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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Denn allerdings hat die Naturforschung noch ganz andre Entdeckungen
gemacht, als die, welche dem Leben und der Kunst dienen. Seitdem Kepler
und Newton die Gesetze ausgestellt haben, welche unser Sonnensystem regieren,
haben Kant und Laplace eine neue Kosmogonie skizzirt und ihre Hypothesen
sind Lehrsätze der Wissenschaft geworden. Man mag die Wissenschaft, soweit
sie als Magd dem Leben dient, man mag sie nicht, wo sie sich zur Richterin
der Schöpfungsgeschichte aufwirft und Natur und Geist vor ihr Tribunal zieht.

Wenn die ewigen Aufgaben des Geistes könnten in den Hintergrund ge¬
stellt werden, wenn der Wissenschaft ebenso wie einem Cavalerieregiment zur
Umkehr geblasen werden könnte, ihr würdet, und wenn ihr alle Wände mit
Bildern bemaltet, doch nur ein Zeitalter bequemer Barbarei Heraufrufen.

Man philosophirt jetzt nicht mehr; es ist eine Pause eingetreten; aber
so vielfach Kant geirrt hat, an den Anfang seiner Bahnen wird man zurück¬
gehen, wenn man wieder zu Philosophien beginnen wird. Er hat die Auf¬
gabe aller Philosophie vorgezeichnet.

Laplace hat die Gesetze, welche unser Sonnensystem regieren und die
einzelnen Störungen derselben, die zur Erhaltung des Ganzen mitwirken, so
genau entwickelt, daß auf diese Grundlage hin neue Planeten im Weltenraume
haben entdeckt werden können. Sein großes Werk bleibt die Grundlage für
die Astronomie aller Zeiten. Wo andre nur krause Zeichen sehen, erblickt der
Eingeweihte die Noten für die Harmonie der Sphären und den Tanz der Gestirne.

Die Naturforschung fliegt, unbeirrt von dem finstern Geschrei hinter ihr her,
von Entdeckung zu Entdeckung. Wenig kümmert Sees, wenn ihre Hervor-
>bringungen auf den Inder der römischen Curie gestellt werden. Trium-
phirend geht sie unter den Bannstrahlen jeglicher Hierarchie vorwärts. Das
Gebell gegen sie ist grade in neuester Zeit wieder laut geworden. In
den Kerker kann man die Galileis nicht mehr werfen; man verdächtigt sie.
Man verketzert die Wissenschaft in Zierathen und Bildern; sie wird diese Zier¬
athen und diese Bilder überleben. Und es bedarf keines neuen Hercules, um
die prometheischen Lichtbringer von dem papiernen Felsen der Verachtung, an
den man sie anheftet, zu erlösen.

Aber wozu ein solcher Aufwand von Worten und Beweisgründen gegen
die Arbeit leichter Künstlerlaune? Warum soll man mit pedantischen Ernst an
dem mäkeln, was der sprudelnde Humor eines Meisters hinwarf. Der Humor!
Auf der Scene, von welcher hier die Rede, sehen wir keinen Humor. Es ist
ein sehr nüchtern, tendenziös, absichtlich Geschaffenes. -- Und das letzte Kenn¬
zeichen des Humors, die souveräne Freiheit, welche aus^em sicheren Verständniß
des vernünftigen Lebens der Welt hervorgeht, und welche in liebevollem Spiel
auch das Verkehrte und Nichtige zu adeln weiß, sie sehlt dem betreffenden Bilde
ganz. Dagegen ist ohnmächtiger und faber Spott gegen Erhabenes darin.


Denn allerdings hat die Naturforschung noch ganz andre Entdeckungen
gemacht, als die, welche dem Leben und der Kunst dienen. Seitdem Kepler
und Newton die Gesetze ausgestellt haben, welche unser Sonnensystem regieren,
haben Kant und Laplace eine neue Kosmogonie skizzirt und ihre Hypothesen
sind Lehrsätze der Wissenschaft geworden. Man mag die Wissenschaft, soweit
sie als Magd dem Leben dient, man mag sie nicht, wo sie sich zur Richterin
der Schöpfungsgeschichte aufwirft und Natur und Geist vor ihr Tribunal zieht.

Wenn die ewigen Aufgaben des Geistes könnten in den Hintergrund ge¬
stellt werden, wenn der Wissenschaft ebenso wie einem Cavalerieregiment zur
Umkehr geblasen werden könnte, ihr würdet, und wenn ihr alle Wände mit
Bildern bemaltet, doch nur ein Zeitalter bequemer Barbarei Heraufrufen.

Man philosophirt jetzt nicht mehr; es ist eine Pause eingetreten; aber
so vielfach Kant geirrt hat, an den Anfang seiner Bahnen wird man zurück¬
gehen, wenn man wieder zu Philosophien beginnen wird. Er hat die Auf¬
gabe aller Philosophie vorgezeichnet.

Laplace hat die Gesetze, welche unser Sonnensystem regieren und die
einzelnen Störungen derselben, die zur Erhaltung des Ganzen mitwirken, so
genau entwickelt, daß auf diese Grundlage hin neue Planeten im Weltenraume
haben entdeckt werden können. Sein großes Werk bleibt die Grundlage für
die Astronomie aller Zeiten. Wo andre nur krause Zeichen sehen, erblickt der
Eingeweihte die Noten für die Harmonie der Sphären und den Tanz der Gestirne.

