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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Uebersetzung vom Theatre framMs zurückgewiesen. Wir hoffen, daß sie sich
mit der Zeit Bahn brechen wird, denn sie wäre in der That eine Bereicherung
des französischen Theaters. Den Don Carlos in seinem ganzen Umfange dar¬
zustellen würde selbst ein deutsches Theater nicht wagen. Es ist ein großes
Unglück, daß Schiller für die Entwicklung seines Genius stets einen so über¬
mäßigen Raum brauchte. Don Carlos steht an dramatischer Abrundung den
späteren Werken Schillers bei weitem nach, und doch haben wir bei der Ver-
gleichung des Originals mit der Uebersetzung die Hauptscenen des Stücks
wieder mit einer großen Bewunderung gelesen. Schiller ist doch bei weitem
die größte dramatische Kraft, die Deutschland hervorgebracht hat, und jede Ver¬
änderung in seinen Stücken muß man als einen schmerzlichen Schnitt empfin¬
den. -- Was der Hauptfehler in der Composition des Stückes sei hat Schiller
selbst ganz richtig bezeichnet. Ursprünglich war ihm die Liebesgeschichte des
Don Carlos die Hauptsache, nachher drängte sich Posa hervor. Der Plan
des Stücks wurde verändert, und doch blieben von dem alten Ueberreste genug,
die sich den neuen Ideen nicht recht fügen wollten. Die beiden Hauptscenen
des Stücks, das Gespräch des Carlos mit derEboli und Pvsas mit'dem König,
sind allgemein bekannt und sie sind in der Anlage und Ausführung so herrlich,
daß kein Theater es wagen würde, sie zu opfern. Damit aber diese beiden
Scenen richtig verstanden werden, müssen die drei Charaktere Carlos, Posa und
der König in der That so ausführlich entwickelt werden, wie es Schiller gethan
hat. Ein französischer Bearbeiter hätte darin eine größere Freiheit. Er könnte
das eine der beiden Hauptmotive, wenn nicht ganz fallen lassen, doch so
in den Hintergrund drängen, daß dem andern ein größerer Spielraum gegeben
wurde. Der Uebersetzer hat das nicht gethan. Er hat zwar, um den Scenen¬
wechsel innerhalb der einzelnen Acte, der den Parisern stets beschwerlich fällt,
zu vermeiden, die Reihenfolge der Scenen mit Ausnahme des ersten Acts, in
welchem das Original fast ganz beibehalten ist, verändert und die einzelnen
Scenen zusammengezogen, aber er hat das zum Verständniß der Handlung we¬
sentliche Motiv jeder einzelnen Scene auf irgendeine Weise wieder angebracht.
Leider hat er darüber die größten Schönheiten des Dichters geopfert. So
sieht namentlich die Scene mit der Eboli, wie er sie gibt, sehr kläglich aus
neben der lebensvollen Frische des Originals. Ferner hat er die kühnen' Ge¬
fühlsausbrüche, die Schillers Größe ausmachen, die sich aber der Franzose in
dieser Form schwer gefallen läßt, sehr stark modificirt. Der Charakter, den
Schiller mit der größten Vorliebe behandelt hat, ist König Philipp. Zwar hat
man Schiller sehr lebhaft getadelt, daß er diesen menschenfeindlichen Charakter
durch Hineintragung, menschlicher Empfindungen abgeschwächt habe; allein dieser
Vorwurf zerfällt in nichts, wenn wir in Anschlag bringen, daß der König
hier nicht als Bösewicht, als Intriguant des Stücks, nicht als der bloße Aus-


Uebersetzung vom Theatre framMs zurückgewiesen. Wir hoffen, daß sie sich
mit der Zeit Bahn brechen wird, denn sie wäre in der That eine Bereicherung
des französischen Theaters. Den Don Carlos in seinem ganzen Umfange dar¬
zustellen würde selbst ein deutsches Theater nicht wagen. Es ist ein großes
Unglück, daß Schiller für die Entwicklung seines Genius stets einen so über¬
mäßigen Raum brauchte. Don Carlos steht an dramatischer Abrundung den
späteren Werken Schillers bei weitem nach, und doch haben wir bei der Ver-
gleichung des Originals mit der Uebersetzung die Hauptscenen des Stücks
wieder mit einer großen Bewunderung gelesen. Schiller ist doch bei weitem
die größte dramatische Kraft, die Deutschland hervorgebracht hat, und jede Ver¬
änderung in seinen Stücken muß man als einen schmerzlichen Schnitt empfin¬
den. — Was der Hauptfehler in der Composition des Stückes sei hat Schiller
selbst ganz richtig bezeichnet. Ursprünglich war ihm die Liebesgeschichte des
Don Carlos die Hauptsache, nachher drängte sich Posa hervor. Der Plan
des Stücks wurde verändert, und doch blieben von dem alten Ueberreste genug,
die sich den neuen Ideen nicht recht fügen wollten. Die beiden Hauptscenen
des Stücks, das Gespräch des Carlos mit derEboli und Pvsas mit'dem König,
sind allgemein bekannt und sie sind in der Anlage und Ausführung so herrlich,
daß kein Theater es wagen würde, sie zu opfern. Damit aber diese beiden
Scenen richtig verstanden werden, müssen die drei Charaktere Carlos, Posa und
der König in der That so ausführlich entwickelt werden, wie es Schiller gethan
hat. Ein französischer Bearbeiter hätte darin eine größere Freiheit. Er könnte
das eine der beiden Hauptmotive, wenn nicht ganz fallen lassen, doch so
in den Hintergrund drängen, daß dem andern ein größerer Spielraum gegeben
wurde. Der Uebersetzer hat das nicht gethan. Er hat zwar, um den Scenen¬
wechsel innerhalb der einzelnen Acte, der den Parisern stets beschwerlich fällt,
zu vermeiden, die Reihenfolge der Scenen mit Ausnahme des ersten Acts, in
welchem das Original fast ganz beibehalten ist, verändert und die einzelnen
Scenen zusammengezogen, aber er hat das zum Verständniß der Handlung we¬
sentliche Motiv jeder einzelnen Scene auf irgendeine Weise wieder angebracht.
