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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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und Konsequenz auch gegen die hiesigen Stadträuber vorgegangen würde, dürste
der öffentlichen Sicherheit ein bedeuteiider Dienst erwiesen werden- -- Erst neulich
fiel es den Bewohnern des kleinen Campo, der in der innern Stadt (Pera) ge¬
legenen fashionabelsten Straße ans, daß ein gewisser Kaffeewirth (Pawetschi) seinen
Laden nicht öffnete. Der Mann war wohlhabend; er konnte nicht Bankrott ge¬
macht haben. Am anderen Tage öffnete man die Thür unter Mitwirkung der Poli¬
zei und fand nun den betreffenden Wirth mit abgeschnittenem Kopfe am Boden
liegend. Eine ähnliche Mordthat kommt hier jeden Monat vor.

Mr haben hier immer noch recht empfindliche Kälte. In der vergangenen
Nacht muß das Thermometer (nach Neaumurschcr Scala) bis unter Null gestan¬
den haben; die Straßen waren am Morgen mit Glatteis bedeckt, aber die Sonne
ging an einem klareren, reineren Himmel ans, als lange Zeit zuvor. Ein herrlicher
Tag! Windstille -- die Marmorasec blitzend im Widerschein der Sonnenstrahlen --
zwanzig bis dreißig Dampfer auf der Rhede vor Anker oder gehend und kommend.
Nur über dem Olymp lagern graue Nebelmassen.

-- -- In der uns benachbarten Stadt, unter dem Hochgipfel des
weithin in seiner Gletscherpracht strahlenden Olymps von Bithynien, hat das Erdbeben
vom 28. Februar grauenhafte Verwüstungen angerichtet und leider haben dabei
viele Menschen ihr Leben verloren. Die meisten darunter durch den Einsturz von
Gebäuden. Eine niedergeworfene Fabrik begrub unter ihrem Mauer- und Balken¬
werk eine große Anzahl Personen jeden Alters. Fromme Beter in der Moschee
blieben nicht verschont. Man wird Mühe haben, sich die auffallend große Menge
der Verunglückten zu erklären, wenn man nicht weiß, daß der Türke einem Aber¬
glauben anhängt, wonach es nicht gut ist, bei einem Erdbeben zu entfliehen, weil
man beim Fallen sich jedes Mal beschädigen und dieser Schaden nie heilen, sondern
dem betreffenden Individuum entweder Las Leben kosten oder es aus die Dauer zum
Krüppel machen werde.

Am letztvergangenen Sonnabend Abends soll hier ein französischer Depcschen-
dampser die Nachricht der in Bälde bevorstehenden Ankunft des Kaisers der Fran¬
zosen überbracht haben. So wäre damit also ein Gerücht bestätigt, welches schon
länger als eine Woche hindurch hier im Umlauf gewesen und als bloße Sage be¬
reits die höchste Sensation erregt hatte. Man ist gemahnt, bei diesem Zug des
Neffen nach dem Orient an die Heerfahrt des großen Ohm nach Aegypten zu denken.
Möge er einen besseren Ausgang nehmen wie diese?

--- -- Seit gestern beschäftigt nnr eine Frage alle, die hier
an den politischen Ereignissen Interesse nehmen: ob die Nachricht vom Tode des
Kaisers von Nußland ernst aufzufassen sei oder nicht. Wenn ich nicht irre war
der englische Gesandte der erste, welcher davon Kenntniß erhielt, und zwar traf der
Courier in der Nacht von 6. zum 7. hier ein. Der Lord, wiewol krank und
seit mehren Tagen außergewöhnlich leidend, wurde sofort geweckt. An der Pforte
empfing der Großvezier Reschid Pascha die betreffende Depesche als erster; einige
Stunden darnach aber war bereits Risa Pascha durch den in der Walachei com-
mandirenden MÜschir Ismael ebenfalls davon unterrichtet. So brach der Morgen


und Konsequenz auch gegen die hiesigen Stadträuber vorgegangen würde, dürste
der öffentlichen Sicherheit ein bedeuteiider Dienst erwiesen werden- — Erst neulich
fiel es den Bewohnern des kleinen Campo, der in der innern Stadt (Pera) ge¬
legenen fashionabelsten Straße ans, daß ein gewisser Kaffeewirth (Pawetschi) seinen
Laden nicht öffnete. Der Mann war wohlhabend; er konnte nicht Bankrott ge¬
macht haben. Am anderen Tage öffnete man die Thür unter Mitwirkung der Poli¬
zei und fand nun den betreffenden Wirth mit abgeschnittenem Kopfe am Boden
liegend. Eine ähnliche Mordthat kommt hier jeden Monat vor.

Mr haben hier immer noch recht empfindliche Kälte. In der vergangenen
Nacht muß das Thermometer (nach Neaumurschcr Scala) bis unter Null gestan¬
den haben; die Straßen waren am Morgen mit Glatteis bedeckt, aber die Sonne
ging an einem klareren, reineren Himmel ans, als lange Zeit zuvor. Ein herrlicher
Tag! Windstille — die Marmorasec blitzend im Widerschein der Sonnenstrahlen —
zwanzig bis dreißig Dampfer auf der Rhede vor Anker oder gehend und kommend.
Nur über dem Olymp lagern graue Nebelmassen.

