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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Standes, 'schuf und lebte er in einem unlösbaren Zwiespalt. Ohne daß ers
wollte verlor er jede Originalität, weil jede neue Richtung ihn ergriff, jeder
fremde Erfolg ihn antrieb, auf gleichem Felde gleiche Lorbeeren zu suchen.. Bald
ein Verfechter aller und jeder Emancipation, bald ein Verehrer des Bestehenden,
Althergebrachten, konnte er heute allem Glauben hohnsprechen und morgen sü
die gläubige Romantik in die Schranken treten. Seine innere Rastlosigkeit
und die Angriffe, die er von beiden Seiten zu erdulden hatte, steigerten sich
dadurch. Immerdar angefochten, immer genöthigt, sich zu vertheidigen und er¬
littene Niederlagen zu verschmerzen ober sie andern vergessen zu machen, hatten
Mißtrauen, Neid und Bitterkeit sich seiner in hohem Grade bemächtigt. Er,
der einst einen Goethe getadelt, weil er seinen Nachruhm Der Nachwelt anver¬
traut, und Byron verdammt, weil er sich außer den Kreis seiner Zeitgenossen
gestellt, er war dahin gekommen, jene Menschenverachtung und jenen Welt¬
schmerz zu empfinden, hinter denen die Charakterlosigkeit sich so leicht und gern
verbirgt. Hellwig- glaubte und nannte sich einen verkannten Genius. Er
schrieb und lebte, sich die ihm gebührende Anerkennung zu erzwingen. Wer
sie ihm darbrachte, wie er sie erlangte, das galt ihm gleich. Die Jünglinge,
die er bei einem Gelage durch ein keckes Wort geblendet, die Frauen, deren
Phantasie seine leidenschaftlichen Schilderungen erregt, die Mädchen, welche
seine persönliche Erscheinung bestochen, sie alle wußte er für seine Zwecke aus¬
zubeuten. Sie verkündeten sein Lob in der Journalistik, sie machten Propa¬
ganda sür ihn in der Gesellschaft und bahnten ihm die Wege für das Wander¬
leben, das er führte. So geschah es, daß, er viel genannt, daß er gelesen
wurde, daß eine Partei sich für ihn bildete, obschon das Urtheil der Ver¬
ständigen und die ernste Kritik sich unwillig und verdammend gegen ihn er¬
klärten.

Diese innere Aushöhlung der Empfindungen in der Poesie geht natürlich
auch auf das Leben über, und so können wir dem harten und bittern, aber
leider nur zu treffenden Worte der Dichterin, das sich später durch einzelne'
Züge rechtfertigt, nur beipflichten: "nur wenn er dichtete, fühlte er die Un¬
wahrheit seiner Empfindungen, im Leben hatte er sich zum Selbstbetrug gewöhnt."
Adele selbst kommt zwar, wie es in dem Roman einer Frau nicht anders zu
erwarten ist, etwas besser fort, sie wird durch das Leben geprüft, zu verstän¬
digeren Gesinnungen geführt, und zum Schluß tritt eine freilich nur sehr
nothdürftige Versöhnung ein; aber^wir haben doch auch hier das Gefühl: es
ist eine verfehlte Existenz.

Und dies ist zum Theil der Grund, weshalb das Buch trotz seiner aner-
kennenswerther Tendenz im ganzen einen unerquicklichen Eindruck macht. Wir
wollen hier einen Grundsatz aufstellen, der manchem paradox erscheinen wird,
den aber jedes richtige Gefühl billigen muß: Alle blos satirische Poesie ist


Standes, 'schuf und lebte er in einem unlösbaren Zwiespalt. Ohne daß ers
wollte verlor er jede Originalität, weil jede neue Richtung ihn ergriff, jeder
fremde Erfolg ihn antrieb, auf gleichem Felde gleiche Lorbeeren zu suchen.. Bald
ein Verfechter aller und jeder Emancipation, bald ein Verehrer des Bestehenden,
Althergebrachten, konnte er heute allem Glauben hohnsprechen und morgen sü
die gläubige Romantik in die Schranken treten. Seine innere Rastlosigkeit
und die Angriffe, die er von beiden Seiten zu erdulden hatte, steigerten sich
dadurch. Immerdar angefochten, immer genöthigt, sich zu vertheidigen und er¬
littene Niederlagen zu verschmerzen ober sie andern vergessen zu machen, hatten
Mißtrauen, Neid und Bitterkeit sich seiner in hohem Grade bemächtigt. Er,
der einst einen Goethe getadelt, weil er seinen Nachruhm Der Nachwelt anver¬
traut, und Byron verdammt, weil er sich außer den Kreis seiner Zeitgenossen
gestellt, er war dahin gekommen, jene Menschenverachtung und jenen Welt¬
schmerz zu empfinden, hinter denen die Charakterlosigkeit sich so leicht und gern
verbirgt. Hellwig- glaubte und nannte sich einen verkannten Genius. Er
schrieb und lebte, sich die ihm gebührende Anerkennung zu erzwingen. Wer
sie ihm darbrachte, wie er sie erlangte, das galt ihm gleich. Die Jünglinge,
die er bei einem Gelage durch ein keckes Wort geblendet, die Frauen, deren
Phantasie seine leidenschaftlichen Schilderungen erregt, die Mädchen, welche
seine persönliche Erscheinung bestochen, sie alle wußte er für seine Zwecke aus¬
zubeuten. Sie verkündeten sein Lob in der Journalistik, sie machten Propa¬
ganda sür ihn in der Gesellschaft und bahnten ihm die Wege für das Wander¬
leben, das er führte. So geschah es, daß, er viel genannt, daß er gelesen
wurde, daß eine Partei sich für ihn bildete, obschon das Urtheil der Ver¬
ständigen und die ernste Kritik sich unwillig und verdammend gegen ihn er¬
klärten.

