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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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zu erreichen. Indeß waren die Packthiere dermaßen gedrückt, daß wir sie wieder
zurücksenden und uns andere vorführen lassen mußten, was aus türkischen Post-
stationen stets einen Verzug von ein bis zwei Stunden veranlaßt, Ueberhaupt
glaube ich kaum, daß es ein zweites Land gibt, in welchem die Geduld der
Reisenden in ähnlicher Weise aus die Probe gestellt wird, als hier der Fall
ist. Hindernisse, von denen man anderswo nichts weiß, meistens aber die un¬
begrenzte Habsucht der Postmeister, Stall- und Postknechte lassen den Passagier
selten zur angesetzten Stunde sein Nachtquartier verlassen, und noch viel seltener
zur vorausberechneten Zeit am folgenden Abend im nächsten anlangen. Baron
Tode führt in seinen Memoiren an, daß über dergleichen Hemmnisse eine prügel¬
ausgiebige Faust am sichersten hinweghelfe, indeß -- andere Zeiten, andere
Auskunftsmittel. Was damals gut angewendet war, würde heute curßer Zweifel
die allerbösesten Folgen nach sich ziehen.

Wir nahmen unsre Richtung direct auf den vorerwähnten Paß, durch
welchen man aus Makedonien in die weite Ebene von Sofia niedersteigt. Der
Weg war nicht ohne Beschwerde. Ohne dabei an einen regulären Wegebau
zu denken, bin ich überzeugt, daß zur Verbesserung des Straßenwesens hier
mit geringen Summen viel ausgerichtet werden konnte, und es ist meine Ansicht,
daß ein Krieg, den etwa ehestens europäische Armeen in diesen Gegenden
führen würden, das Land wegsamer zurücklassen werde, als es gegenwärtig ist.
Für einen späteren etwaigen Eisenbahnbau würde aber der Paß, dem wir
entgegenritten, von der höchsten Bedeutung sein. Es wäre der natürliche
Ansatzpunkt einer Südwestbalkanbahn, die Macedonien und Albanien, mit der
großen Bahn von Stambul nach Belgrad verbinden würde.

Gegen Mittag näherten wir uns dem Defilee. Auf unsre Frage, wieweit
noch Sofia entfernt sei, wurde uus erwidert, drittehalb Stunden. Am Nach¬
mittag also durften wir hoffen, am langersehnten Reiseziel, wo uns nach
mancherlei Strapazen und Entbehrungen in den Bergen Makedoniens eine Be¬
hausung im europäischen Sinne erwartete, einzutreffen. Das Thal verengte
sich; endlich ritten wir in eine Felsenschlucht ein, auf deren Sohle ein Bach
bereits in der Richtung nach Nordosten strömte. Wir hatten die Wasserscheue,
Passirl und befanden uns, nachdem wir bislang im Stromgebiet des Vardar,
also in ver Abdachung zum Archipel gereist waren, in dem der Donau. Diese
Gegend ist der eigentliche' Paß. Um ihn zu vertheidigen, würde es nur eines
geringen Aufwandes von Mannschaft bedürfen. Auch ließe sich deren Postirung
durch fortisicatorische Anlagen trefflich unterstützen, was bei Desileen nicht immer
der Fall ist.

Es klingt wie ein Paradoxon, ist darum aber um nichts weniger wahr,
daß Paßbefestigungen zu den schwierigsten Aufgaben der Ingenieurkunst ge¬
hören. Diese Schwierigkeit beruht auf der beschränkten Ausdehnung der


zu erreichen. Indeß waren die Packthiere dermaßen gedrückt, daß wir sie wieder
zurücksenden und uns andere vorführen lassen mußten, was aus türkischen Post-
stationen stets einen Verzug von ein bis zwei Stunden veranlaßt, Ueberhaupt
glaube ich kaum, daß es ein zweites Land gibt, in welchem die Geduld der
Reisenden in ähnlicher Weise aus die Probe gestellt wird, als hier der Fall
ist. Hindernisse, von denen man anderswo nichts weiß, meistens aber die un¬
begrenzte Habsucht der Postmeister, Stall- und Postknechte lassen den Passagier
selten zur angesetzten Stunde sein Nachtquartier verlassen, und noch viel seltener
zur vorausberechneten Zeit am folgenden Abend im nächsten anlangen. Baron
Tode führt in seinen Memoiren an, daß über dergleichen Hemmnisse eine prügel¬
ausgiebige Faust am sichersten hinweghelfe, indeß — andere Zeiten, andere
Auskunftsmittel. Was damals gut angewendet war, würde heute curßer Zweifel
die allerbösesten Folgen nach sich ziehen.

