Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Von seinen früheren Arbeiten erwähne ich als die bekanntesten und origi¬
nellsten seine Verbrecher aus verlorener Ehre und sein Narrenhaus. Wenn
wir mit diesen Werken, namentlich mit dem letzteren, auch durchaus nicht ganz
übereinstimmen, so ist doch ihr geistiger Inhalt jedenfalls sehr bedeutend, inso¬
fern sie von scharfer Beobachtung, tiefem Studium der Charaktere und von
großer Energie der Empfindung zeugen.

Hatte Kaulbach durch allerlei andre bedeutendere oder geringere
Produktionen gezeigt, daß jene beiden erwähnten Composilioiien nicht seine
eigentliche Richtung, sondern nur ein Zweig aus einem starken, üppigen
Stamm sind, so ward ihm die schönste Gelegenheit, dies der Welt dar¬
zuthun, durch die Bestellung der Hunnenschlacht, die seinen Ruf mit Recht
(selbst nach dem Geständnis) seiner Gegner) begründete; bei einem großen
Reichthum von Figuren herrscht hier der vollste Zusammenhang der Motive,
eine organische Entwicklung der Gruppen, ein Zug durch alles, von der Ruhe
des Todes bis zur höchsten Leidenschaft des bis zum Wahnsinn erbitterten
Kampfes. Was aber ein Ereignis) für die neue Kunst war und blieb, war dies,
daß er bei der entschiedensten Individualisirung und Durchbildung seiner Ge¬
stalten in diesem Carton eine Schönheit der Form errang, wie sie in unsrer Kunst¬
periode noch nicht dagewesen, eine Schönheit, die er seitdem zu immer größerer
Freiheit entwickelt hat. Doch davon nachher. Der geistige Inhalt, der uns
jetzt beschäftigen soll, --er allein hätte genügt, Kaulbach den hohen Ruf zu
erwerben, den er von da ab genoß; -- er stand mit einem Schlage in der
ersten Reihe der Künstler.

Der Hunnenschlacht folgte die Zerstörung Jerusalems, die, wenn sie immer
ein glänzendes Zeugniß seiner Begabung ist, doch auch entschieden die gefähr¬
lichen Seiten derselben zeigt und daher der gern gewählte Angriffspunkt für
Kaulbachs Gegner geworden ist. Jener Hang, den erfaßten Gegenstand von
allen Seiten, in allen seinen Beziehungen, die er mit scharfem Urtheil richtig
erkennt, darzustellen, hat ihn hier zu weit geführt. Bei dem Streben, sich jedes
Einzelnen zu bemeistern, hat er das Ganze verloren, so daß wir hier Bilder
bekommen, die zwar in einem inneren Zusammenhange stehen, die sich aber nicht
zu einem Einheitlichen plastisch und lebendig gestalten. Freilich war dieser
Gegenstand, der als Knotenpunkt in dem Faden der Geschichte eine Menge
von Beziehungen in sich schließt, die sich nicht leicht zu einem Ganzen fügen,
grade für Kaulbach besonders schwierig; doch hat er wol außerdem manchen
Mißgriff gethan, der gewiß zu vermeiden war, wenn Kaulbach nicht seiner
Neigung zum Philosophisch-Allegorischen hier besonders nachgegeben hätte. --

Ich will versuchen, dies in manchem Einzelnen nachzuweisen, selbst auf
die Gefahr, Bekanntes zu wiederholen.

Wir vergegenwärtigen uns noch einmal das Bild. In der Mitte sehen wir


Von seinen früheren Arbeiten erwähne ich als die bekanntesten und origi¬
nellsten seine Verbrecher aus verlorener Ehre und sein Narrenhaus. Wenn
wir mit diesen Werken, namentlich mit dem letzteren, auch durchaus nicht ganz
übereinstimmen, so ist doch ihr geistiger Inhalt jedenfalls sehr bedeutend, inso¬
fern sie von scharfer Beobachtung, tiefem Studium der Charaktere und von
großer Energie der Empfindung zeugen.

Hatte Kaulbach durch allerlei andre bedeutendere oder geringere
Produktionen gezeigt, daß jene beiden erwähnten Composilioiien nicht seine
eigentliche Richtung, sondern nur ein Zweig aus einem starken, üppigen
Stamm sind, so ward ihm die schönste Gelegenheit, dies der Welt dar¬
zuthun, durch die Bestellung der Hunnenschlacht, die seinen Ruf mit Recht
(selbst nach dem Geständnis) seiner Gegner) begründete; bei einem großen
Reichthum von Figuren herrscht hier der vollste Zusammenhang der Motive,
eine organische Entwicklung der Gruppen, ein Zug durch alles, von der Ruhe
des Todes bis zur höchsten Leidenschaft des bis zum Wahnsinn erbitterten
Kampfes. Was aber ein Ereignis) für die neue Kunst war und blieb, war dies,
daß er bei der entschiedensten Individualisirung und Durchbildung seiner Ge¬
stalten in diesem Carton eine Schönheit der Form errang, wie sie in unsrer Kunst¬
periode noch nicht dagewesen, eine Schönheit, die er seitdem zu immer größerer
Freiheit entwickelt hat. Doch davon nachher. Der geistige Inhalt, der uns
jetzt beschäftigen soll, —er allein hätte genügt, Kaulbach den hohen Ruf zu
erwerben, den er von da ab genoß; — er stand mit einem Schlage in der
ersten Reihe der Künstler.

