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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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zu thun hätte, als einen bestimmten Paragraphen nachzuschlagen und ihn so¬
fort anzuwenden; es enthält nicht ein Register, mit dessen Hilfe sich der Un¬
gebildete alles weiteren Nachdenkens einschlagen könnte, sondern es bemüht
sich, den Geist des Studirenden soweit reif und unabhängig zu machen, daß
er in concreten Fällen selbstständig und unabhängig nachdenken kann; und das
scheint uns in der That die wesentliche Aufgabe der Wissenschaft zu sein. Man
kann das System nicht durch irgendein beliebige? Stichwort bezeichnen; wer
sich überhaupt damit beschäftigen will, muß es gründlich der Reihe nach stu-
diren. Für den Gelehrten ist in zahlreichen Noten der literarische Apparat
hinzugefügt; eine Methode, die in unsrer Zeit immer mehr abkommt, die aber
doch wol die zweckmäßigste sein möchte, denn die neue Manier, die A>t und
Weise, wie man zu seinen Ueberzeugungen gekommen ist, und die Ueberzeugung
selbst bunt durcheinanderzuwerfen, ist zwar sehr bequem für den Schreibenden,
aber nicht für denjenigen, der das Werk studiren soll.

Indem wir also dem Buch eine recht große Verbreitung wünschen und
voraussagen, deuten wir noch flüchtig nach der Anleitung des Verfassers selbst
die Stellung der neuen Methode zu der historischen Entwicklung der National¬
ökonomie an.

Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts herrschte, soweit man in dieser
Sache überhaupt systematisirte, das Mercantilsystem, dessen Hauptlehren fol¬
gende waren: der Reichthum eines Staats stellt sich dar in dem Quantum des
Geldes, das er besitzt; die Vermehrung oder Verminderung des Goldes und
Silbers in einem Lande ist ganz gleich mit dem Wachsen oder Abnehmen des
Nationalreichthums. Die Staaten, welche keine edlen Metalle aus Bergwerken
gewinnen, können sich dieselben hauptsächlich nur durch auswärtigen Handel
verschaffen; je mehr baares Geld für Waaren aus dem Verkehr mit einem
Lande gezogen wird, um so günstiger stellt sich die Handelsbilanz. Um diese
Resultate zu erreichen, empfahl man als Mittel: Verbot der Ausfuhr der edlen
Metalle, sowie der zur Waarenfabrikation des Inlandes tauglichen Rohstoffe
und der Einfuhr der Fabrikwaaren des Auslandes, Begünstigung des auswär¬
tigen Handels, der fabricirenden Gewerbe, der Einfuhr von Rohstoffen, der
Ausfuhr von Fabrikwaaren. Zu dem Ende wurden Privilegien, Monopole,
Prämien, Capitalvorschnsse von den Regierungen ertheilt, der Gewerbebetrieb
durch detaillirte Vorschriften geregelt u. s. w.

Diesem System stellte sich das ebenso einseitige physiokratische entgegen,
seit durch Quesnay gelehrt. Nach diesem muß der Grund und Bo¬
den, der alle materiellen Stoffe hervorbringt, als die alleinige Quelle des
Reichthums gelten und die Bodenbearbeitung als die einzige Beschäftigung,
welche die Gütermasse vermehrt. In dem Ertrage des Bodens allein ist des¬
halb das ursprüngliche Einkommen zu suchen, indem durch die Mitwirkung der


zu thun hätte, als einen bestimmten Paragraphen nachzuschlagen und ihn so¬
fort anzuwenden; es enthält nicht ein Register, mit dessen Hilfe sich der Un¬
gebildete alles weiteren Nachdenkens einschlagen könnte, sondern es bemüht
sich, den Geist des Studirenden soweit reif und unabhängig zu machen, daß
er in concreten Fällen selbstständig und unabhängig nachdenken kann; und das
scheint uns in der That die wesentliche Aufgabe der Wissenschaft zu sein. Man
kann das System nicht durch irgendein beliebige? Stichwort bezeichnen; wer
sich überhaupt damit beschäftigen will, muß es gründlich der Reihe nach stu-
diren. Für den Gelehrten ist in zahlreichen Noten der literarische Apparat
hinzugefügt; eine Methode, die in unsrer Zeit immer mehr abkommt, die aber
doch wol die zweckmäßigste sein möchte, denn die neue Manier, die A>t und
Weise, wie man zu seinen Ueberzeugungen gekommen ist, und die Ueberzeugung
selbst bunt durcheinanderzuwerfen, ist zwar sehr bequem für den Schreibenden,
aber nicht für denjenigen, der das Werk studiren soll.

Indem wir also dem Buch eine recht große Verbreitung wünschen und
voraussagen, deuten wir noch flüchtig nach der Anleitung des Verfassers selbst
die Stellung der neuen Methode zu der historischen Entwicklung der National¬
ökonomie an.

Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts herrschte, soweit man in dieser
Sache überhaupt systematisirte, das Mercantilsystem, dessen Hauptlehren fol¬
gende waren: der Reichthum eines Staats stellt sich dar in dem Quantum des
Geldes, das er besitzt; die Vermehrung oder Verminderung des Goldes und
Silbers in einem Lande ist ganz gleich mit dem Wachsen oder Abnehmen des
Nationalreichthums. Die Staaten, welche keine edlen Metalle aus Bergwerken
gewinnen, können sich dieselben hauptsächlich nur durch auswärtigen Handel
verschaffen; je mehr baares Geld für Waaren aus dem Verkehr mit einem
Lande gezogen wird, um so günstiger stellt sich die Handelsbilanz. Um diese
Resultate zu erreichen, empfahl man als Mittel: Verbot der Ausfuhr der edlen
Metalle, sowie der zur Waarenfabrikation des Inlandes tauglichen Rohstoffe
und der Einfuhr der Fabrikwaaren des Auslandes, Begünstigung des auswär¬
tigen Handels, der fabricirenden Gewerbe, der Einfuhr von Rohstoffen, der
Ausfuhr von Fabrikwaaren. Zu dem Ende wurden Privilegien, Monopole,
Prämien, Capitalvorschnsse von den Regierungen ertheilt, der Gewerbebetrieb
durch detaillirte Vorschriften geregelt u. s. w.

Diesem System stellte sich das ebenso einseitige physiokratische entgegen,
seit durch Quesnay gelehrt. Nach diesem muß der Grund und Bo¬
den, der alle materiellen Stoffe hervorbringt, als die alleinige Quelle des
Reichthums gelten und die Bodenbearbeitung als die einzige Beschäftigung,
welche die Gütermasse vermehrt. In dem Ertrage des Bodens allein ist des¬
halb das ursprüngliche Einkommen zu suchen, indem durch die Mitwirkung der


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[0461] zu thun hätte, als einen bestimmten Paragraphen nachzuschlagen und ihn so¬ fort anzuwenden; es enthält nicht ein Register, mit dessen Hilfe sich der Un¬ gebildete alles weiteren Nachdenkens einschlagen könnte, sondern es bemüht sich, den Geist des Studirenden soweit reif und unabhängig zu machen, daß er in concreten Fällen selbstständig und unabhängig nachdenken kann; und das scheint uns in der That die wesentliche Aufgabe der Wissenschaft zu sein. Man kann das System nicht durch irgendein beliebige? Stichwort bezeichnen; wer sich überhaupt damit beschäftigen will, muß es gründlich der Reihe nach stu- diren. Für den Gelehrten ist in zahlreichen Noten der literarische Apparat hinzugefügt; eine Methode, die in unsrer Zeit immer mehr abkommt, die aber doch wol die zweckmäßigste sein möchte, denn die neue Manier, die A>t und Weise, wie man zu seinen Ueberzeugungen gekommen ist, und die Ueberzeugung selbst bunt durcheinanderzuwerfen, ist zwar sehr bequem für den Schreibenden, aber nicht für denjenigen, der das Werk studiren soll. Indem wir also dem Buch eine recht große Verbreitung wünschen und voraussagen, deuten wir noch flüchtig nach der Anleitung des Verfassers selbst die Stellung der neuen Methode zu der historischen Entwicklung der National¬ ökonomie an. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts herrschte, soweit man in dieser Sache überhaupt systematisirte, das Mercantilsystem, dessen Hauptlehren fol¬ gende waren: der Reichthum eines Staats stellt sich dar in dem Quantum des Geldes, das er besitzt; die Vermehrung oder Verminderung des Goldes und Silbers in einem Lande ist ganz gleich mit dem Wachsen oder Abnehmen des Nationalreichthums. Die Staaten, welche keine edlen Metalle aus Bergwerken gewinnen, können sich dieselben hauptsächlich nur durch auswärtigen Handel verschaffen; je mehr baares Geld für Waaren aus dem Verkehr mit einem Lande gezogen wird, um so günstiger stellt sich die Handelsbilanz. Um diese Resultate zu erreichen, empfahl man als Mittel: Verbot der Ausfuhr der edlen Metalle, sowie der zur Waarenfabrikation des Inlandes tauglichen Rohstoffe und der Einfuhr der Fabrikwaaren des Auslandes, Begünstigung des auswär¬ tigen Handels, der fabricirenden Gewerbe, der Einfuhr von Rohstoffen, der Ausfuhr von Fabrikwaaren. Zu dem Ende wurden Privilegien, Monopole, Prämien, Capitalvorschnsse von den Regierungen ertheilt, der Gewerbebetrieb durch detaillirte Vorschriften geregelt u. s. w. Diesem System stellte sich das ebenso einseitige physiokratische entgegen, seit durch Quesnay gelehrt. Nach diesem muß der Grund und Bo¬ den, der alle materiellen Stoffe hervorbringt, als die alleinige Quelle des Reichthums gelten und die Bodenbearbeitung als die einzige Beschäftigung, welche die Gütermasse vermehrt. In dem Ertrage des Bodens allein ist des¬ halb das ursprüngliche Einkommen zu suchen, indem durch die Mitwirkung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/461>, abgerufen am 29.06.2024.