Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

selten sind, wüßte man es nicht, eine Inschrift aus dem Carton belehrte dar¬
über; es sind Naturforscher, mit den Schlüsseln des experimentalen Verfahrens;
"zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel," sagt mit Fausts
Worten Kaulbach in seiner Überschrift zu diesen Schlüsseln; und man erräth
leicht, es sind diese rohen Geselleir dAlembcrt und seine Mitarbeiter an der
französischen Encyklopädie.

Daneben sieht man mit einer Fratze, gegen welche das Gesicht, das König
Nimrod in seinem Wahnsinn zieht, menschlich schön genannt werden kann, den
Vater "der kritischen Philosophie, den Königsberger Weisen, durch die Kritik
der reinen Vernunft, die er in der Hand hält, deutlich genug auch ohne
Namensüberschrift kenntlich gemacht. Zur Seite gezeichnet, blickt er in das
Treiben der obengeschilderten Naturforscher hin, unter die er durch seine phy¬
sische Beschreibung der Erde sich ja ohnehin gestellt hat.

Weiterhin tritt, mit der wöeaniquv ".vleste in Händen, ähnlich carrikirt,
Laplace entgegen, dem die Kanlbachsche Inschrift einen Ausspruch Lalandes
unterschiebt, den Ausspruch: "Ich habe vierzig Jahre in den Himmel geblickt
und keinen Gott bemerkt." Aber Lalande oder Laplace, gleichviel: sind doch
alle Astronomen dieselben frechen Heiden.

Oben erscheint ein elektrischer Apparat, eine Batterie Leidener Flaschen.
Was bedarf es mehr, als der Abbildung einer solchen Vorrichtung, um die
Bestrebungen der Naturforschung lächerlich zu machen. Hat man doch mit
den Schlägen der Voltaischen Säule in todten Gliedern ein lebensartigeö
Zucken der Muskeln hervorgebracht. Wieweit ist es von da bis zu der An¬
maßung, selbst Leben hervorzubringen, -- einen Homunculus zu schaffen, --
und alle Thätigkeit und alle Aeußerungen der Seele nur noch für elektrische
Reizungen von Muskelfasern und Nerven zu erklären! Und äfft nicht die Bat¬
terie der Leidener Flaschen mit ihren Funken und ihrem Knistern den Blitz und
den Donner nach? Hat die kleine Maschine nicht die Frechheit, aus den Hän¬
den des strafenden Gottes Blitz und Donner reißen zu wollen, indem sie .beides
zu einem bloßen Spiel herabwürdigt? In welchen andern Apparaten summirt
sich so schön die ganze Thorheit naturforschender Bestrebungen? Ehre, dem
Ehre gebührt. Den elektrischen Apparaten ist mit Recht eine Stelle auf der
ganzen Tafel eingeräumt; sie stehen auf der bisher beschriebenen Hälfte des
Bildes in der Mitte und obenan.

Denn freilich hat das Bild noch seine andre Seite. Wie in der Naphael-
schen Loge himmlische Verklärung und irdischer Jammer einander gegenüber-
gestellt sind, eines über dem andern, so stehen hier die Verklärung der Kunst
und der Wissenschaft dem Jammer der Kritik und der Wissenschaft gegenüber,
nur der Länge nach eines neben dem andern; -- aber habe ich richtig gesagt,
Kunst und Wissenschaft.auf der einen, Kritik und Wissenschaft auf der andern


selten sind, wüßte man es nicht, eine Inschrift aus dem Carton belehrte dar¬
über; es sind Naturforscher, mit den Schlüsseln des experimentalen Verfahrens;
„zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel," sagt mit Fausts
Worten Kaulbach in seiner Überschrift zu diesen Schlüsseln; und man erräth
leicht, es sind diese rohen Geselleir dAlembcrt und seine Mitarbeiter an der
französischen Encyklopädie.

Daneben sieht man mit einer Fratze, gegen welche das Gesicht, das König
Nimrod in seinem Wahnsinn zieht, menschlich schön genannt werden kann, den
Vater «der kritischen Philosophie, den Königsberger Weisen, durch die Kritik
der reinen Vernunft, die er in der Hand hält, deutlich genug auch ohne
Namensüberschrift kenntlich gemacht. Zur Seite gezeichnet, blickt er in das
Treiben der obengeschilderten Naturforscher hin, unter die er durch seine phy¬
sische Beschreibung der Erde sich ja ohnehin gestellt hat.

Weiterhin tritt, mit der wöeaniquv «.vleste in Händen, ähnlich carrikirt,
Laplace entgegen, dem die Kanlbachsche Inschrift einen Ausspruch Lalandes
unterschiebt, den Ausspruch: „Ich habe vierzig Jahre in den Himmel geblickt
und keinen Gott bemerkt." Aber Lalande oder Laplace, gleichviel: sind doch
alle Astronomen dieselben frechen Heiden.