— — In der uns benachbarten Stadt, unter dem Hochgipfel des
weithin in seiner Gletscherpracht strahlenden Olymps von Bithynien, hat das Erdbeben
vom 28. Februar grauenhafte Verwüstungen angerichtet und leider haben dabei
viele Menschen ihr Leben verloren. Die meisten darunter durch den Einsturz von
Gebäuden. Eine niedergeworfene Fabrik begrub unter ihrem Mauer- und Balken¬
werk eine große Anzahl Personen jeden Alters. Fromme Beter in der Moschee
blieben nicht verschont. Man wird Mühe haben, sich die auffallend große Menge
der Verunglückten zu erklären, wenn man nicht weiß, daß der Türke einem Aber¬
glauben anhängt, wonach es nicht gut ist, bei einem Erdbeben zu entfliehen, weil
man beim Fallen sich jedes Mal beschädigen und dieser Schaden nie heilen, sondern
dem betreffenden Individuum entweder Las Leben kosten oder es aus die Dauer zum
Krüppel machen werde.

Am letztvergangenen Sonnabend Abends soll hier ein französischer Depcschen-
dampser die Nachricht der in Bälde bevorstehenden Ankunft des Kaisers der Fran¬
zosen überbracht haben. So wäre damit also ein Gerücht bestätigt, welches schon
länger als eine Woche hindurch hier im Umlauf gewesen und als bloße Sage be¬
reits die höchste Sensation erregt hatte. Man ist gemahnt, bei diesem Zug des
Neffen nach dem Orient an die Heerfahrt des großen Ohm nach Aegypten zu denken.
Möge er einen besseren Ausgang nehmen wie diese?

--- — Seit gestern beschäftigt nnr eine Frage alle, die hier
an den politischen Ereignissen Interesse nehmen: ob die Nachricht vom Tode des
Kaisers von Nußland ernst aufzufassen sei oder nicht. Wenn ich nicht irre war
der englische Gesandte der erste, welcher davon Kenntniß erhielt, und zwar traf der
Courier in der Nacht von 6. zum 7. hier ein. Der Lord, wiewol krank und
seit mehren Tagen außergewöhnlich leidend, wurde sofort geweckt. An der Pforte
empfing der Großvezier Reschid Pascha die betreffende Depesche als erster; einige
Stunden darnach aber war bereits Risa Pascha durch den in der Walachei com-
mandirenden MÜschir Ismael ebenfalls davon unterrichtet. So brach der Morgen


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[0526] und Konsequenz auch gegen die hiesigen Stadträuber vorgegangen würde, dürste der öffentlichen Sicherheit ein bedeuteiider Dienst erwiesen werden- — Erst neulich fiel es den Bewohnern des kleinen Campo, der in der innern Stadt (Pera) ge¬ legenen fashionabelsten Straße ans, daß ein gewisser Kaffeewirth (Pawetschi) seinen Laden nicht öffnete. Der Mann war wohlhabend; er konnte nicht Bankrott ge¬ macht haben. Am anderen Tage öffnete man die Thür unter Mitwirkung der Poli¬ zei und fand nun den betreffenden Wirth mit abgeschnittenem Kopfe am Boden liegend. Eine ähnliche Mordthat kommt hier jeden Monat vor. Mr haben hier immer noch recht empfindliche Kälte. In der vergangenen Nacht muß das Thermometer (nach Neaumurschcr Scala) bis unter Null gestan¬ den haben; die Straßen waren am Morgen mit Glatteis bedeckt, aber die Sonne ging an einem klareren, reineren Himmel ans, als lange Zeit zuvor. Ein herrlicher Tag! Windstille — die Marmorasec blitzend im Widerschein der Sonnenstrahlen — zwanzig bis dreißig Dampfer auf der Rhede vor Anker oder gehend und kommend. Nur über dem Olymp lagern graue Nebelmassen. — — In der uns benachbarten Stadt, unter dem Hochgipfel des weithin in seiner Gletscherpracht strahlenden Olymps von Bithynien, hat das Erdbeben vom 28. Februar grauenhafte Verwüstungen angerichtet und leider haben dabei viele Menschen ihr Leben verloren. Die meisten darunter durch den Einsturz von Gebäuden. Eine niedergeworfene Fabrik begrub unter ihrem Mauer- und Balken¬ werk eine große Anzahl Personen jeden Alters. Fromme Beter in der Moschee blieben nicht verschont. Man wird Mühe haben, sich die auffallend große Menge der Verunglückten zu erklären, wenn man nicht weiß, daß der Türke einem Aber¬ glauben anhängt, wonach es nicht gut ist, bei einem Erdbeben zu entfliehen, weil man beim Fallen sich jedes Mal beschädigen und dieser Schaden nie heilen, sondern dem betreffenden Individuum entweder Las Leben kosten oder es aus die Dauer zum Krüppel machen werde. Am letztvergangenen Sonnabend Abends soll hier ein französischer Depcschen- dampser die Nachricht der in Bälde bevorstehenden Ankunft des Kaisers der Fran¬ zosen überbracht haben. So wäre damit also ein Gerücht bestätigt, welches schon länger als eine Woche hindurch hier im Umlauf gewesen und als bloße Sage be¬ reits die höchste Sensation erregt hatte. Man ist gemahnt, bei diesem Zug des Neffen nach dem Orient an die Heerfahrt des großen Ohm nach Aegypten zu denken. Möge er einen besseren Ausgang nehmen wie diese? --- — Seit gestern beschäftigt nnr eine Frage alle, die hier an den politischen Ereignissen Interesse nehmen: ob die Nachricht vom Tode des Kaisers von Nußland ernst aufzufassen sei oder nicht. Wenn ich nicht irre war der englische Gesandte der erste, welcher davon Kenntniß erhielt, und zwar traf der Courier in der Nacht von 6. zum 7. hier ein. Der Lord, wiewol krank und seit mehren Tagen außergewöhnlich leidend, wurde sofort geweckt. An der Pforte empfing der Großvezier Reschid Pascha die betreffende Depesche als erster; einige Stunden darnach aber war bereits Risa Pascha durch den in der Walachei com- mandirenden MÜschir Ismael ebenfalls davon unterrichtet. So brach der Morgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/526>, abgerufen am 23.07.2024.