Die Naturforschung fliegt, unbeirrt von dem finstern Geschrei hinter ihr her,
von Entdeckung zu Entdeckung. Wenig kümmert Sees, wenn ihre Hervor-
>bringungen auf den Inder der römischen Curie gestellt werden. Trium-
phirend geht sie unter den Bannstrahlen jeglicher Hierarchie vorwärts. Das
Gebell gegen sie ist grade in neuester Zeit wieder laut geworden. In
den Kerker kann man die Galileis nicht mehr werfen; man verdächtigt sie.
Man verketzert die Wissenschaft in Zierathen und Bildern; sie wird diese Zier¬
athen und diese Bilder überleben. Und es bedarf keines neuen Hercules, um
die prometheischen Lichtbringer von dem papiernen Felsen der Verachtung, an
den man sie anheftet, zu erlösen.

Aber wozu ein solcher Aufwand von Worten und Beweisgründen gegen
die Arbeit leichter Künstlerlaune? Warum soll man mit pedantischen Ernst an
dem mäkeln, was der sprudelnde Humor eines Meisters hinwarf. Der Humor!
Auf der Scene, von welcher hier die Rede, sehen wir keinen Humor. Es ist
ein sehr nüchtern, tendenziös, absichtlich Geschaffenes. — Und das letzte Kenn¬
zeichen des Humors, die souveräne Freiheit, welche aus^em sicheren Verständniß
des vernünftigen Lebens der Welt hervorgeht, und welche in liebevollem Spiel
auch das Verkehrte und Nichtige zu adeln weiß, sie sehlt dem betreffenden Bilde
ganz. Dagegen ist ohnmächtiger und faber Spott gegen Erhabenes darin.


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[0120] Denn allerdings hat die Naturforschung noch ganz andre Entdeckungen gemacht, als die, welche dem Leben und der Kunst dienen. Seitdem Kepler und Newton die Gesetze ausgestellt haben, welche unser Sonnensystem regieren, haben Kant und Laplace eine neue Kosmogonie skizzirt und ihre Hypothesen sind Lehrsätze der Wissenschaft geworden. Man mag die Wissenschaft, soweit sie als Magd dem Leben dient, man mag sie nicht, wo sie sich zur Richterin der Schöpfungsgeschichte aufwirft und Natur und Geist vor ihr Tribunal zieht. Wenn die ewigen Aufgaben des Geistes könnten in den Hintergrund ge¬ stellt werden, wenn der Wissenschaft ebenso wie einem Cavalerieregiment zur Umkehr geblasen werden könnte, ihr würdet, und wenn ihr alle Wände mit Bildern bemaltet, doch nur ein Zeitalter bequemer Barbarei Heraufrufen. Man philosophirt jetzt nicht mehr; es ist eine Pause eingetreten; aber so vielfach Kant geirrt hat, an den Anfang seiner Bahnen wird man zurück¬ gehen, wenn man wieder zu Philosophien beginnen wird. Er hat die Auf¬ gabe aller Philosophie vorgezeichnet. Laplace hat die Gesetze, welche unser Sonnensystem regieren und die einzelnen Störungen derselben, die zur Erhaltung des Ganzen mitwirken, so genau entwickelt, daß auf diese Grundlage hin neue Planeten im Weltenraume haben entdeckt werden können. Sein großes Werk bleibt die Grundlage für die Astronomie aller Zeiten. Wo andre nur krause Zeichen sehen, erblickt der Eingeweihte die Noten für die Harmonie der Sphären und den Tanz der Gestirne. Die Naturforschung fliegt, unbeirrt von dem finstern Geschrei hinter ihr her, von Entdeckung zu Entdeckung. Wenig kümmert Sees, wenn ihre Hervor- >bringungen auf den Inder der römischen Curie gestellt werden. Trium- phirend geht sie unter den Bannstrahlen jeglicher Hierarchie vorwärts. Das Gebell gegen sie ist grade in neuester Zeit wieder laut geworden. In den Kerker kann man die Galileis nicht mehr werfen; man verdächtigt sie. Man verketzert die Wissenschaft in Zierathen und Bildern; sie wird diese Zier¬ athen und diese Bilder überleben. Und es bedarf keines neuen Hercules, um die prometheischen Lichtbringer von dem papiernen Felsen der Verachtung, an den man sie anheftet, zu erlösen. Aber wozu ein solcher Aufwand von Worten und Beweisgründen gegen die Arbeit leichter Künstlerlaune? Warum soll man mit pedantischen Ernst an dem mäkeln, was der sprudelnde Humor eines Meisters hinwarf. Der Humor! Auf der Scene, von welcher hier die Rede, sehen wir keinen Humor. Es ist ein sehr nüchtern, tendenziös, absichtlich Geschaffenes. — Und das letzte Kenn¬ zeichen des Humors, die souveräne Freiheit, welche aus^em sicheren Verständniß des vernünftigen Lebens der Welt hervorgeht, und welche in liebevollem Spiel auch das Verkehrte und Nichtige zu adeln weiß, sie sehlt dem betreffenden Bilde ganz. Dagegen ist ohnmächtiger und faber Spott gegen Erhabenes darin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/120>, abgerufen am 01.07.2024.