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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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der Redaction schmollen -- wir bleiben immer gewiß, der orientalischen Post-
schnecke nachzukommen.

Es ist ein eignes Geschick mit Fragen, bei denen niemand recht
weiß, was er will oder wo man nicht recht wollen will, was man
soll -- sie können sich aus dem Hamletzustande nicht herausreißen. Die
Vorsehung mag noch so sehr ihre Phantasie anstrengen und mit Theatercvupö
dreinfahren, daß der Telegraphendraht vor Entzücken zittert -- es geht nicht
vorwärts.

Was hätte man nicht für augenscheinliche, unmittelbare Veränderungen er¬
wartet von einem Ereignisse wie der Tod des Zaren, der doch als schuldtragender
Heros dieser classischen Tragödie betrachtet, mit der einheitlichen Handlung,
die in Unthätigkeit besteht, mit der Einheit des Orts, dem Küstenland der
Iphigenie, mit der Einheit der Zeit, welche Ewigkeit heißt. Und was ist damit
verändert worden? Ein paar Franken Hauffe in Paris und in London, einige
diplomatische Diners mehr in Wien, bei denen sich Lord John Rüssel aus
Furcht, es könnten ihm wieder einige Inbiscretionen entfahren, den Mund so
vollstopft, daß er am andern Tage das Bett hüten muß.

Die Diplomatie reist wol hin und her, aber Sebastopol bleibt stehen, fast
noch unerschüttert, und mit ihm alle Schwierigkeiten, alle Unmöglichkeiten.
Preußen hält sich fest wie Sebastopol auch, und die weftmächtliche Diplomatie
gleicht der preußischen gegenüber einem Eichhörnchen, das in einem Haspel
herumfährt -- je lebendiger es sich bewegt, um so rascher dreht sich das Rad,
aber vom Vorwärtskommen ist dabei nicht die Rede. Sie erlauben es Ihrem
Berichterstatter, unter solchem Bewenden die Wiener Diplomatie JlMu Wiener
Correspondenten, Sebastopol Ihrem Konstantinopler Briefsteller und die ganze
orientalische Frage dem deutschen Reichskammergerichte zu vermachen. Eines
aber wollen wir für die Wenigen, die noch nicht den Verstand verloren haben
über dieser politisch-diplomatisch-strategischen Penelopenarbeil, ausgesprochen
haben. Sowie die Sachen jetzt stehen ist der Friede unmöglich, weil
man ihn, soviel man erfahren kann, auf einer unmöglichen Grundlage auf¬
bauen will; und mit diesen Grundsätzen, mit dieser Politik ist auch der Krieg
unmöglich. Solange die Westmächte sich großmüthig vor die Achillesferse
Rußlands hinstellen, solange sie als Schild dastehen vor dem unbehornten
Fleck an der Schulter Siegfrieds, bleibt der Krieg ein menschenfressendes
Ungeheuer, das nie satt wird und bei dem kein Ende erzielbar ist.

Auch die Reise des Kaisers würde nichts ändern, denn die Einnahme
von Sebastopol, falls die Russen den Krieg auch dann noch fortsetzen würden,
ist jetzt keine Entscheidung mehr -- der Weg nach Rom wäre gesunden, aber
der Weg von Rom zurück ist eine ganz andre Geschichte.

Diese Reise ist eine wahre Sinecure für Zeitungscorrespondenten, ganz wie


der Redaction schmollen — wir bleiben immer gewiß, der orientalischen Post-
schnecke nachzukommen.

Es ist ein eignes Geschick mit Fragen, bei denen niemand recht
weiß, was er will oder wo man nicht recht wollen will, was man
soll — sie können sich aus dem Hamletzustande nicht herausreißen. Die
Vorsehung mag noch so sehr ihre Phantasie anstrengen und mit Theatercvupö
dreinfahren, daß der Telegraphendraht vor Entzücken zittert — es geht nicht
vorwärts.

Was hätte man nicht für augenscheinliche, unmittelbare Veränderungen er¬
wartet von einem Ereignisse wie der Tod des Zaren, der doch als schuldtragender
Heros dieser classischen Tragödie betrachtet, mit der einheitlichen Handlung,
die in Unthätigkeit besteht, mit der Einheit des Orts, dem Küstenland der
Iphigenie, mit der Einheit der Zeit, welche Ewigkeit heißt. Und was ist damit
verändert worden? Ein paar Franken Hauffe in Paris und in London, einige
diplomatische Diners mehr in Wien, bei denen sich Lord John Rüssel aus
Furcht, es könnten ihm wieder einige Inbiscretionen entfahren, den Mund so
vollstopft, daß er am andern Tage das Bett hüten muß.

