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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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in Dresden durch langes Zusammenwirken tüchtiger Kräfte in den letzten zwan¬
zig Jahren ausgebildet hat. Ja sein Wesen und sein Spiel steht in einem
directen Gegensatz se>wol gegen die feine, discrete, das Detail sauber ausarbei¬
tende Darstellung der älteren Wiener Künstler, wie gegen das langsame, be¬
hagliche, besonnene Pathos der Dresdner Schule. Er ist spät bei uns heimisch
geworden, und seine Behandlung der Rollen, das solide Studium, das geist¬
reiche, scharf pointirte Heraustreiben der einzelnen Momente erinneren, wenn
man auf Aehnliches zurückgehen will, vielmehr an eine" Franzosen, als an
irgendeinen großen Künstler der deutschen Vergangenheit.

Was er für die Kunst mitbrachte, war im ganzen günstig: stattliche Mittel¬
größe, kräftigen Körper, ein ausdrucksvolles, für viele Masken vorzüglich ge¬
eignetes Gesicht, Augen von lebhafter und wechselnder Sprache, mit schräg
nach der Nase herabgeschwungenen Brauen, welche für schlaue und. finstere
Köpfe vortrefflich geeignet sind. Dazu einen eisernen Fleiß, den man aus jeder
Rolle erkennt, die Gewohnheit, in einer Weise zu memoriren, wie sie bei deut¬
schen Schauspielern fast unerhört ist, große Lebendigkeit und Feinheit der Em¬
pfindung, einen scharfsinnigen, sehr bildungsfähigen Geist und die Haltung
eines Mannes, der viel in seinem Leben erfahren haben mag und mit Bewußt¬
sein und mächtiger Energie auf ein bestimmtes Ziel losgeht. Nicht ganz so
günstig war sein Organ. Bon großem Umfange und nicht gewöhnlicher
Dauerbarkeit war es doch in den mittleren Tonlagen nicht stark und klangvoll,
und dies sowie die polnische Sprachweise hat ihn früh dazu gebracht, mehr als
dem Deutschen eigen ist, die hohe Tenorlage zu benutzen. Er spricht das
Deutsche meisterhaft, jede Silbe verständlich, im Nothfall mit rapider Schnellig¬
keit, und seine Sprache wird vollständig behcrscht von Empfindung und Willen.
Ja er ist darin Virtuos, es gibt für ihn kaum eine sprachliche Schwierigkeit
und die meisten deutschen Schauspieler könnten von ihm, dem Fremden, lernen,
wie man schnell, charakteristisch und'dabei allen verständlich reden muß. Aber
dabei klingen fremde Accente und kreischende Töne durch, unwillkürliche Modu¬
lation und schneller Wechsel der Tonlage erinnern bei jeder Rolle daran, daß er
nicht von klein Ms zu uns gehört.

Seine Auffassung der Rollen ist ebenfalls charakteristisch. Er ist merk¬
würdig frei von den deutschen Traditionen, welche bei uns nirgend stark
genug sind, um den mittelmäßigen Schauspieler über dem Wasser zu hal¬
ten, aber auch bei den bessern oft als geschmacklose Nachahmung von
Geschlecht zu Geschlecht sich fortgepflanzt haben. Für Dawison ist diese grö¬
ßere Freiheit von traditioneller Spielweise im ganzen ein Vortheil ge¬
wesen, weil sie ihm eignes Denken in jedem Augenblick nothwendig
machte; zuweilen aber hat sie sich auch bei ihm als gefährlich gezeigt. Denn
das Charakteristische seiner Rollenauffassung ist, daß er mit einer gewissen


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in Dresden durch langes Zusammenwirken tüchtiger Kräfte in den letzten zwan¬
zig Jahren ausgebildet hat. Ja sein Wesen und sein Spiel steht in einem
directen Gegensatz se>wol gegen die feine, discrete, das Detail sauber ausarbei¬
tende Darstellung der älteren Wiener Künstler, wie gegen das langsame, be¬
hagliche, besonnene Pathos der Dresdner Schule. Er ist spät bei uns heimisch
geworden, und seine Behandlung der Rollen, das solide Studium, das geist¬
reiche, scharf pointirte Heraustreiben der einzelnen Momente erinneren, wenn
man auf Aehnliches zurückgehen will, vielmehr an eine» Franzosen, als an
irgendeinen großen Künstler der deutschen Vergangenheit.

