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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Cur des Reichs betrachten zu lassen, welches durch die Noth zu einem neuen
Ausschwung kommen soll, wie Preußen nach der Schlacht bei J^'na. Solche
complicirte Motive entsprechen weder der Natur noch den Gesetzen der Kunst.
2) Als Maschinist des Stücks figurirt ein jüdischer Arzt, der gewissermaßen
die Schmach seines Volks an den Christen rächen will, der aber zu wenig
eignes inneres Leben hat, um dem Publicum verständlich zu werden. 3) Das
Mittel, durch welches er wirkt, ist nicht tragisch, nicht von der Art, daß es
auf das Gefühl unmittelbar wirken könnte. König Roderich ist in drückender
Geldverlegenheit; seine Stände weigern sich, ihm zu Hilfe zu komme". Nun
sind im Thurme des altrn Königs Sisebut die Reichoschätze aufbewahrt, die
das Reich aus aller Noth retten könnten, die aber laut testamentarischer Ver¬
fügung nur mit Einwilligung des Raths von Toledo flüssig gemacht werden
können. Jener Jude gibt dem König Mittel an die Hand, sich der Schätze
aus heimlichem Wege zu bemächtigen. Dadurch wird zwar der augenblicklichen
Noth abgeholfen, aber der König zugleich zu leichtsinniger Verschwendung ver¬
führt und außerdem in einen schlimmen Conflict mit den Reichsgcwalten ge¬
bracht. -- Dies Motiv ist darum nicht glücklich gewählt, weil uns im Drama
selbst der gesetzliche Zustand des Landes nicht in der Art dargestellt wird, daß
wir vor ihm Respect empfinden könnten. Eigenmacht streitet gegen Eigenmacht,
Unvernunft gegen Unvernunft, und da alle Personen des Stücks ohne Be¬
denken über ihre Befugnisse hinausgehen, so finden wir es nicht besonders
auffallend, daß auch der König Rvderich seinerseits zugreift. Nebenbei kommt
noch durch die Fallthüren, die verborgenen Gänge u. s. w. eine Art von Ro¬
mantik in die Geschichte, die wir aus einem ernsten Drama Hinwegwünschen. --

Die "Kleinigkeiten" sind in einer sehr guten Laune geschrieben und'
haben einzelne Scenen, die ihre Wirkung nicht verfehlen werden. Aber der
Verfasser hat es mit der Cvmposttion. zu leicht genommen; er wirft seine
Scenen bunt durcheinander und findet in scherzhaften Monologen und Ge¬
sprächen kein Maß. Vielleicht könnte durch recht starke Striche dem Stück für
die Bühne geholfen werden. --

Der Versuch der Shakespeareübersetzung ist mit gwßem Fleiß und
auch nicht ohne Geschmack angestellt. Einzelne offenbare Fehler Schlegels sind
glücklich verbessert, doch scheinen uns die Neuerungen des Verfassers, nament¬
lich die weitere Ausführung und Ausmalung des ElfenwescnS, nicht sehr
zweckmäßig. Bei Neuern Uebersetzungen der Shakespeareschen Dramen sollte
man vor allen Dingen darauf sehen, beim Arrangement der Scenen auf die
veränderte Gestalt unsrer Bühnen Rücksicht zu nehmen und die Härten der
Sprache, die uns zwar beim Lesen nicht stören, die aber bei der Aufführung
der Declamation und dem Verständniß nicht dienlich sind, einigermaßen zu
mildern. Für die Aufführung Shakespearescher Stücke könnte sich ein bühren-


Cur des Reichs betrachten zu lassen, welches durch die Noth zu einem neuen
Ausschwung kommen soll, wie Preußen nach der Schlacht bei J^'na. Solche
complicirte Motive entsprechen weder der Natur noch den Gesetzen der Kunst.
2) Als Maschinist des Stücks figurirt ein jüdischer Arzt, der gewissermaßen
die Schmach seines Volks an den Christen rächen will, der aber zu wenig
eignes inneres Leben hat, um dem Publicum verständlich zu werden. 3) Das
Mittel, durch welches er wirkt, ist nicht tragisch, nicht von der Art, daß es
auf das Gefühl unmittelbar wirken könnte. König Roderich ist in drückender
Geldverlegenheit; seine Stände weigern sich, ihm zu Hilfe zu komme». Nun
sind im Thurme des altrn Königs Sisebut die Reichoschätze aufbewahrt, die
das Reich aus aller Noth retten könnten, die aber laut testamentarischer Ver¬
fügung nur mit Einwilligung des Raths von Toledo flüssig gemacht werden
können. Jener Jude gibt dem König Mittel an die Hand, sich der Schätze
aus heimlichem Wege zu bemächtigen. Dadurch wird zwar der augenblicklichen
Noth abgeholfen, aber der König zugleich zu leichtsinniger Verschwendung ver¬
führt und außerdem in einen schlimmen Conflict mit den Reichsgcwalten ge¬
bracht. — Dies Motiv ist darum nicht glücklich gewählt, weil uns im Drama
selbst der gesetzliche Zustand des Landes nicht in der Art dargestellt wird, daß
wir vor ihm Respect empfinden könnten. Eigenmacht streitet gegen Eigenmacht,
Unvernunft gegen Unvernunft, und da alle Personen des Stücks ohne Be¬
denken über ihre Befugnisse hinausgehen, so finden wir es nicht besonders
auffallend, daß auch der König Rvderich seinerseits zugreift. Nebenbei kommt
noch durch die Fallthüren, die verborgenen Gänge u. s. w. eine Art von Ro¬
mantik in die Geschichte, die wir aus einem ernsten Drama Hinwegwünschen. —