Der Hunnenschlacht folgte die Zerstörung Jerusalems, die, wenn sie immer
ein glänzendes Zeugniß seiner Begabung ist, doch auch entschieden die gefähr¬
lichen Seiten derselben zeigt und daher der gern gewählte Angriffspunkt für
Kaulbachs Gegner geworden ist. Jener Hang, den erfaßten Gegenstand von
allen Seiten, in allen seinen Beziehungen, die er mit scharfem Urtheil richtig
erkennt, darzustellen, hat ihn hier zu weit geführt. Bei dem Streben, sich jedes
Einzelnen zu bemeistern, hat er das Ganze verloren, so daß wir hier Bilder
bekommen, die zwar in einem inneren Zusammenhange stehen, die sich aber nicht
zu einem Einheitlichen plastisch und lebendig gestalten. Freilich war dieser
Gegenstand, der als Knotenpunkt in dem Faden der Geschichte eine Menge
von Beziehungen in sich schließt, die sich nicht leicht zu einem Ganzen fügen,
grade für Kaulbach besonders schwierig; doch hat er wol außerdem manchen
Mißgriff gethan, der gewiß zu vermeiden war, wenn Kaulbach nicht seiner
Neigung zum Philosophisch-Allegorischen hier besonders nachgegeben hätte. —

Ich will versuchen, dies in manchem Einzelnen nachzuweisen, selbst auf
die Gefahr, Bekanntes zu wiederholen.

