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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Ritterthum und die Sentimentalität in Prosa und Versen aufgebracht, er hat
Pas Kunstgerechte, wie das Volkstümliche auf gleiche Weise angebaut; und
ist namentlich im Faust ebensowol allegorisirend, als mythologisirend zu Werke
gegangen. Kurz, sein Geist ist ein Nester der mannigfaltigsten und verschieden¬
artigsten Richtungen. Und so läßt sich denn auch, aus Faust, wie aus Goethes
Werken überhaupt, gleichviel für als gegen die rationalistisch philosophische
Ansicht herausführen. Die am häufigsten angeführten Stellen sind dieses In¬
halts; sie brauchen nicht erst wiederholt zu werden. Ihr mögt eS wenden, wie
ihr wollt, -- das zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft blickende
Janusbild wird nie nur nach einer Seite schauen.

Alexander von Humboldt hält den Kosmos in der Hand, sein letztes und
berühmtestes Werk. Es legt die Resultate der bisherigen Naturforschung dar,
ohne darauf Ansprüche zu machen, neue Untersuchungen mitzutheilen. Hum¬
boldts eigne Forschungen haben sich auf eudivmetrische Versuche, die er mit
Gay Lussac zusammen angestellt hat, auf Beobachtungen an den durch Elektri¬
cität gereizten Nerven und Muskelfasern, auf die Untersuchung unterirdischer
Gasarten, auf die Wahrnehmungen, welche er auf seinen amerikanischen, ita¬
lienischen, asiatischen Reisen an Vulkanen, an Wüsten, an der malerischen
Wirkung der Pflanzennatur gemacht hat, auf einen Entwurf der Pflanzen¬
geographie, auf die Erforschung der geognostischen Verhältnisse der Felsen¬
gebirge beider Hemisphären, auf die Durchsuchung und Schilderung der vorher
nicht besuchten oder mangelhaft beschriebenen Gegenden, auf die Entdeckung
neuer Thiere und Pflanzen und in seiner Jugendzeit auf Untersuchung der
Verhältnisse der Salzlager erstreckt; er hat eine große Menge Höhen-, Breiten-
und Längenmessungen vorgenommen; er zuerst hat die Isothermen eingeführt;
außer der unermeßlichen Thätigkeit, die er so verschiedenen Zweigen der Natur¬
kunde zugewendet hat, verdankt sie ihm die großartige Anregung zu magnetischen
Beobachtungen und die mannigfaltigste Aufmunterung junger Kräfte in allen
Richtungen der Forschung. In seinen Ansichten der Natur hat er sich als
einen der größten Meister der Darstellung gezeigt und die deutsche Sprache
hat nichts Unvergänglicheres aufzuweisen, als manche Seiten dieses Buchs.
Er ist zugleich ein mustergiltiger Schriftsteller der Franzosen. In dem astro¬
nomischen Theile des Kosmos ist er vielfach, wie er selbst anerkannt hat,
Mädler gefolgt, der höchstens für einen der kleinsten Satelliten des Jupiter
Laplace gelten kann. Mit Erröthen müßte selbst ein Humboldt sich verklärt,
Laplace verketzert sehen, wenn es sich einzig und allein um die reine Wissen¬
schaft handelte.

Und hier fragt ein jeder sehr natürlich, ob nicht Humboldt ganz und gar
unter die mit krausbartigem Schlüssel arbeitenden Naturforscher gehört und


Ritterthum und die Sentimentalität in Prosa und Versen aufgebracht, er hat
Pas Kunstgerechte, wie das Volkstümliche auf gleiche Weise angebaut; und
ist namentlich im Faust ebensowol allegorisirend, als mythologisirend zu Werke
gegangen. Kurz, sein Geist ist ein Nester der mannigfaltigsten und verschieden¬
artigsten Richtungen. Und so läßt sich denn auch, aus Faust, wie aus Goethes
Werken überhaupt, gleichviel für als gegen die rationalistisch philosophische
Ansicht herausführen. Die am häufigsten angeführten Stellen sind dieses In¬
halts; sie brauchen nicht erst wiederholt zu werden. Ihr mögt eS wenden, wie
ihr wollt, — das zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft blickende
Janusbild wird nie nur nach einer Seite schauen.

