Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ungen geliefert und endlich seine Gründe gegen die Existenz der Seele noch¬
mals entwickelt. Zwar sind die Persönlichkeiten, welche die ersten 48 Seiten
füllen, kein >zur Besprechung in diesen Blättern geeigneter Gegenstand, aber
der Hauptinhalt des Buches,, die Untersuchung über den Ursprung der Men-
schenracen, ist/von Vogt mit der ihn auszeichnenden schärfen Dialektik und
vorzüglicher Darstellungsgabe der Art ausgearbeitet, daß es sehr der Mühe
werth ist, ihm darin zu folgen.

Es handelt sich nämlich, wie wir vorausschicken wollen, darum, ob die
verschiedenen Menschenracen verschiedene Arten einer Gattung oder verschiedene
Spielarten einer Art sind. Dies ist nichts weniger als ein Wortstreit, wie
aus der Definition der Begriffe hervorgeht. Gattung ist nämlich eine Zu-
sammengruppirung ähnlicher Arten, welche mehr oder weniger willkürlich
ist; zu einer Art (gpeews) gehören dagegen alle Organismen, deren Ab¬
stammung von einem Urgeschöpf oder einem Paare derselben möglich ist;
Spielarten (Varietäten) sind aber nur die Abweichungen derselben Art, welche
durch äußere Einflüsse bewirkt werden und welche also gelegentlich wieder in
ihre Urform zurückkehren ^können; der Begriff Race war ursprünglich mit Va¬
rietät gleichbedeutend, ist aber in diesem Streite immer unbestimmter geworden,
weil es eben streitig ist, ob er mit Art oder Spielart gleichbedeutend gesetzt
werden soll. Der Streit, ob die Menschenracen Varietäten oder Arten sind,
ist also identisch mit dem, ob alle Menschen von einem Paare herstammen
können ode.r nicht.

Bei den Pflanzen gibt es ein recht sicheres Mittel zur Entscheidung ähn¬
licher Streitfragen, da Samen von Spielarten, unter gleichen Bedingungen
gesäet, in einer oder einigen Generationen gleiche Pflanzen hervorbringen, ein
Umstand, welcher z. B. die Gärtner nöthigte, die veredelten Gewächse durch
Stecklinge, Pfropfreiser u. s. w. fortzupflanzen, weil sie durch Samen meistens
nur sogenannte Wildlinge erziehen können. Bei den Thieren dagegen ist dieser
Versuch nicht anzustellen, hier muß häufig der anatomische Bau allein entschei¬
den, aber es gibt doch auch in der Fortpflanzung Gesetze, welche auf die Ab¬
stammung zurückschließen lassen. Wagner hat in dieser Hinsicht mit größerem
Rechte, als ihm Vogt zugestehen will, auf.ein Naturgesetz zum Schutz der
historischen Arten hingewiesen, daß nämlich die Bastarde (Sprößlinge zweier
verschiedener Thierarten) unfruchtbar feien und ausstürben. Diesen unbedingten
Satz zu widerlegen hat Vogt allerdings leicht gesunden, und er zählt eine
Menge fruchtbarer Bastarde auf, indem er zugleich die Behauptung Wagners,
der ewige Arten, z. B. Ziege und Schaf, Dromedar und Trampelthier zu
einer verschmelzen will, mit siegreichen anatomischen Gründen widerlegt. In
der That erzeugen Pferd und Esel, Hund und Wolf, Hund und Fuchs, Schaf
und Ziege, Steinbock und Ziege, Dromedar und Trampelthier fruchtbare Ba-


Grenzboten. II. 1863. 13

ungen geliefert und endlich seine Gründe gegen die Existenz der Seele noch¬
mals entwickelt. Zwar sind die Persönlichkeiten, welche die ersten 48 Seiten
füllen, kein >zur Besprechung in diesen Blättern geeigneter Gegenstand, aber
der Hauptinhalt des Buches,, die Untersuchung über den Ursprung der Men-
schenracen, ist/von Vogt mit der ihn auszeichnenden schärfen Dialektik und
vorzüglicher Darstellungsgabe der Art ausgearbeitet, daß es sehr der Mühe
werth ist, ihm darin zu folgen.

Es handelt sich nämlich, wie wir vorausschicken wollen, darum, ob die
verschiedenen Menschenracen verschiedene Arten einer Gattung oder verschiedene
Spielarten einer Art sind. Dies ist nichts weniger als ein Wortstreit, wie
aus der Definition der Begriffe hervorgeht. Gattung ist nämlich eine Zu-
sammengruppirung ähnlicher Arten, welche mehr oder weniger willkürlich
ist; zu einer Art (gpeews) gehören dagegen alle Organismen, deren Ab¬
stammung von einem Urgeschöpf oder einem Paare derselben möglich ist;
Spielarten (Varietäten) sind aber nur die Abweichungen derselben Art, welche
durch äußere Einflüsse bewirkt werden und welche also gelegentlich wieder in
ihre Urform zurückkehren ^können; der Begriff Race war ursprünglich mit Va¬
rietät gleichbedeutend, ist aber in diesem Streite immer unbestimmter geworden,
weil es eben streitig ist, ob er mit Art oder Spielart gleichbedeutend gesetzt
werden soll. Der Streit, ob die Menschenracen Varietäten oder Arten sind,
ist also identisch mit dem, ob alle Menschen von einem Paare herstammen
können ode.r nicht.