Wir vergegenwärtigen uns noch einmal das Bild. In der Mitte sehen wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99396"/>
          <p xml:id="ID_4"> Von seinen früheren Arbeiten erwähne ich als die bekanntesten und origi¬<lb/>
nellsten seine Verbrecher aus verlorener Ehre und sein Narrenhaus. Wenn<lb/>
wir mit diesen Werken, namentlich mit dem letzteren, auch durchaus nicht ganz<lb/>
übereinstimmen, so ist doch ihr geistiger Inhalt jedenfalls sehr bedeutend, inso¬<lb/>
fern sie von scharfer Beobachtung, tiefem Studium der Charaktere und von<lb/>
großer Energie der Empfindung zeugen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_5"> Hatte Kaulbach durch allerlei andre bedeutendere oder geringere<lb/>
Produktionen gezeigt, daß jene beiden erwähnten Composilioiien nicht seine<lb/>
eigentliche Richtung, sondern nur ein Zweig aus einem starken, üppigen<lb/>
Stamm sind, so ward ihm die schönste Gelegenheit, dies der Welt dar¬<lb/>
zuthun, durch die Bestellung der Hunnenschlacht, die seinen Ruf mit Recht<lb/>
(selbst nach dem Geständnis) seiner Gegner) begründete; bei einem großen<lb/>
Reichthum von Figuren herrscht hier der vollste Zusammenhang der Motive,<lb/>
eine organische Entwicklung der Gruppen, ein Zug durch alles, von der Ruhe<lb/>
des Todes bis zur höchsten Leidenschaft des bis zum Wahnsinn erbitterten<lb/>
Kampfes. Was aber ein Ereignis) für die neue Kunst war und blieb, war dies,<lb/>
daß er bei der entschiedensten Individualisirung und Durchbildung seiner Ge¬<lb/>
stalten in diesem Carton eine Schönheit der Form errang, wie sie in unsrer Kunst¬<lb/>
periode noch nicht dagewesen, eine Schönheit, die er seitdem zu immer größerer<lb/>
Freiheit entwickelt hat. Doch davon nachher. Der geistige Inhalt, der uns<lb/>
jetzt beschäftigen soll, &#x2014;er allein hätte genügt, Kaulbach den hohen Ruf zu<lb/>
erwerben, den er von da ab genoß; &#x2014; er stand mit einem Schlage in der<lb/>
ersten Reihe der Künstler.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_6"> Der Hunnenschlacht folgte die Zerstörung Jerusalems, die, wenn sie immer<lb/>
ein glänzendes Zeugniß seiner Begabung ist, doch auch entschieden die gefähr¬<lb/>
lichen Seiten derselben zeigt und daher der gern gewählte Angriffspunkt für<lb/>
Kaulbachs Gegner geworden ist. Jener Hang, den erfaßten Gegenstand von<lb/>
allen Seiten, in allen seinen Beziehungen, die er mit scharfem Urtheil richtig<lb/>
erkennt, darzustellen, hat ihn hier zu weit geführt. Bei dem Streben, sich jedes<lb/>
Einzelnen zu bemeistern, hat er das Ganze verloren, so daß wir hier Bilder<lb/>
bekommen, die zwar in einem inneren Zusammenhange stehen, die sich aber nicht<lb/>
zu einem Einheitlichen plastisch und lebendig gestalten. Freilich war dieser<lb/>
Gegenstand, der als Knotenpunkt in dem Faden der Geschichte eine Menge<lb/>
von Beziehungen in sich schließt, die sich nicht leicht zu einem Ganzen fügen,<lb/>
grade für Kaulbach besonders schwierig; doch hat er wol außerdem manchen<lb/>
Mißgriff gethan, der gewiß zu vermeiden war, wenn Kaulbach nicht seiner<lb/>
Neigung zum Philosophisch-Allegorischen hier besonders nachgegeben hätte. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_7"> Ich will versuchen, dies in manchem Einzelnen nachzuweisen, selbst auf<lb/>
die Gefahr, Bekanntes zu wiederholen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> Wir vergegenwärtigen uns noch einmal das Bild. In der Mitte sehen wir</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] Von seinen früheren Arbeiten erwähne ich als die bekanntesten und origi¬ nellsten seine Verbrecher aus verlorener Ehre und sein Narrenhaus. Wenn wir mit diesen Werken, namentlich mit dem letzteren, auch durchaus nicht ganz übereinstimmen, so ist doch ihr geistiger Inhalt jedenfalls sehr bedeutend, inso¬ fern sie von scharfer Beobachtung, tiefem Studium der Charaktere und von großer Energie der Empfindung zeugen. Hatte Kaulbach durch allerlei andre bedeutendere oder geringere Produktionen gezeigt, daß jene beiden erwähnten Composilioiien nicht seine eigentliche Richtung, sondern nur ein Zweig aus einem starken, üppigen Stamm sind, so ward ihm die schönste Gelegenheit, dies der Welt dar¬ zuthun, durch die Bestellung der Hunnenschlacht, die seinen Ruf mit Recht (selbst nach dem Geständnis) seiner Gegner) begründete; bei einem großen Reichthum von Figuren herrscht hier der vollste Zusammenhang der Motive, eine organische Entwicklung der Gruppen, ein Zug durch alles, von der Ruhe des Todes bis zur höchsten Leidenschaft des bis zum Wahnsinn erbitterten Kampfes. Was aber ein Ereignis) für die neue Kunst war und blieb, war dies, daß er bei der entschiedensten Individualisirung und Durchbildung seiner Ge¬ stalten in diesem Carton eine Schönheit der Form errang, wie sie in unsrer Kunst¬ periode noch nicht dagewesen, eine Schönheit, die er seitdem zu immer größerer Freiheit entwickelt hat. Doch davon nachher. Der geistige Inhalt, der uns jetzt beschäftigen soll, —er allein hätte genügt, Kaulbach den hohen Ruf zu erwerben, den er von da ab genoß; — er stand mit einem Schlage in der ersten Reihe der Künstler. Der Hunnenschlacht folgte die Zerstörung Jerusalems, die, wenn sie immer ein glänzendes Zeugniß seiner Begabung ist, doch auch entschieden die gefähr¬ lichen Seiten derselben zeigt und daher der gern gewählte Angriffspunkt für Kaulbachs Gegner geworden ist. Jener Hang, den erfaßten Gegenstand von allen Seiten, in allen seinen Beziehungen, die er mit scharfem Urtheil richtig erkennt, darzustellen, hat ihn hier zu weit geführt. Bei dem Streben, sich jedes Einzelnen zu bemeistern, hat er das Ganze verloren, so daß wir hier Bilder bekommen, die zwar in einem inneren Zusammenhange stehen, die sich aber nicht zu einem Einheitlichen plastisch und lebendig gestalten. Freilich war dieser Gegenstand, der als Knotenpunkt in dem Faden der Geschichte eine Menge von Beziehungen in sich schließt, die sich nicht leicht zu einem Ganzen fügen, grade für Kaulbach besonders schwierig; doch hat er wol außerdem manchen Mißgriff gethan, der gewiß zu vermeiden war, wenn Kaulbach nicht seiner Neigung zum Philosophisch-Allegorischen hier besonders nachgegeben hätte. — Ich will versuchen, dies in manchem Einzelnen nachzuweisen, selbst auf die Gefahr, Bekanntes zu wiederholen. Wir vergegenwärtigen uns noch einmal das Bild. In der Mitte sehen wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/10>, abgerufen am 01.07.2024.