Oben erscheint ein elektrischer Apparat, eine Batterie Leidener Flaschen.
Was bedarf es mehr, als der Abbildung einer solchen Vorrichtung, um die
Bestrebungen der Naturforschung lächerlich zu machen. Hat man doch mit
den Schlägen der Voltaischen Säule in todten Gliedern ein lebensartigeö
Zucken der Muskeln hervorgebracht. Wieweit ist es von da bis zu der An¬
maßung, selbst Leben hervorzubringen, — einen Homunculus zu schaffen, —
und alle Thätigkeit und alle Aeußerungen der Seele nur noch für elektrische
Reizungen von Muskelfasern und Nerven zu erklären! Und äfft nicht die Bat¬
terie der Leidener Flaschen mit ihren Funken und ihrem Knistern den Blitz und
den Donner nach? Hat die kleine Maschine nicht die Frechheit, aus den Hän¬
den des strafenden Gottes Blitz und Donner reißen zu wollen, indem sie .beides
zu einem bloßen Spiel herabwürdigt? In welchen andern Apparaten summirt
sich so schön die ganze Thorheit naturforschender Bestrebungen? Ehre, dem
Ehre gebührt. Den elektrischen Apparaten ist mit Recht eine Stelle auf der
ganzen Tafel eingeräumt; sie stehen auf der bisher beschriebenen Hälfte des
Bildes in der Mitte und obenan.