Bei den Pflanzen gibt es ein recht sicheres Mittel zur Entscheidung ähn¬
licher Streitfragen, da Samen von Spielarten, unter gleichen Bedingungen
gesäet, in einer oder einigen Generationen gleiche Pflanzen hervorbringen, ein
Umstand, welcher z. B. die Gärtner nöthigte, die veredelten Gewächse durch
Stecklinge, Pfropfreiser u. s. w. fortzupflanzen, weil sie durch Samen meistens
nur sogenannte Wildlinge erziehen können. Bei den Thieren dagegen ist dieser
Versuch nicht anzustellen, hier muß häufig der anatomische Bau allein entschei¬
den, aber es gibt doch auch in der Fortpflanzung Gesetze, welche auf die Ab¬
stammung zurückschließen lassen. Wagner hat in dieser Hinsicht mit größerem
Rechte, als ihm Vogt zugestehen will, auf.ein Naturgesetz zum Schutz der
historischen Arten hingewiesen, daß nämlich die Bastarde (Sprößlinge zweier
verschiedener Thierarten) unfruchtbar feien und ausstürben. Diesen unbedingten
Satz zu widerlegen hat Vogt allerdings leicht gesunden, und er zählt eine
Menge fruchtbarer Bastarde auf, indem er zugleich die Behauptung Wagners,
der ewige Arten, z. B. Ziege und Schaf, Dromedar und Trampelthier zu
einer verschmelzen will, mit siegreichen anatomischen Gründen widerlegt. In
der That erzeugen Pferd und Esel, Hund und Wolf, Hund und Fuchs, Schaf
und Ziege, Steinbock und Ziege, Dromedar und Trampelthier fruchtbare Ba-


