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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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manu, in welchem die Ueberzeugung von der Unentbehrlichkeit einer consequen-
ten, nationalen und im großartigen Sinne geführten Politik vorhanden
war, und der damit zugleich die richtige Einsicht in die damalige Lage Preu¬
ßens verband, ist Herzberg gewesen; aber er unterlag in einer hochwichtigen
und entscheidungsreicher Epoche einer Partei, von der die heutigen Führer der
äußersten Rechten, die Leiter der Kreuzzeitung, die Epigonen sind.

Die russische Staatskunst darf sich großer Triumphe rühmen, aber keiner
unter diesen ist so eclatanter Art, als das Gelingen des monströsen Peters¬
burger Versuchs: Preußen von seiner eigentlichen politischen Bestimmung,
von seinem großen europäischen Berufe abzulenken und es zu einem russischen
------ Verbündeten zu machen. Damit war das Geschick Polens besiegelt.

Das Geheimniß der Westeuropa entgegengewendeten Politik Rußlands
beruht auf seiner Stellung zu Polen und zur conservativen Partei. Es wußte
die deutschen Großmächte durch die Insinuation zu bethören, seine eignen
Interessen seien mit denen des conservativen Europa identisch. Die polnische
Theilung, welche erst im Jahre 181t auf dem Wiener Congreß zum Schluß
kam, gab ihm die Mittel an die Hand, Oestreich und Preußen von der Ge¬
meinsamkeit der russischen territorialen Interessen mit den ihrigen zu über¬
zeugen. So entstand, zum Nachtheil Deutschlands und als Hemmschuh sür
die politische Entwicklung des Welttheils jener gefürchtete Dreibund, in wel¬
chem Nußland um so unbedingter die Vorherrschaft hatte, als lediglich seine
Absichten es waren, die durch ihn befördert wurden.

Gegen diese Phalanr absoluter Staaten war auf dem europäischen Con-
tinent England ohnmächtig. Wie sehr es in den zwanziger Jahren diese
Schwäche empfunden hatte, erhellt aus der Freude, mit welcher jenseits des
Kanals der Sturz der Bourbonen in Frankreich begrüßt wurde. England ist
die erste Macht, welche sich der Juliregierung annähert; und das Zusammen¬
stehen beider Reiche in den belgisch-niederländischen und spanischen Händeln
wird damals zum Merkmal für. das Erstehen einer europäischen, thatkräftigen
Westpolitik, gegenüber der östlichen.

Wir sind der Ansicht, daß ebensosehr wie die Unwahrheit seines consti-
tutionellen Systems Ludwig Philipp die Halbheit seiner auswärtigen Politik
gestürzt hat. Der Bruch mit England im Jahre 1840 machte der Alliance
cordiale zu einer Zeit bereits ein Ende,'wo dieser Name-noch nicht erfunden
war. Seitdem traten die englische und französische Politik einander da feind¬
lich entgegen, wo sie sonst gemeinsam gegangen waren (in Aegypten und in
Spanien).

Inzwischen war das Bündniß zwischen Rußland und Preußen lockerer
geworden. Der Tod des Königs Friedrich Wilhelm til. hatte einer nationa¬
leren Politik und die,in gewissen Momenten, auch Nußland gegenüber, der


manu, in welchem die Ueberzeugung von der Unentbehrlichkeit einer consequen-
ten, nationalen und im großartigen Sinne geführten Politik vorhanden
war, und der damit zugleich die richtige Einsicht in die damalige Lage Preu¬
ßens verband, ist Herzberg gewesen; aber er unterlag in einer hochwichtigen
und entscheidungsreicher Epoche einer Partei, von der die heutigen Führer der
äußersten Rechten, die Leiter der Kreuzzeitung, die Epigonen sind.

Die russische Staatskunst darf sich großer Triumphe rühmen, aber keiner
unter diesen ist so eclatanter Art, als das Gelingen des monströsen Peters¬
burger Versuchs: Preußen von seiner eigentlichen politischen Bestimmung,
von seinem großen europäischen Berufe abzulenken und es zu einem russischen
------ Verbündeten zu machen. Damit war das Geschick Polens besiegelt.

Das Geheimniß der Westeuropa entgegengewendeten Politik Rußlands
beruht auf seiner Stellung zu Polen und zur conservativen Partei. Es wußte
die deutschen Großmächte durch die Insinuation zu bethören, seine eignen
Interessen seien mit denen des conservativen Europa identisch. Die polnische
Theilung, welche erst im Jahre 181t auf dem Wiener Congreß zum Schluß
kam, gab ihm die Mittel an die Hand, Oestreich und Preußen von der Ge¬
meinsamkeit der russischen territorialen Interessen mit den ihrigen zu über¬
zeugen. So entstand, zum Nachtheil Deutschlands und als Hemmschuh sür
die politische Entwicklung des Welttheils jener gefürchtete Dreibund, in wel¬
chem Nußland um so unbedingter die Vorherrschaft hatte, als lediglich seine
Absichten es waren, die durch ihn befördert wurden.

Gegen diese Phalanr absoluter Staaten war auf dem europäischen Con-
tinent England ohnmächtig. Wie sehr es in den zwanziger Jahren diese
Schwäche empfunden hatte, erhellt aus der Freude, mit welcher jenseits des
Kanals der Sturz der Bourbonen in Frankreich begrüßt wurde. England ist
die erste Macht, welche sich der Juliregierung annähert; und das Zusammen¬
stehen beider Reiche in den belgisch-niederländischen und spanischen Händeln
wird damals zum Merkmal für. das Erstehen einer europäischen, thatkräftigen
Westpolitik, gegenüber der östlichen.

Wir sind der Ansicht, daß ebensosehr wie die Unwahrheit seines consti-
tutionellen Systems Ludwig Philipp die Halbheit seiner auswärtigen Politik
gestürzt hat. Der Bruch mit England im Jahre 1840 machte der Alliance
cordiale zu einer Zeit bereits ein Ende,'wo dieser Name-noch nicht erfunden
war. Seitdem traten die englische und französische Politik einander da feind¬
lich entgegen, wo sie sonst gemeinsam gegangen waren (in Aegypten und in
Spanien).

Inzwischen war das Bündniß zwischen Rußland und Preußen lockerer
geworden. Der Tod des Königs Friedrich Wilhelm til. hatte einer nationa¬
leren Politik und die,in gewissen Momenten, auch Nußland gegenüber, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/39>, abgerufen am 26.06.2024.