Alexander von Humboldt hält den Kosmos in der Hand, sein letztes und
berühmtestes Werk. Es legt die Resultate der bisherigen Naturforschung dar,
ohne darauf Ansprüche zu machen, neue Untersuchungen mitzutheilen. Hum¬
boldts eigne Forschungen haben sich auf eudivmetrische Versuche, die er mit
Gay Lussac zusammen angestellt hat, auf Beobachtungen an den durch Elektri¬
cität gereizten Nerven und Muskelfasern, auf die Untersuchung unterirdischer
Gasarten, auf die Wahrnehmungen, welche er auf seinen amerikanischen, ita¬
lienischen, asiatischen Reisen an Vulkanen, an Wüsten, an der malerischen
Wirkung der Pflanzennatur gemacht hat, auf einen Entwurf der Pflanzen¬
geographie, auf die Erforschung der geognostischen Verhältnisse der Felsen¬
gebirge beider Hemisphären, auf die Durchsuchung und Schilderung der vorher
nicht besuchten oder mangelhaft beschriebenen Gegenden, auf die Entdeckung
neuer Thiere und Pflanzen und in seiner Jugendzeit auf Untersuchung der
Verhältnisse der Salzlager erstreckt; er hat eine große Menge Höhen-, Breiten-
und Längenmessungen vorgenommen; er zuerst hat die Isothermen eingeführt;
außer der unermeßlichen Thätigkeit, die er so verschiedenen Zweigen der Natur¬
kunde zugewendet hat, verdankt sie ihm die großartige Anregung zu magnetischen
Beobachtungen und die mannigfaltigste Aufmunterung junger Kräfte in allen
Richtungen der Forschung. In seinen Ansichten der Natur hat er sich als
einen der größten Meister der Darstellung gezeigt und die deutsche Sprache
hat nichts Unvergänglicheres aufzuweisen, als manche Seiten dieses Buchs.
Er ist zugleich ein mustergiltiger Schriftsteller der Franzosen. In dem astro¬
nomischen Theile des Kosmos ist er vielfach, wie er selbst anerkannt hat,
Mädler gefolgt, der höchstens für einen der kleinsten Satelliten des Jupiter
Laplace gelten kann. Mit Erröthen müßte selbst ein Humboldt sich verklärt,
Laplace verketzert sehen, wenn es sich einzig und allein um die reine Wissen¬
schaft handelte.

Und hier fragt ein jeder sehr natürlich, ob nicht Humboldt ganz und gar
unter die mit krausbartigem Schlüssel arbeitenden Naturforscher gehört und


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[0117] Ritterthum und die Sentimentalität in Prosa und Versen aufgebracht, er hat Pas Kunstgerechte, wie das Volkstümliche auf gleiche Weise angebaut; und ist namentlich im Faust ebensowol allegorisirend, als mythologisirend zu Werke gegangen. Kurz, sein Geist ist ein Nester der mannigfaltigsten und verschieden¬ artigsten Richtungen. Und so läßt sich denn auch, aus Faust, wie aus Goethes Werken überhaupt, gleichviel für als gegen die rationalistisch philosophische Ansicht herausführen. Die am häufigsten angeführten Stellen sind dieses In¬ halts; sie brauchen nicht erst wiederholt zu werden. Ihr mögt eS wenden, wie ihr wollt, — das zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft blickende Janusbild wird nie nur nach einer Seite schauen. Alexander von Humboldt hält den Kosmos in der Hand, sein letztes und berühmtestes Werk. Es legt die Resultate der bisherigen Naturforschung dar, ohne darauf Ansprüche zu machen, neue Untersuchungen mitzutheilen. Hum¬ boldts eigne Forschungen haben sich auf eudivmetrische Versuche, die er mit Gay Lussac zusammen angestellt hat, auf Beobachtungen an den durch Elektri¬ cität gereizten Nerven und Muskelfasern, auf die Untersuchung unterirdischer Gasarten, auf die Wahrnehmungen, welche er auf seinen amerikanischen, ita¬ lienischen, asiatischen Reisen an Vulkanen, an Wüsten, an der malerischen Wirkung der Pflanzennatur gemacht hat, auf einen Entwurf der Pflanzen¬ geographie, auf die Erforschung der geognostischen Verhältnisse der Felsen¬ gebirge beider Hemisphären, auf die Durchsuchung und Schilderung der vorher nicht besuchten oder mangelhaft beschriebenen Gegenden, auf die Entdeckung neuer Thiere und Pflanzen und in seiner Jugendzeit auf Untersuchung der Verhältnisse der Salzlager erstreckt; er hat eine große Menge Höhen-, Breiten- und Längenmessungen vorgenommen; er zuerst hat die Isothermen eingeführt; außer der unermeßlichen Thätigkeit, die er so verschiedenen Zweigen der Natur¬ kunde zugewendet hat, verdankt sie ihm die großartige Anregung zu magnetischen Beobachtungen und die mannigfaltigste Aufmunterung junger Kräfte in allen Richtungen der Forschung. In seinen Ansichten der Natur hat er sich als einen der größten Meister der Darstellung gezeigt und die deutsche Sprache hat nichts Unvergänglicheres aufzuweisen, als manche Seiten dieses Buchs. Er ist zugleich ein mustergiltiger Schriftsteller der Franzosen. In dem astro¬ nomischen Theile des Kosmos ist er vielfach, wie er selbst anerkannt hat, Mädler gefolgt, der höchstens für einen der kleinsten Satelliten des Jupiter Laplace gelten kann. Mit Erröthen müßte selbst ein Humboldt sich verklärt, Laplace verketzert sehen, wenn es sich einzig und allein um die reine Wissen¬ schaft handelte. Und hier fragt ein jeder sehr natürlich, ob nicht Humboldt ganz und gar unter die mit krausbartigem Schlüssel arbeitenden Naturforscher gehört und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/117>, abgerufen am 03.07.2024.