Denn freilich hat das Bild noch seine andre Seite. Wie in der Naphael-
schen Loge himmlische Verklärung und irdischer Jammer einander gegenüber-
gestellt sind, eines über dem andern, so stehen hier die Verklärung der Kunst
und der Wissenschaft dem Jammer der Kritik und der Wissenschaft gegenüber,
nur der Länge nach eines neben dem andern; — aber habe ich richtig gesagt,
Kunst und Wissenschaft.auf der einen, Kritik und Wissenschaft auf der andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99498"/>
          <p xml:id="ID_360" prev="#ID_359"> selten sind, wüßte man es nicht, eine Inschrift aus dem Carton belehrte dar¬<lb/>
über; es sind Naturforscher, mit den Schlüsseln des experimentalen Verfahrens;<lb/>
&#x201E;zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel," sagt mit Fausts<lb/>
Worten Kaulbach in seiner Überschrift zu diesen Schlüsseln; und man erräth<lb/>
leicht, es sind diese rohen Geselleir dAlembcrt und seine Mitarbeiter an der<lb/>
französischen Encyklopädie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_361"> Daneben sieht man mit einer Fratze, gegen welche das Gesicht, das König<lb/>
Nimrod in seinem Wahnsinn zieht, menschlich schön genannt werden kann, den<lb/>
Vater «der kritischen Philosophie, den Königsberger Weisen, durch die Kritik<lb/>
der reinen Vernunft, die er in der Hand hält, deutlich genug auch ohne<lb/>
Namensüberschrift kenntlich gemacht. Zur Seite gezeichnet, blickt er in das<lb/>
Treiben der obengeschilderten Naturforscher hin, unter die er durch seine phy¬<lb/>
sische Beschreibung der Erde sich ja ohnehin gestellt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_362"> Weiterhin tritt, mit der wöeaniquv «.vleste in Händen, ähnlich carrikirt,<lb/>
Laplace entgegen, dem die Kanlbachsche Inschrift einen Ausspruch Lalandes<lb/>
unterschiebt, den Ausspruch: &#x201E;Ich habe vierzig Jahre in den Himmel geblickt<lb/>
und keinen Gott bemerkt." Aber Lalande oder Laplace, gleichviel: sind doch<lb/>
alle Astronomen dieselben frechen Heiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_363"> Oben erscheint ein elektrischer Apparat, eine Batterie Leidener Flaschen.<lb/>
Was bedarf es mehr, als der Abbildung einer solchen Vorrichtung, um die<lb/>
Bestrebungen der Naturforschung lächerlich zu machen. Hat man doch mit<lb/>
den Schlägen der Voltaischen Säule in todten Gliedern ein lebensartigeö<lb/>
Zucken der Muskeln hervorgebracht. Wieweit ist es von da bis zu der An¬<lb/>
maßung, selbst Leben hervorzubringen, &#x2014; einen Homunculus zu schaffen, &#x2014;<lb/>
und alle Thätigkeit und alle Aeußerungen der Seele nur noch für elektrische<lb/>
Reizungen von Muskelfasern und Nerven zu erklären! Und äfft nicht die Bat¬<lb/>
terie der Leidener Flaschen mit ihren Funken und ihrem Knistern den Blitz und<lb/>
den Donner nach? Hat die kleine Maschine nicht die Frechheit, aus den Hän¬<lb/>
den des strafenden Gottes Blitz und Donner reißen zu wollen, indem sie .beides<lb/>
zu einem bloßen Spiel herabwürdigt? In welchen andern Apparaten summirt<lb/>
sich so schön die ganze Thorheit naturforschender Bestrebungen? Ehre, dem<lb/>
Ehre gebührt. Den elektrischen Apparaten ist mit Recht eine Stelle auf der<lb/>
ganzen Tafel eingeräumt; sie stehen auf der bisher beschriebenen Hälfte des<lb/>
Bildes in der Mitte und obenan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_364" next="#ID_365"> Denn freilich hat das Bild noch seine andre Seite. Wie in der Naphael-<lb/>
schen Loge himmlische Verklärung und irdischer Jammer einander gegenüber-<lb/>
gestellt sind, eines über dem andern, so stehen hier die Verklärung der Kunst<lb/>
und der Wissenschaft dem Jammer der Kritik und der Wissenschaft gegenüber,<lb/>
nur der Länge nach eines neben dem andern; &#x2014; aber habe ich richtig gesagt,<lb/>
Kunst und Wissenschaft.auf der einen, Kritik und Wissenschaft auf der andern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] selten sind, wüßte man es nicht, eine Inschrift aus dem Carton belehrte dar¬ über; es sind Naturforscher, mit den Schlüsseln des experimentalen Verfahrens; „zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel," sagt mit Fausts Worten Kaulbach in seiner Überschrift zu diesen Schlüsseln; und man erräth leicht, es sind diese rohen Geselleir dAlembcrt und seine Mitarbeiter an der französischen Encyklopädie. Daneben sieht man mit einer Fratze, gegen welche das Gesicht, das König Nimrod in seinem Wahnsinn zieht, menschlich schön genannt werden kann, den Vater «der kritischen Philosophie, den Königsberger Weisen, durch die Kritik der reinen Vernunft, die er in der Hand hält, deutlich genug auch ohne Namensüberschrift kenntlich gemacht. Zur Seite gezeichnet, blickt er in das Treiben der obengeschilderten Naturforscher hin, unter die er durch seine phy¬ sische Beschreibung der Erde sich ja ohnehin gestellt hat. Weiterhin tritt, mit der wöeaniquv «.vleste in Händen, ähnlich carrikirt, Laplace entgegen, dem die Kanlbachsche Inschrift einen Ausspruch Lalandes unterschiebt, den Ausspruch: „Ich habe vierzig Jahre in den Himmel geblickt und keinen Gott bemerkt." Aber Lalande oder Laplace, gleichviel: sind doch alle Astronomen dieselben frechen Heiden. Oben erscheint ein elektrischer Apparat, eine Batterie Leidener Flaschen. Was bedarf es mehr, als der Abbildung einer solchen Vorrichtung, um die Bestrebungen der Naturforschung lächerlich zu machen. Hat man doch mit den Schlägen der Voltaischen Säule in todten Gliedern ein lebensartigeö Zucken der Muskeln hervorgebracht. Wieweit ist es von da bis zu der An¬ maßung, selbst Leben hervorzubringen, — einen Homunculus zu schaffen, — und alle Thätigkeit und alle Aeußerungen der Seele nur noch für elektrische Reizungen von Muskelfasern und Nerven zu erklären! Und äfft nicht die Bat¬ terie der Leidener Flaschen mit ihren Funken und ihrem Knistern den Blitz und den Donner nach? Hat die kleine Maschine nicht die Frechheit, aus den Hän¬ den des strafenden Gottes Blitz und Donner reißen zu wollen, indem sie .beides zu einem bloßen Spiel herabwürdigt? In welchen andern Apparaten summirt sich so schön die ganze Thorheit naturforschender Bestrebungen? Ehre, dem Ehre gebührt. Den elektrischen Apparaten ist mit Recht eine Stelle auf der ganzen Tafel eingeräumt; sie stehen auf der bisher beschriebenen Hälfte des Bildes in der Mitte und obenan. Denn freilich hat das Bild noch seine andre Seite. Wie in der Naphael- schen Loge himmlische Verklärung und irdischer Jammer einander gegenüber- gestellt sind, eines über dem andern, so stehen hier die Verklärung der Kunst und der Wissenschaft dem Jammer der Kritik und der Wissenschaft gegenüber, nur der Länge nach eines neben dem andern; — aber habe ich richtig gesagt, Kunst und Wissenschaft.auf der einen, Kritik und Wissenschaft auf der andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/112>, abgerufen am 01.07.2024.