Die Diplomatie reist wol hin und her, aber Sebastopol bleibt stehen, fast
noch unerschüttert, und mit ihm alle Schwierigkeiten, alle Unmöglichkeiten.
Preußen hält sich fest wie Sebastopol auch, und die weftmächtliche Diplomatie
gleicht der preußischen gegenüber einem Eichhörnchen, das in einem Haspel
herumfährt — je lebendiger es sich bewegt, um so rascher dreht sich das Rad,
aber vom Vorwärtskommen ist dabei nicht die Rede. Sie erlauben es Ihrem
Berichterstatter, unter solchem Bewenden die Wiener Diplomatie JlMu Wiener
Correspondenten, Sebastopol Ihrem Konstantinopler Briefsteller und die ganze
orientalische Frage dem deutschen Reichskammergerichte zu vermachen. Eines
aber wollen wir für die Wenigen, die noch nicht den Verstand verloren haben
über dieser politisch-diplomatisch-strategischen Penelopenarbeil, ausgesprochen
haben. Sowie die Sachen jetzt stehen ist der Friede unmöglich, weil
man ihn, soviel man erfahren kann, auf einer unmöglichen Grundlage auf¬
bauen will; und mit diesen Grundsätzen, mit dieser Politik ist auch der Krieg
unmöglich. Solange die Westmächte sich großmüthig vor die Achillesferse
Rußlands hinstellen, solange sie als Schild dastehen vor dem unbehornten
Fleck an der Schulter Siegfrieds, bleibt der Krieg ein menschenfressendes
Ungeheuer, das nie satt wird und bei dem kein Ende erzielbar ist.

Auch die Reise des Kaisers würde nichts ändern, denn die Einnahme
von Sebastopol, falls die Russen den Krieg auch dann noch fortsetzen würden,
ist jetzt keine Entscheidung mehr — der Weg nach Rom wäre gesunden, aber
der Weg von Rom zurück ist eine ganz andre Geschichte.

Diese Reise ist eine wahre Sinecure für Zeitungscorrespondenten, ganz wie


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[0511] der Redaction schmollen — wir bleiben immer gewiß, der orientalischen Post- schnecke nachzukommen. Es ist ein eignes Geschick mit Fragen, bei denen niemand recht weiß, was er will oder wo man nicht recht wollen will, was man soll — sie können sich aus dem Hamletzustande nicht herausreißen. Die Vorsehung mag noch so sehr ihre Phantasie anstrengen und mit Theatercvupö dreinfahren, daß der Telegraphendraht vor Entzücken zittert — es geht nicht vorwärts. Was hätte man nicht für augenscheinliche, unmittelbare Veränderungen er¬ wartet von einem Ereignisse wie der Tod des Zaren, der doch als schuldtragender Heros dieser classischen Tragödie betrachtet, mit der einheitlichen Handlung, die in Unthätigkeit besteht, mit der Einheit des Orts, dem Küstenland der Iphigenie, mit der Einheit der Zeit, welche Ewigkeit heißt. Und was ist damit verändert worden? Ein paar Franken Hauffe in Paris und in London, einige diplomatische Diners mehr in Wien, bei denen sich Lord John Rüssel aus Furcht, es könnten ihm wieder einige Inbiscretionen entfahren, den Mund so vollstopft, daß er am andern Tage das Bett hüten muß. Die Diplomatie reist wol hin und her, aber Sebastopol bleibt stehen, fast noch unerschüttert, und mit ihm alle Schwierigkeiten, alle Unmöglichkeiten. Preußen hält sich fest wie Sebastopol auch, und die weftmächtliche Diplomatie gleicht der preußischen gegenüber einem Eichhörnchen, das in einem Haspel herumfährt — je lebendiger es sich bewegt, um so rascher dreht sich das Rad, aber vom Vorwärtskommen ist dabei nicht die Rede. Sie erlauben es Ihrem Berichterstatter, unter solchem Bewenden die Wiener Diplomatie JlMu Wiener Correspondenten, Sebastopol Ihrem Konstantinopler Briefsteller und die ganze orientalische Frage dem deutschen Reichskammergerichte zu vermachen. Eines aber wollen wir für die Wenigen, die noch nicht den Verstand verloren haben über dieser politisch-diplomatisch-strategischen Penelopenarbeil, ausgesprochen haben. Sowie die Sachen jetzt stehen ist der Friede unmöglich, weil man ihn, soviel man erfahren kann, auf einer unmöglichen Grundlage auf¬ bauen will; und mit diesen Grundsätzen, mit dieser Politik ist auch der Krieg unmöglich. Solange die Westmächte sich großmüthig vor die Achillesferse Rußlands hinstellen, solange sie als Schild dastehen vor dem unbehornten Fleck an der Schulter Siegfrieds, bleibt der Krieg ein menschenfressendes Ungeheuer, das nie satt wird und bei dem kein Ende erzielbar ist. Auch die Reise des Kaisers würde nichts ändern, denn die Einnahme von Sebastopol, falls die Russen den Krieg auch dann noch fortsetzen würden, ist jetzt keine Entscheidung mehr — der Weg nach Rom wäre gesunden, aber der Weg von Rom zurück ist eine ganz andre Geschichte. Diese Reise ist eine wahre Sinecure für Zeitungscorrespondenten, ganz wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/511>, abgerufen am 29.06.2024.