Leider hat er darüber die größten Schönheiten des Dichters geopfert. So
sieht namentlich die Scene mit der Eboli, wie er sie gibt, sehr kläglich aus
neben der lebensvollen Frische des Originals. Ferner hat er die kühnen' Ge¬
fühlsausbrüche, die Schillers Größe ausmachen, die sich aber der Franzose in
dieser Form schwer gefallen läßt, sehr stark modificirt. Der Charakter, den
Schiller mit der größten Vorliebe behandelt hat, ist König Philipp. Zwar hat
man Schiller sehr lebhaft getadelt, daß er diesen menschenfeindlichen Charakter
durch Hineintragung, menschlicher Empfindungen abgeschwächt habe; allein dieser
Vorwurf zerfällt in nichts, wenn wir in Anschlag bringen, daß der König
hier nicht als Bösewicht, als Intriguant des Stücks, nicht als der bloße Aus-


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[0500] Uebersetzung vom Theatre framMs zurückgewiesen. Wir hoffen, daß sie sich mit der Zeit Bahn brechen wird, denn sie wäre in der That eine Bereicherung des französischen Theaters. Den Don Carlos in seinem ganzen Umfange dar¬ zustellen würde selbst ein deutsches Theater nicht wagen. Es ist ein großes Unglück, daß Schiller für die Entwicklung seines Genius stets einen so über¬ mäßigen Raum brauchte. Don Carlos steht an dramatischer Abrundung den späteren Werken Schillers bei weitem nach, und doch haben wir bei der Ver- gleichung des Originals mit der Uebersetzung die Hauptscenen des Stücks wieder mit einer großen Bewunderung gelesen. Schiller ist doch bei weitem die größte dramatische Kraft, die Deutschland hervorgebracht hat, und jede Ver¬ änderung in seinen Stücken muß man als einen schmerzlichen Schnitt empfin¬ den. — Was der Hauptfehler in der Composition des Stückes sei hat Schiller selbst ganz richtig bezeichnet. Ursprünglich war ihm die Liebesgeschichte des Don Carlos die Hauptsache, nachher drängte sich Posa hervor. Der Plan des Stücks wurde verändert, und doch blieben von dem alten Ueberreste genug, die sich den neuen Ideen nicht recht fügen wollten. Die beiden Hauptscenen des Stücks, das Gespräch des Carlos mit derEboli und Pvsas mit'dem König, sind allgemein bekannt und sie sind in der Anlage und Ausführung so herrlich, daß kein Theater es wagen würde, sie zu opfern. Damit aber diese beiden Scenen richtig verstanden werden, müssen die drei Charaktere Carlos, Posa und der König in der That so ausführlich entwickelt werden, wie es Schiller gethan hat. Ein französischer Bearbeiter hätte darin eine größere Freiheit. Er könnte das eine der beiden Hauptmotive, wenn nicht ganz fallen lassen, doch so in den Hintergrund drängen, daß dem andern ein größerer Spielraum gegeben wurde. Der Uebersetzer hat das nicht gethan. Er hat zwar, um den Scenen¬ wechsel innerhalb der einzelnen Acte, der den Parisern stets beschwerlich fällt, zu vermeiden, die Reihenfolge der Scenen mit Ausnahme des ersten Acts, in welchem das Original fast ganz beibehalten ist, verändert und die einzelnen Scenen zusammengezogen, aber er hat das zum Verständniß der Handlung we¬ sentliche Motiv jeder einzelnen Scene auf irgendeine Weise wieder angebracht. Leider hat er darüber die größten Schönheiten des Dichters geopfert. So sieht namentlich die Scene mit der Eboli, wie er sie gibt, sehr kläglich aus neben der lebensvollen Frische des Originals. Ferner hat er die kühnen' Ge¬ fühlsausbrüche, die Schillers Größe ausmachen, die sich aber der Franzose in dieser Form schwer gefallen läßt, sehr stark modificirt. Der Charakter, den Schiller mit der größten Vorliebe behandelt hat, ist König Philipp. Zwar hat man Schiller sehr lebhaft getadelt, daß er diesen menschenfeindlichen Charakter durch Hineintragung, menschlicher Empfindungen abgeschwächt habe; allein dieser Vorwurf zerfällt in nichts, wenn wir in Anschlag bringen, daß der König hier nicht als Bösewicht, als Intriguant des Stücks, nicht als der bloße Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/500>, abgerufen am 29.06.2024.