Was er für die Kunst mitbrachte, war im ganzen günstig: stattliche Mittel¬
größe, kräftigen Körper, ein ausdrucksvolles, für viele Masken vorzüglich ge¬
eignetes Gesicht, Augen von lebhafter und wechselnder Sprache, mit schräg
nach der Nase herabgeschwungenen Brauen, welche für schlaue und. finstere
Köpfe vortrefflich geeignet sind. Dazu einen eisernen Fleiß, den man aus jeder
Rolle erkennt, die Gewohnheit, in einer Weise zu memoriren, wie sie bei deut¬
schen Schauspielern fast unerhört ist, große Lebendigkeit und Feinheit der Em¬
pfindung, einen scharfsinnigen, sehr bildungsfähigen Geist und die Haltung
eines Mannes, der viel in seinem Leben erfahren haben mag und mit Bewußt¬
sein und mächtiger Energie auf ein bestimmtes Ziel losgeht. Nicht ganz so
günstig war sein Organ. Bon großem Umfange und nicht gewöhnlicher
Dauerbarkeit war es doch in den mittleren Tonlagen nicht stark und klangvoll,
und dies sowie die polnische Sprachweise hat ihn früh dazu gebracht, mehr als
dem Deutschen eigen ist, die hohe Tenorlage zu benutzen. Er spricht das
Deutsche meisterhaft, jede Silbe verständlich, im Nothfall mit rapider Schnellig¬
keit, und seine Sprache wird vollständig behcrscht von Empfindung und Willen.
Ja er ist darin Virtuos, es gibt für ihn kaum eine sprachliche Schwierigkeit
und die meisten deutschen Schauspieler könnten von ihm, dem Fremden, lernen,
wie man schnell, charakteristisch und'dabei allen verständlich reden muß. Aber
dabei klingen fremde Accente und kreischende Töne durch, unwillkürliche Modu¬
lation und schneller Wechsel der Tonlage erinnern bei jeder Rolle daran, daß er
nicht von klein Ms zu uns gehört.

Seine Auffassung der Rollen ist ebenfalls charakteristisch. Er ist merk¬
würdig frei von den deutschen Traditionen, welche bei uns nirgend stark
genug sind, um den mittelmäßigen Schauspieler über dem Wasser zu hal¬
ten, aber auch bei den bessern oft als geschmacklose Nachahmung von
Geschlecht zu Geschlecht sich fortgepflanzt haben. Für Dawison ist diese grö¬
ßere Freiheit von traditioneller Spielweise im ganzen ein Vortheil ge¬
wesen, weil sie ihm eignes Denken in jedem Augenblick nothwendig
machte; zuweilen aber hat sie sich auch bei ihm als gefährlich gezeigt. Denn
das Charakteristische seiner Rollenauffassung ist, daß er mit einer gewissen


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[0515] in Dresden durch langes Zusammenwirken tüchtiger Kräfte in den letzten zwan¬ zig Jahren ausgebildet hat. Ja sein Wesen und sein Spiel steht in einem directen Gegensatz se>wol gegen die feine, discrete, das Detail sauber ausarbei¬ tende Darstellung der älteren Wiener Künstler, wie gegen das langsame, be¬ hagliche, besonnene Pathos der Dresdner Schule. Er ist spät bei uns heimisch geworden, und seine Behandlung der Rollen, das solide Studium, das geist¬ reiche, scharf pointirte Heraustreiben der einzelnen Momente erinneren, wenn man auf Aehnliches zurückgehen will, vielmehr an eine» Franzosen, als an irgendeinen großen Künstler der deutschen Vergangenheit. Was er für die Kunst mitbrachte, war im ganzen günstig: stattliche Mittel¬ größe, kräftigen Körper, ein ausdrucksvolles, für viele Masken vorzüglich ge¬ eignetes Gesicht, Augen von lebhafter und wechselnder Sprache, mit schräg nach der Nase herabgeschwungenen Brauen, welche für schlaue und. finstere Köpfe vortrefflich geeignet sind. Dazu einen eisernen Fleiß, den man aus jeder Rolle erkennt, die Gewohnheit, in einer Weise zu memoriren, wie sie bei deut¬ schen Schauspielern fast unerhört ist, große Lebendigkeit und Feinheit der Em¬ pfindung, einen scharfsinnigen, sehr bildungsfähigen Geist und die Haltung eines Mannes, der viel in seinem Leben erfahren haben mag und mit Bewußt¬ sein und mächtiger Energie auf ein bestimmtes Ziel losgeht. Nicht ganz so günstig war sein Organ. Bon großem Umfange und nicht gewöhnlicher Dauerbarkeit war es doch in den mittleren Tonlagen nicht stark und klangvoll, und dies sowie die polnische Sprachweise hat ihn früh dazu gebracht, mehr als dem Deutschen eigen ist, die hohe Tenorlage zu benutzen. Er spricht das Deutsche meisterhaft, jede Silbe verständlich, im Nothfall mit rapider Schnellig¬ keit, und seine Sprache wird vollständig behcrscht von Empfindung und Willen. Ja er ist darin Virtuos, es gibt für ihn kaum eine sprachliche Schwierigkeit und die meisten deutschen Schauspieler könnten von ihm, dem Fremden, lernen, wie man schnell, charakteristisch und'dabei allen verständlich reden muß. Aber dabei klingen fremde Accente und kreischende Töne durch, unwillkürliche Modu¬ lation und schneller Wechsel der Tonlage erinnern bei jeder Rolle daran, daß er nicht von klein Ms zu uns gehört. Seine Auffassung der Rollen ist ebenfalls charakteristisch. Er ist merk¬ würdig frei von den deutschen Traditionen, welche bei uns nirgend stark genug sind, um den mittelmäßigen Schauspieler über dem Wasser zu hal¬ ten, aber auch bei den bessern oft als geschmacklose Nachahmung von Geschlecht zu Geschlecht sich fortgepflanzt haben. Für Dawison ist diese grö¬ ßere Freiheit von traditioneller Spielweise im ganzen ein Vortheil ge¬ wesen, weil sie ihm eignes Denken in jedem Augenblick nothwendig machte; zuweilen aber hat sie sich auch bei ihm als gefährlich gezeigt. Denn das Charakteristische seiner Rollenauffassung ist, daß er mit einer gewissen 6t*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/515>, abgerufen am 28.09.2024.