Die „Kleinigkeiten" sind in einer sehr guten Laune geschrieben und'
haben einzelne Scenen, die ihre Wirkung nicht verfehlen werden. Aber der
Verfasser hat es mit der Cvmposttion. zu leicht genommen; er wirft seine
Scenen bunt durcheinander und findet in scherzhaften Monologen und Ge¬
sprächen kein Maß. Vielleicht könnte durch recht starke Striche dem Stück für
die Bühne geholfen werden. —

Der Versuch der Shakespeareübersetzung ist mit gwßem Fleiß und
auch nicht ohne Geschmack angestellt. Einzelne offenbare Fehler Schlegels sind
glücklich verbessert, doch scheinen uns die Neuerungen des Verfassers, nament¬
lich die weitere Ausführung und Ausmalung des ElfenwescnS, nicht sehr
zweckmäßig. Bei Neuern Uebersetzungen der Shakespeareschen Dramen sollte
man vor allen Dingen darauf sehen, beim Arrangement der Scenen auf die
veränderte Gestalt unsrer Bühnen Rücksicht zu nehmen und die Härten der
Sprache, die uns zwar beim Lesen nicht stören, die aber bei der Aufführung
der Declamation und dem Verständniß nicht dienlich sind, einigermaßen zu
mildern. Für die Aufführung Shakespearescher Stücke könnte sich ein bühren-


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[0399] Cur des Reichs betrachten zu lassen, welches durch die Noth zu einem neuen Ausschwung kommen soll, wie Preußen nach der Schlacht bei J^'na. Solche complicirte Motive entsprechen weder der Natur noch den Gesetzen der Kunst. 2) Als Maschinist des Stücks figurirt ein jüdischer Arzt, der gewissermaßen die Schmach seines Volks an den Christen rächen will, der aber zu wenig eignes inneres Leben hat, um dem Publicum verständlich zu werden. 3) Das Mittel, durch welches er wirkt, ist nicht tragisch, nicht von der Art, daß es auf das Gefühl unmittelbar wirken könnte. König Roderich ist in drückender Geldverlegenheit; seine Stände weigern sich, ihm zu Hilfe zu komme». Nun sind im Thurme des altrn Königs Sisebut die Reichoschätze aufbewahrt, die das Reich aus aller Noth retten könnten, die aber laut testamentarischer Ver¬ fügung nur mit Einwilligung des Raths von Toledo flüssig gemacht werden können. Jener Jude gibt dem König Mittel an die Hand, sich der Schätze aus heimlichem Wege zu bemächtigen. Dadurch wird zwar der augenblicklichen Noth abgeholfen, aber der König zugleich zu leichtsinniger Verschwendung ver¬ führt und außerdem in einen schlimmen Conflict mit den Reichsgcwalten ge¬ bracht. — Dies Motiv ist darum nicht glücklich gewählt, weil uns im Drama selbst der gesetzliche Zustand des Landes nicht in der Art dargestellt wird, daß wir vor ihm Respect empfinden könnten. Eigenmacht streitet gegen Eigenmacht, Unvernunft gegen Unvernunft, und da alle Personen des Stücks ohne Be¬ denken über ihre Befugnisse hinausgehen, so finden wir es nicht besonders auffallend, daß auch der König Rvderich seinerseits zugreift. Nebenbei kommt noch durch die Fallthüren, die verborgenen Gänge u. s. w. eine Art von Ro¬ mantik in die Geschichte, die wir aus einem ernsten Drama Hinwegwünschen. — Die „Kleinigkeiten" sind in einer sehr guten Laune geschrieben und' haben einzelne Scenen, die ihre Wirkung nicht verfehlen werden. Aber der Verfasser hat es mit der Cvmposttion. zu leicht genommen; er wirft seine Scenen bunt durcheinander und findet in scherzhaften Monologen und Ge¬ sprächen kein Maß. Vielleicht könnte durch recht starke Striche dem Stück für die Bühne geholfen werden. — Der Versuch der Shakespeareübersetzung ist mit gwßem Fleiß und auch nicht ohne Geschmack angestellt. Einzelne offenbare Fehler Schlegels sind glücklich verbessert, doch scheinen uns die Neuerungen des Verfassers, nament¬ lich die weitere Ausführung und Ausmalung des ElfenwescnS, nicht sehr zweckmäßig. Bei Neuern Uebersetzungen der Shakespeareschen Dramen sollte man vor allen Dingen darauf sehen, beim Arrangement der Scenen auf die veränderte Gestalt unsrer Bühnen Rücksicht zu nehmen und die Härten der Sprache, die uns zwar beim Lesen nicht stören, die aber bei der Aufführung der Declamation und dem Verständniß nicht dienlich sind, einigermaßen zu mildern. Für die Aufführung Shakespearescher Stücke könnte sich ein bühren-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/399>, abgerufen am 26.06.2024.