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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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früher begegnen sich in ihr die classischen und die romantischen Formen; und
die Niebelungenstrophe allein hat die Gedichte nicht deutscher gemacht. Wie
unsre Großväter über die Barden und dir Hermannsschlachten, unsre Väter
über die Zauberringe und die Schlangentödter gelächelt haben, werden unsre
Enkel über die modernen Reproduktionen der Tarnkappe und der Walküren,
über die Zwerge und die Drachen und die nach dem heiligen Grab fahrenden
Recken gar oft zu lachen haben. Auch die lyrischen Klänge des Mittelalters
sind nicht mehr der Ausdruck unsres Seins. Ebensowenig wie Volkers Fidelbogen,
unsern Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Mendelssohn aus unsren Con¬
certsälen vertreiben wird, ebensowenig wird der aufgewärmte Minnesang unsre
neue Lyrik, die mit Goethe anfängt, verdrängen oder durchdringen. Was
einmal Leiche ist, läßt sich durch den galvanischen Proceß zwar aufrichten, aber
nicht wieder beleben. Das Interesse an der altdeutschen Poesie ist rein geschicht¬
lich, nicht unmittelbar; und was blos historisch, ist zu kalt, um in die lebens¬
warmen Adern der Gegenwart überzugehen.

Also noch einmal: -- die Verklärung Goethes, Humboldts, Grimms ist
so natürlich, so gerechtfertigt, -- wenn sie nur nicht auf Kosten dAlemberts,
Kants, Laplaces und der Naturforscher hätte stattfinden sollen. Male
Kaulbach immerhin fromme Knabengesichter; -- sie gelingen ihm so schon
und ein jeder bewundert sie; -- aber warum Fratzen für daS Edle?

Bei deu Erfolgen, welche die Naturwissenschaften und die Mechanik für
das Leben errungen haben, sollte endlich einmal das thörichte Hepp, Hepp,
das sie noch immer verfolgt, aufhören. In spätrer Zeit wird man den Blöd¬
sinn, der sie verschrien hat, ebenso ansehen, wie man jetzt die Herenprocesse,
die Judenverfolgungen und die Autodafes des Mittelalters betrachtet. Grade
die bildenden Künstler sollten den Fortschritten der Naturkunde den größten
Beifall schenken. Der Künstler kann, Dank dem Dampfwagen und der Schraube,
in merkwürdig kurzer Zeit alle Welttheile durchstreifen Und ihre malerischen
Gegenden, Monumente und Ruinen durch das Licht der Souue selbst aufs
genaNeste skizziren lassen, um sie nachher mit dem poetischen Eindruck, den sie
auf ihn gemacht haben, künstlerisch auf die Leinwand zu bringen; die Eisen¬
bahnen haben ihm die Kunstschätze der gebildeten Welt zu erstaunlich schneller
Benutzung nahe gebracht; die Stereochromie verleiht seinen Bildern und Farben
Unvergänglichkeit; die Chemie hat ihm neue Glasfarben, die den alten ver¬
gessenen kaum nachstehen, aufgesucht, der Elektromagnetismus trägt seine Be¬
stellungen auf den Flügeln der Morgenröthe in alle Winde; die mechanischen
Künste verrichten TagÄ>öhnerdienste bei den Bauten, die seine Hand entwirft
und schmückt. Es ist undankbar, die Dienste zu schmähen, deren man nicht
entbehren kann; undankbar, an andern nur die Dienste zu loben, die sie einem
selbst leihen.


früher begegnen sich in ihr die classischen und die romantischen Formen; und
die Niebelungenstrophe allein hat die Gedichte nicht deutscher gemacht. Wie
unsre Großväter über die Barden und dir Hermannsschlachten, unsre Väter
über die Zauberringe und die Schlangentödter gelächelt haben, werden unsre
Enkel über die modernen Reproduktionen der Tarnkappe und der Walküren,
über die Zwerge und die Drachen und die nach dem heiligen Grab fahrenden
Recken gar oft zu lachen haben. Auch die lyrischen Klänge des Mittelalters
sind nicht mehr der Ausdruck unsres Seins. Ebensowenig wie Volkers Fidelbogen,
unsern Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Mendelssohn aus unsren Con¬
certsälen vertreiben wird, ebensowenig wird der aufgewärmte Minnesang unsre
neue Lyrik, die mit Goethe anfängt, verdrängen oder durchdringen. Was
einmal Leiche ist, läßt sich durch den galvanischen Proceß zwar aufrichten, aber
nicht wieder beleben. Das Interesse an der altdeutschen Poesie ist rein geschicht¬
lich, nicht unmittelbar; und was blos historisch, ist zu kalt, um in die lebens¬
warmen Adern der Gegenwart überzugehen.

Also noch einmal: — die Verklärung Goethes, Humboldts, Grimms ist
so natürlich, so gerechtfertigt, — wenn sie nur nicht auf Kosten dAlemberts,
Kants, Laplaces und der Naturforscher hätte stattfinden sollen. Male
Kaulbach immerhin fromme Knabengesichter; — sie gelingen ihm so schon
und ein jeder bewundert sie; — aber warum Fratzen für daS Edle?

Bei deu Erfolgen, welche die Naturwissenschaften und die Mechanik für
das Leben errungen haben, sollte endlich einmal das thörichte Hepp, Hepp,
das sie noch immer verfolgt, aufhören. In spätrer Zeit wird man den Blöd¬
sinn, der sie verschrien hat, ebenso ansehen, wie man jetzt die Herenprocesse,
die Judenverfolgungen und die Autodafes des Mittelalters betrachtet. Grade
die bildenden Künstler sollten den Fortschritten der Naturkunde den größten
Beifall schenken. Der Künstler kann, Dank dem Dampfwagen und der Schraube,
in merkwürdig kurzer Zeit alle Welttheile durchstreifen Und ihre malerischen
Gegenden, Monumente und Ruinen durch das Licht der Souue selbst aufs
genaNeste skizziren lassen, um sie nachher mit dem poetischen Eindruck, den sie
auf ihn gemacht haben, künstlerisch auf die Leinwand zu bringen; die Eisen¬
bahnen haben ihm die Kunstschätze der gebildeten Welt zu erstaunlich schneller
Benutzung nahe gebracht; die Stereochromie verleiht seinen Bildern und Farben
Unvergänglichkeit; die Chemie hat ihm neue Glasfarben, die den alten ver¬
gessenen kaum nachstehen, aufgesucht, der Elektromagnetismus trägt seine Be¬
stellungen auf den Flügeln der Morgenröthe in alle Winde; die mechanischen
Künste verrichten TagÄ>öhnerdienste bei den Bauten, die seine Hand entwirft
und schmückt. Es ist undankbar, die Dienste zu schmähen, deren man nicht
entbehren kann; undankbar, an andern nur die Dienste zu loben, die sie einem
selbst leihen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/119>, abgerufen am 03.07.2024.