Grenzboten. II. 1863. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99491"/>
          <p xml:id="ID_339" prev="#ID_338"> ungen geliefert und endlich seine Gründe gegen die Existenz der Seele noch¬<lb/>
mals entwickelt. Zwar sind die Persönlichkeiten, welche die ersten 48 Seiten<lb/>
füllen, kein &gt;zur Besprechung in diesen Blättern geeigneter Gegenstand, aber<lb/>
der Hauptinhalt des Buches,, die Untersuchung über den Ursprung der Men-<lb/>
schenracen, ist/von Vogt mit der ihn auszeichnenden schärfen Dialektik und<lb/>
vorzüglicher Darstellungsgabe der Art ausgearbeitet, daß es sehr der Mühe<lb/>
werth ist, ihm darin zu folgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_340"> Es handelt sich nämlich, wie wir vorausschicken wollen, darum, ob die<lb/>
verschiedenen Menschenracen verschiedene Arten einer Gattung oder verschiedene<lb/>
Spielarten einer Art sind. Dies ist nichts weniger als ein Wortstreit, wie<lb/>
aus der Definition der Begriffe hervorgeht. Gattung ist nämlich eine Zu-<lb/>
sammengruppirung ähnlicher Arten, welche mehr oder weniger willkürlich<lb/>
ist; zu einer Art (gpeews) gehören dagegen alle Organismen, deren Ab¬<lb/>
stammung von einem Urgeschöpf oder einem Paare derselben möglich ist;<lb/>
Spielarten (Varietäten) sind aber nur die Abweichungen derselben Art, welche<lb/>
durch äußere Einflüsse bewirkt werden und welche also gelegentlich wieder in<lb/>
ihre Urform zurückkehren ^können; der Begriff Race war ursprünglich mit Va¬<lb/>
rietät gleichbedeutend, ist aber in diesem Streite immer unbestimmter geworden,<lb/>
weil es eben streitig ist, ob er mit Art oder Spielart gleichbedeutend gesetzt<lb/>
werden soll. Der Streit, ob die Menschenracen Varietäten oder Arten sind,<lb/>
ist also identisch mit dem, ob alle Menschen von einem Paare herstammen<lb/>
können ode.r nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_341" next="#ID_342"> Bei den Pflanzen gibt es ein recht sicheres Mittel zur Entscheidung ähn¬<lb/>
licher Streitfragen, da Samen von Spielarten, unter gleichen Bedingungen<lb/>
gesäet, in einer oder einigen Generationen gleiche Pflanzen hervorbringen, ein<lb/>
Umstand, welcher z. B. die Gärtner nöthigte, die veredelten Gewächse durch<lb/>
Stecklinge, Pfropfreiser u. s. w. fortzupflanzen, weil sie durch Samen meistens<lb/>
nur sogenannte Wildlinge erziehen können. Bei den Thieren dagegen ist dieser<lb/>
Versuch nicht anzustellen, hier muß häufig der anatomische Bau allein entschei¬<lb/>
den, aber es gibt doch auch in der Fortpflanzung Gesetze, welche auf die Ab¬<lb/>
stammung zurückschließen lassen. Wagner hat in dieser Hinsicht mit größerem<lb/>
Rechte, als ihm Vogt zugestehen will, auf.ein Naturgesetz zum Schutz der<lb/>
historischen Arten hingewiesen, daß nämlich die Bastarde (Sprößlinge zweier<lb/>
verschiedener Thierarten) unfruchtbar feien und ausstürben. Diesen unbedingten<lb/>
Satz zu widerlegen hat Vogt allerdings leicht gesunden, und er zählt eine<lb/>
Menge fruchtbarer Bastarde auf, indem er zugleich die Behauptung Wagners,<lb/>
der ewige Arten, z. B. Ziege und Schaf, Dromedar und Trampelthier zu<lb/>
einer verschmelzen will, mit siegreichen anatomischen Gründen widerlegt. In<lb/>
der That erzeugen Pferd und Esel, Hund und Wolf, Hund und Fuchs, Schaf<lb/>
und Ziege, Steinbock und Ziege, Dromedar und Trampelthier fruchtbare Ba-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. 1863. 13</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] ungen geliefert und endlich seine Gründe gegen die Existenz der Seele noch¬ mals entwickelt. Zwar sind die Persönlichkeiten, welche die ersten 48 Seiten füllen, kein >zur Besprechung in diesen Blättern geeigneter Gegenstand, aber der Hauptinhalt des Buches,, die Untersuchung über den Ursprung der Men- schenracen, ist/von Vogt mit der ihn auszeichnenden schärfen Dialektik und vorzüglicher Darstellungsgabe der Art ausgearbeitet, daß es sehr der Mühe werth ist, ihm darin zu folgen. Es handelt sich nämlich, wie wir vorausschicken wollen, darum, ob die verschiedenen Menschenracen verschiedene Arten einer Gattung oder verschiedene Spielarten einer Art sind. Dies ist nichts weniger als ein Wortstreit, wie aus der Definition der Begriffe hervorgeht. Gattung ist nämlich eine Zu- sammengruppirung ähnlicher Arten, welche mehr oder weniger willkürlich ist; zu einer Art (gpeews) gehören dagegen alle Organismen, deren Ab¬ stammung von einem Urgeschöpf oder einem Paare derselben möglich ist; Spielarten (Varietäten) sind aber nur die Abweichungen derselben Art, welche durch äußere Einflüsse bewirkt werden und welche also gelegentlich wieder in ihre Urform zurückkehren ^können; der Begriff Race war ursprünglich mit Va¬ rietät gleichbedeutend, ist aber in diesem Streite immer unbestimmter geworden, weil es eben streitig ist, ob er mit Art oder Spielart gleichbedeutend gesetzt werden soll. Der Streit, ob die Menschenracen Varietäten oder Arten sind, ist also identisch mit dem, ob alle Menschen von einem Paare herstammen können ode.r nicht. Bei den Pflanzen gibt es ein recht sicheres Mittel zur Entscheidung ähn¬ licher Streitfragen, da Samen von Spielarten, unter gleichen Bedingungen gesäet, in einer oder einigen Generationen gleiche Pflanzen hervorbringen, ein Umstand, welcher z. B. die Gärtner nöthigte, die veredelten Gewächse durch Stecklinge, Pfropfreiser u. s. w. fortzupflanzen, weil sie durch Samen meistens nur sogenannte Wildlinge erziehen können. Bei den Thieren dagegen ist dieser Versuch nicht anzustellen, hier muß häufig der anatomische Bau allein entschei¬ den, aber es gibt doch auch in der Fortpflanzung Gesetze, welche auf die Ab¬ stammung zurückschließen lassen. Wagner hat in dieser Hinsicht mit größerem Rechte, als ihm Vogt zugestehen will, auf.ein Naturgesetz zum Schutz der historischen Arten hingewiesen, daß nämlich die Bastarde (Sprößlinge zweier verschiedener Thierarten) unfruchtbar feien und ausstürben. Diesen unbedingten Satz zu widerlegen hat Vogt allerdings leicht gesunden, und er zählt eine Menge fruchtbarer Bastarde auf, indem er zugleich die Behauptung Wagners, der ewige Arten, z. B. Ziege und Schaf, Dromedar und Trampelthier zu einer verschmelzen will, mit siegreichen anatomischen Gründen widerlegt. In der That erzeugen Pferd und Esel, Hund und Wolf, Hund und Fuchs, Schaf und Ziege, Steinbock und Ziege, Dromedar und Trampelthier fruchtbare Ba- Grenzboten. II. 1863. 13

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/105>, abgerufen am 01.07.2024.