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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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wollte die ungläubige Zeit nichts weiter als ein lebendiges Beassteak sehen --
o Apis, o heiliger Apis, welche Zeit, welche Sitten!

Wiewenig wir uns eigentlich durch die Weltereignisse bessern, davon kann
Herr Sö, Beuve, der Akademiker und Professor der classischen Literatur, erzäh¬
len. Stellen Sie sich nur vor, die einfältige Jugend hat nicht einmal gelernt,
daß es zu den akademischen Sitten gehöre, keine Grundsätze zu haben. Sie denkt
noch 18LS, was ein Schriftsteller 1831 geschrieben hat und sie findet es sonder¬
bar, daß ein Mann wie Se. Beuve, der jede Woche einen Artikel über ein an¬
deres gelesenes Buch schreibt, wisse, was er im Jahre 1831 oder auch im
Jahre 18t0 oder auch nur im Jahre 1848 für eine Meinung gehabt habe.
Sie versetzt sich in die Flegeljahre der französischen Freiheit unter Ludwig
Philipp und pfeift ihren Professor aus, weil er für die erhaltene Stelle sich
verpflichtet glaubt, und mit einer Lobrede auf die Regierung beginnt. Was
Pfeifen und Klopfen nicht vermochte, das sollten gekochte Aepfel und Eier voll¬
bringen -- Eier bei so theuren Zeiten! -- Die leichtsinnige Jugend! Kurz
und gut es gab zwei Schlachten -- in der ersten siegte die Polizei, in der
zweiten behielt die Jugend das Terrain und Se. Beuve trat den Rückzug der
Zehntausend an. Wenn der Mann seine Ansicht neuerdings nicht ändert, "rar
die zweite Vorlesung seine letzte. Hoffentlich wird Herr Se. Beuve seine un¬
sterblichen Vorlesungen im Moniteur veröffentlichen. Der Verlust für die clas¬
sische Literatur wäre gar zu arg.

Die akademischen Brüder des Herrn Se. Beuve sind boshaft genug, ihre Scha¬
denfreude an dem Unfälle ihres Kollegen zu äußern, denn dieser Mann ist selbst
in der Akademie sehr gehaßt. Die Akademie ist bekanntlich jetzt sehr oppositio¬
nell und wenn die Regierung dein weisen Rathe der Journalisten des Pays
folgte, würde sie längst ihre Grenadiere ins Institut geschickt und dem Skandal
ein Ende gemacht haben. Die Ehrenwache ist ihr schon seit zwei Jahren
entzogen worden. Es soll eine zu mühselige Arbeit gewesen sein, vor sovielen
Decorationen das Gewehr zu Präsentiren. Die neuliche Wahl des Herzogs
von Broglie, jene von Legouv";, dem geopferten Dramatiker des Staatsministe¬
riums beweisen hinlänglich, daß die Unsterblichkeiten mit dem neuen Regime
noch nicht versöhnt sind. Das ist wahrlich viel wunderbarer als die Hart¬
näckigkeit der Jugend--M. de Fallond, der ein Buch über Pius V. ge¬
schrieben hat, wollte für die nächste Wahl mit Herrn Ponsard in die Schranken
treten. Herr Victor Cousin, welcher der Wahl des Legitimisten am meisten
feindlich gesinnt ist, wurde von diesem besucht und um die Ursache seiner
Feindseligkeit gefragt. Dieser erklärte dem Schützling und Beschützer der Je¬
suiten, daß das Buch des H. v, Fallond zu sehr gegen die Ideen der Zeit
sich versündige. Das mag wol sein, entgegnete der Kandidat, aber ich habe
noch ein anderes Manuscript im Pulte, das die Geschichte im zeitgemäßen


Grenzboten. 1- -1833. 6i

wollte die ungläubige Zeit nichts weiter als ein lebendiges Beassteak sehen —
o Apis, o heiliger Apis, welche Zeit, welche Sitten!

Wiewenig wir uns eigentlich durch die Weltereignisse bessern, davon kann
Herr Sö, Beuve, der Akademiker und Professor der classischen Literatur, erzäh¬
len. Stellen Sie sich nur vor, die einfältige Jugend hat nicht einmal gelernt,
daß es zu den akademischen Sitten gehöre, keine Grundsätze zu haben. Sie denkt
noch 18LS, was ein Schriftsteller 1831 geschrieben hat und sie findet es sonder¬
bar, daß ein Mann wie Se. Beuve, der jede Woche einen Artikel über ein an¬
deres gelesenes Buch schreibt, wisse, was er im Jahre 1831 oder auch im
Jahre 18t0 oder auch nur im Jahre 1848 für eine Meinung gehabt habe.
Sie versetzt sich in die Flegeljahre der französischen Freiheit unter Ludwig
Philipp und pfeift ihren Professor aus, weil er für die erhaltene Stelle sich
verpflichtet glaubt, und mit einer Lobrede auf die Regierung beginnt. Was
Pfeifen und Klopfen nicht vermochte, das sollten gekochte Aepfel und Eier voll¬
bringen — Eier bei so theuren Zeiten! — Die leichtsinnige Jugend! Kurz
und gut es gab zwei Schlachten — in der ersten siegte die Polizei, in der
zweiten behielt die Jugend das Terrain und Se. Beuve trat den Rückzug der
Zehntausend an. Wenn der Mann seine Ansicht neuerdings nicht ändert, »rar
die zweite Vorlesung seine letzte. Hoffentlich wird Herr Se. Beuve seine un¬
sterblichen Vorlesungen im Moniteur veröffentlichen. Der Verlust für die clas¬
sische Literatur wäre gar zu arg.

Die akademischen Brüder des Herrn Se. Beuve sind boshaft genug, ihre Scha¬
denfreude an dem Unfälle ihres Kollegen zu äußern, denn dieser Mann ist selbst
in der Akademie sehr gehaßt. Die Akademie ist bekanntlich jetzt sehr oppositio¬
nell und wenn die Regierung dein weisen Rathe der Journalisten des Pays
folgte, würde sie längst ihre Grenadiere ins Institut geschickt und dem Skandal
ein Ende gemacht haben. Die Ehrenwache ist ihr schon seit zwei Jahren
entzogen worden. Es soll eine zu mühselige Arbeit gewesen sein, vor sovielen
Decorationen das Gewehr zu Präsentiren. Die neuliche Wahl des Herzogs
von Broglie, jene von Legouv«;, dem geopferten Dramatiker des Staatsministe¬
riums beweisen hinlänglich, daß die Unsterblichkeiten mit dem neuen Regime
noch nicht versöhnt sind. Das ist wahrlich viel wunderbarer als die Hart¬
näckigkeit der Jugend--M. de Fallond, der ein Buch über Pius V. ge¬
schrieben hat, wollte für die nächste Wahl mit Herrn Ponsard in die Schranken
treten. Herr Victor Cousin, welcher der Wahl des Legitimisten am meisten
feindlich gesinnt ist, wurde von diesem besucht und um die Ursache seiner
Feindseligkeit gefragt. Dieser erklärte dem Schützling und Beschützer der Je¬
suiten, daß das Buch des H. v, Fallond zu sehr gegen die Ideen der Zeit
sich versündige. Das mag wol sein, entgegnete der Kandidat, aber ich habe
noch ein anderes Manuscript im Pulte, das die Geschichte im zeitgemäßen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/513>, abgerufen am 29.06.2024.