Diese innere Aushöhlung der Empfindungen in der Poesie geht natürlich
auch auf das Leben über, und so können wir dem harten und bittern, aber
leider nur zu treffenden Worte der Dichterin, das sich später durch einzelne'
Züge rechtfertigt, nur beipflichten: „nur wenn er dichtete, fühlte er die Un¬
wahrheit seiner Empfindungen, im Leben hatte er sich zum Selbstbetrug gewöhnt."
Adele selbst kommt zwar, wie es in dem Roman einer Frau nicht anders zu
erwarten ist, etwas besser fort, sie wird durch das Leben geprüft, zu verstän¬
digeren Gesinnungen geführt, und zum Schluß tritt eine freilich nur sehr
nothdürftige Versöhnung ein; aber^wir haben doch auch hier das Gefühl: es
ist eine verfehlte Existenz.

Und dies ist zum Theil der Grund, weshalb das Buch trotz seiner aner-
kennenswerther Tendenz im ganzen einen unerquicklichen Eindruck macht. Wir
wollen hier einen Grundsatz aufstellen, der manchem paradox erscheinen wird,
den aber jedes richtige Gefühl billigen muß: Alle blos satirische Poesie ist


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[0471] Standes, 'schuf und lebte er in einem unlösbaren Zwiespalt. Ohne daß ers wollte verlor er jede Originalität, weil jede neue Richtung ihn ergriff, jeder fremde Erfolg ihn antrieb, auf gleichem Felde gleiche Lorbeeren zu suchen.. Bald ein Verfechter aller und jeder Emancipation, bald ein Verehrer des Bestehenden, Althergebrachten, konnte er heute allem Glauben hohnsprechen und morgen sü die gläubige Romantik in die Schranken treten. Seine innere Rastlosigkeit und die Angriffe, die er von beiden Seiten zu erdulden hatte, steigerten sich dadurch. Immerdar angefochten, immer genöthigt, sich zu vertheidigen und er¬ littene Niederlagen zu verschmerzen ober sie andern vergessen zu machen, hatten Mißtrauen, Neid und Bitterkeit sich seiner in hohem Grade bemächtigt. Er, der einst einen Goethe getadelt, weil er seinen Nachruhm Der Nachwelt anver¬ traut, und Byron verdammt, weil er sich außer den Kreis seiner Zeitgenossen gestellt, er war dahin gekommen, jene Menschenverachtung und jenen Welt¬ schmerz zu empfinden, hinter denen die Charakterlosigkeit sich so leicht und gern verbirgt. Hellwig- glaubte und nannte sich einen verkannten Genius. Er schrieb und lebte, sich die ihm gebührende Anerkennung zu erzwingen. Wer sie ihm darbrachte, wie er sie erlangte, das galt ihm gleich. Die Jünglinge, die er bei einem Gelage durch ein keckes Wort geblendet, die Frauen, deren Phantasie seine leidenschaftlichen Schilderungen erregt, die Mädchen, welche seine persönliche Erscheinung bestochen, sie alle wußte er für seine Zwecke aus¬ zubeuten. Sie verkündeten sein Lob in der Journalistik, sie machten Propa¬ ganda sür ihn in der Gesellschaft und bahnten ihm die Wege für das Wander¬ leben, das er führte. So geschah es, daß, er viel genannt, daß er gelesen wurde, daß eine Partei sich für ihn bildete, obschon das Urtheil der Ver¬ ständigen und die ernste Kritik sich unwillig und verdammend gegen ihn er¬ klärten. Diese innere Aushöhlung der Empfindungen in der Poesie geht natürlich auch auf das Leben über, und so können wir dem harten und bittern, aber leider nur zu treffenden Worte der Dichterin, das sich später durch einzelne' Züge rechtfertigt, nur beipflichten: „nur wenn er dichtete, fühlte er die Un¬ wahrheit seiner Empfindungen, im Leben hatte er sich zum Selbstbetrug gewöhnt." Adele selbst kommt zwar, wie es in dem Roman einer Frau nicht anders zu erwarten ist, etwas besser fort, sie wird durch das Leben geprüft, zu verstän¬ digeren Gesinnungen geführt, und zum Schluß tritt eine freilich nur sehr nothdürftige Versöhnung ein; aber^wir haben doch auch hier das Gefühl: es ist eine verfehlte Existenz. Und dies ist zum Theil der Grund, weshalb das Buch trotz seiner aner- kennenswerther Tendenz im ganzen einen unerquicklichen Eindruck macht. Wir wollen hier einen Grundsatz aufstellen, der manchem paradox erscheinen wird, den aber jedes richtige Gefühl billigen muß: Alle blos satirische Poesie ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/471>, abgerufen am 23.07.2024.