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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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populär zu schreiben, es ist unmöglich, wenn die Bedingung gründlicher
Kenntniß des Gegenstandes, welchen man behandeln will, fehlt. Aber das
denken die sogenannten.Volksschriftsteller nicht; vielmehr glauben sie durch ein
paar blendende Perioden, durch einige aufgesammelte Stichwörter oder durch
den in ihrem Gedächtniß oder Bücherschrank haftenden Kram vergangener
Zeiten der großen Mehrzahl immer noch zu imponiren. Es ist beklagenswert!),
daß sie sich selten täuschen; aber deshalb ist es die Pflicht eines jeden Unter¬
richteten, gegen diese periodische Quacksalberei zu Feld zu ziehen. Wenn die
Wissenschaft dem Volk geboten werden soll, so muß sie ihm auch echt und
rein, nicht verfälscht und in unsauberen Gefäß geboten werden. Wer beleh¬
ren will, muß selbst erst etwas gelernt haben. Heutzutage aber hat die
Wissenschaft die Siebenmeilensti.efeln an, in welchen Peter Schlemihl botani-
sirte. Namentlich die Naturwissenschaft. Ein Physiolog, welcher vor zehn
Jahren umfassende Kenntnisse seiner Wissenschaft besaß, ist heute sehr un¬
wissend, wenn er nicht mehr weiß, als damals vor zehn Jahren. In der
Chemie bringt jeder Tag, ja fast jede Stunde neue Entdeckungen, frappante
Enthüllungen, ungeahnte Siege deS Geistes über den Stoff. So außer¬
ordentlich häuft sich das Material dieser Wissenschaft an, daß ein ganz un¬
gewöhnlicher Fleiß dazu gehört, ihren Fortschritten nur annähernd zu folgen,
daß ein besonderes Talent vorhanden sein muß, um einen ungefähren Ueber¬
blick des Gebiets zu behalten. Wie sehr aber dadurch die volksthümliche Be¬
handlung dieser Disciplinen erschwert wird, ist einleuchtend. Die berechtigtsten
Versuche in dieser Hinsicht sind fehlgeschlagen. Vogt hat in den physiologi¬
schen Briefen das Mögliche geleistet, aber selbst deren leichte Nonchalance
vermag den Laien keineswegs über alle Klippen deS Unverständnisses hinweg-
zusehen. Schleiden hat in dem dritten Bande der Encyklopädie ebenfalls
Ersprießliches (nur mit zu greller Polemik!) in dieser Richtung geboten, ---
aber weder diese anerkannt guten Werke, noch Liebigs berühmte chemische
Briefe, oder Cottas anziehende geologische Bilder baben immer und richtig
den eigentlichen Ton der Popularität getroffen. Diesen edlen Bestrebungen
gegenüber steht aber jene andere falsche Volkstümlichkeit, die sich in der Ge¬
meinheit und Plattheit gefällt oder welche den blendenden Phrasenmantel
um das magere Gerippe ihrer wissenschaftlichen Schwäche schlägt, der ihr um so
jämmerlicher und verwerflicher steht, als ihr der Kern fehlt und sie dem Volke
nur die Schale hingibt. Die echte wissenschaftliche Popularität muß auf der
Höhe der Zeit stehend klar, ohne Klingklang, ohne Schönrednerei den Nagel
auf den Kopf zu treffen / und die Sätze der Wissenschaft, soweit dies nöthig
und thunlich erscheint, dem Laien in ihrem Wesen und Wirken völlig zu¬
gänglich zu machen wissen. Sie wird sich hüten, demselben den ganzen Vor¬
rath ihres Wissens auszuplaudern, mehr aber noch,-ihm Falsches, Ungeprüftes


populär zu schreiben, es ist unmöglich, wenn die Bedingung gründlicher
Kenntniß des Gegenstandes, welchen man behandeln will, fehlt. Aber das
denken die sogenannten.Volksschriftsteller nicht; vielmehr glauben sie durch ein
paar blendende Perioden, durch einige aufgesammelte Stichwörter oder durch
den in ihrem Gedächtniß oder Bücherschrank haftenden Kram vergangener
Zeiten der großen Mehrzahl immer noch zu imponiren. Es ist beklagenswert!),
daß sie sich selten täuschen; aber deshalb ist es die Pflicht eines jeden Unter¬
richteten, gegen diese periodische Quacksalberei zu Feld zu ziehen. Wenn die
Wissenschaft dem Volk geboten werden soll, so muß sie ihm auch echt und
rein, nicht verfälscht und in unsauberen Gefäß geboten werden. Wer beleh¬
ren will, muß selbst erst etwas gelernt haben. Heutzutage aber hat die
Wissenschaft die Siebenmeilensti.efeln an, in welchen Peter Schlemihl botani-
sirte. Namentlich die Naturwissenschaft. Ein Physiolog, welcher vor zehn
Jahren umfassende Kenntnisse seiner Wissenschaft besaß, ist heute sehr un¬
wissend, wenn er nicht mehr weiß, als damals vor zehn Jahren. In der
Chemie bringt jeder Tag, ja fast jede Stunde neue Entdeckungen, frappante
Enthüllungen, ungeahnte Siege deS Geistes über den Stoff. So außer¬
ordentlich häuft sich das Material dieser Wissenschaft an, daß ein ganz un¬
gewöhnlicher Fleiß dazu gehört, ihren Fortschritten nur annähernd zu folgen,
daß ein besonderes Talent vorhanden sein muß, um einen ungefähren Ueber¬
blick des Gebiets zu behalten. Wie sehr aber dadurch die volksthümliche Be¬
handlung dieser Disciplinen erschwert wird, ist einleuchtend. Die berechtigtsten
Versuche in dieser Hinsicht sind fehlgeschlagen. Vogt hat in den physiologi¬
schen Briefen das Mögliche geleistet, aber selbst deren leichte Nonchalance
vermag den Laien keineswegs über alle Klippen deS Unverständnisses hinweg-
zusehen. Schleiden hat in dem dritten Bande der Encyklopädie ebenfalls
Ersprießliches (nur mit zu greller Polemik!) in dieser Richtung geboten, —-
aber weder diese anerkannt guten Werke, noch Liebigs berühmte chemische
Briefe, oder Cottas anziehende geologische Bilder baben immer und richtig
den eigentlichen Ton der Popularität getroffen. Diesen edlen Bestrebungen
gegenüber steht aber jene andere falsche Volkstümlichkeit, die sich in der Ge¬
meinheit und Plattheit gefällt oder welche den blendenden Phrasenmantel
um das magere Gerippe ihrer wissenschaftlichen Schwäche schlägt, der ihr um so
jämmerlicher und verwerflicher steht, als ihr der Kern fehlt und sie dem Volke
nur die Schale hingibt. Die echte wissenschaftliche Popularität muß auf der
Höhe der Zeit stehend klar, ohne Klingklang, ohne Schönrednerei den Nagel
auf den Kopf zu treffen / und die Sätze der Wissenschaft, soweit dies nöthig
und thunlich erscheint, dem Laien in ihrem Wesen und Wirken völlig zu¬
gänglich zu machen wissen. Sie wird sich hüten, demselben den ganzen Vor¬
rath ihres Wissens auszuplaudern, mehr aber noch,-ihm Falsches, Ungeprüftes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/389>, abgerufen am 26.06.2024.