwähnt,<lb/>
paß beide Werke für eine und dieselbe Sammlung bestimmt sind, während das<lb/>
erste doch nur ein Theil des zweiten ist, so erregt tuese Trennung zunächst<lb/>
einiges Befremden, allein es läßt sich doch viel dafür sagen, den» so vielfach<lb/>
die Beziehungen sind, welche die Hanseaten mit den oberdeutschen Städten ver¬<lb/>
flechten, und so gleichförmig nach beiven Seiten hin die innere Entwicklung<lb/>
verläuft, so bildet doch die Hansa einen zwar nicht entwickelten, aber in der<lb/>
Anlage beachtenswerthen Staat, der eine selbstständige, zuweilen großartige<lb/>
Politik verfolgte und der eine Zeit hindurch dem Auslande gegenüber die Macht<lb/>
der deutschen Nation vert,eden mußte. In den oberdeutschen Städten ist zu<lb/>
diesem Staatsleben auch nicht einmal ein Anlauf genommen; ihre Bündnisse<lb/>
hatten einen rein defensiven Charakter und waren auf vorübergehende Verhält¬<lb/>
nisse berechnet.  Durch die Trennung gewinnt also der Geschichtschreiber den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] vorzusehen, wird es auch wol gelingen, dieselbe herzustellen. Sobald man sich aber ins Einzelne einläßt, verliert sich dieser Zusammenhang. Bald regt sich der Geist der neuen Zeit in der einen Stadt, bald in der andern: der Geschicht¬ schreiber muß die Localität fortwährend wechseln, und doch ist er genöthigt, auch- für jede einzelne Stadt die Continuität festzuhalten, weil man sonst vieles in seiner Erzählung gar nicht verstehen würde. Dabei machen die Reibungen der einzelnen Parteien untereinander, so wichtig und inhaltschwer sie sind, wenn man sie in ihrer Beziehung auf das Allgemeine betrachtet, doch fast in jedem einzelnen Fall einen recht kläglichen und niederschlagenden Eindruck, und es wird dem Geschichtschreiber schwer, bei sich selbst und bei den Lesern das Gefühl der Verstimmung ganz zu vermeiden. Vollständig ist dieser Uebelstand nicht zu beseitigen, auch wenn sich eine Meisterhand der Aufgabe unterzöge, doch gibt es manche Kunstgriffe, um ihn weniger fühlbar zu machen; man muß die Zeitabschnitte sehr scharf markiren und zum Schluß eines jeden eine bis ins Detail des bürgerlichen Lebens eingehende Sittenschilderung geben, an welche sich dann gleichsam als Beispiele die Berichte aus den einzelnen Städten, die in der eigentlichen Erzählung keinen schicklichen Platz fanden, anknüpfen lassen; sodann muß man jede Handlung, die einen längeren Faden ge¬ stattet und einen einigermaßen dramatischen Charakter an sich trägt,,sorg¬ fältig ausbeuten und die größte Ausführlichkeit nicht scheuen, um dadurch einen Stamm herzustellen, an welchen sich die übrigen, weniger anregen¬ den Ereignisse wie Zweige anheften lassen. Herr Barthold hat Beides gethan, allein wie es uns scheint nicht in dem wünschenswerthen Um¬ fang, obgleich es hier für den draußen Stehenden schwer fällt, ein ganz unbefangenes Urtheil zu fällen, da eine feste Regel, diese formlose Masse zu gruppiren, sich kaum auffinden läßt. Den weiteren Kunstgriff, den Herr Bartholv anwendet, zeigt schon die Ueberschrift. Er hat nämlich die Geschichte der Hansa von der Geschichte der deutschen Städte getrennt. Wenn man erwähnt, paß beide Werke für eine und dieselbe Sammlung bestimmt sind, während das erste doch nur ein Theil des zweiten ist, so erregt tuese Trennung zunächst einiges Befremden, allein es läßt sich doch viel dafür sagen, den» so vielfach die Beziehungen sind, welche die Hanseaten mit den oberdeutschen Städten ver¬ flechten, und so gleichförmig nach beiven Seiten hin die innere Entwicklung verläuft, so bildet doch die Hansa einen zwar nicht entwickelten, aber in der Anlage beachtenswerthen Staat, der eine selbstständige, zuweilen großartige Politik verfolgte und der eine Zeit hindurch dem Auslande gegenüber die Macht der deutschen Nation vert,eden mußte. In den oberdeutschen Städten ist zu diesem Staatsleben auch nicht einmal ein Anlauf genommen; ihre Bündnisse hatten einen rein defensiven Charakter und waren auf vorübergehende Verhält¬ nisse berechnet. Durch die Trennung gewinnt also der Geschichtschreiber den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/132>, abgerufen am 03.07.2024.