Wir nahmen unsre Richtung direct auf den vorerwähnten Paß, durch
welchen man aus Makedonien in die weite Ebene von Sofia niedersteigt. Der
Weg war nicht ohne Beschwerde. Ohne dabei an einen regulären Wegebau
zu denken, bin ich überzeugt, daß zur Verbesserung des Straßenwesens hier
mit geringen Summen viel ausgerichtet werden konnte, und es ist meine Ansicht,
daß ein Krieg, den etwa ehestens europäische Armeen in diesen Gegenden
führen würden, das Land wegsamer zurücklassen werde, als es gegenwärtig ist.
Für einen späteren etwaigen Eisenbahnbau würde aber der Paß, dem wir
entgegenritten, von der höchsten Bedeutung sein. Es wäre der natürliche
Ansatzpunkt einer Südwestbalkanbahn, die Macedonien und Albanien, mit der
großen Bahn von Stambul nach Belgrad verbinden würde.

Gegen Mittag näherten wir uns dem Defilee. Auf unsre Frage, wieweit
noch Sofia entfernt sei, wurde uus erwidert, drittehalb Stunden. Am Nach¬
mittag also durften wir hoffen, am langersehnten Reiseziel, wo uns nach
mancherlei Strapazen und Entbehrungen in den Bergen Makedoniens eine Be¬
hausung im europäischen Sinne erwartete, einzutreffen. Das Thal verengte
sich; endlich ritten wir in eine Felsenschlucht ein, auf deren Sohle ein Bach
bereits in der Richtung nach Nordosten strömte. Wir hatten die Wasserscheue,
Passirl und befanden uns, nachdem wir bislang im Stromgebiet des Vardar,
also in ver Abdachung zum Archipel gereist waren, in dem der Donau. Diese
Gegend ist der eigentliche' Paß. Um ihn zu vertheidigen, würde es nur eines
geringen Aufwandes von Mannschaft bedürfen. Auch ließe sich deren Postirung
durch fortisicatorische Anlagen trefflich unterstützen, was bei Desileen nicht immer
der Fall ist.

Es klingt wie ein Paradoxon, ist darum aber um nichts weniger wahr,
daß Paßbefestigungen zu den schwierigsten Aufgaben der Ingenieurkunst ge¬
hören. Diese Schwierigkeit beruht auf der beschränkten Ausdehnung der


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[0317] zu erreichen. Indeß waren die Packthiere dermaßen gedrückt, daß wir sie wieder zurücksenden und uns andere vorführen lassen mußten, was aus türkischen Post- stationen stets einen Verzug von ein bis zwei Stunden veranlaßt, Ueberhaupt glaube ich kaum, daß es ein zweites Land gibt, in welchem die Geduld der Reisenden in ähnlicher Weise aus die Probe gestellt wird, als hier der Fall ist. Hindernisse, von denen man anderswo nichts weiß, meistens aber die un¬ begrenzte Habsucht der Postmeister, Stall- und Postknechte lassen den Passagier selten zur angesetzten Stunde sein Nachtquartier verlassen, und noch viel seltener zur vorausberechneten Zeit am folgenden Abend im nächsten anlangen. Baron Tode führt in seinen Memoiren an, daß über dergleichen Hemmnisse eine prügel¬ ausgiebige Faust am sichersten hinweghelfe, indeß — andere Zeiten, andere Auskunftsmittel. Was damals gut angewendet war, würde heute curßer Zweifel die allerbösesten Folgen nach sich ziehen. Wir nahmen unsre Richtung direct auf den vorerwähnten Paß, durch welchen man aus Makedonien in die weite Ebene von Sofia niedersteigt. Der Weg war nicht ohne Beschwerde. Ohne dabei an einen regulären Wegebau zu denken, bin ich überzeugt, daß zur Verbesserung des Straßenwesens hier mit geringen Summen viel ausgerichtet werden konnte, und es ist meine Ansicht, daß ein Krieg, den etwa ehestens europäische Armeen in diesen Gegenden führen würden, das Land wegsamer zurücklassen werde, als es gegenwärtig ist. Für einen späteren etwaigen Eisenbahnbau würde aber der Paß, dem wir entgegenritten, von der höchsten Bedeutung sein. Es wäre der natürliche Ansatzpunkt einer Südwestbalkanbahn, die Macedonien und Albanien, mit der großen Bahn von Stambul nach Belgrad verbinden würde. Gegen Mittag näherten wir uns dem Defilee. Auf unsre Frage, wieweit noch Sofia entfernt sei, wurde uus erwidert, drittehalb Stunden. Am Nach¬ mittag also durften wir hoffen, am langersehnten Reiseziel, wo uns nach mancherlei Strapazen und Entbehrungen in den Bergen Makedoniens eine Be¬ hausung im europäischen Sinne erwartete, einzutreffen. Das Thal verengte sich; endlich ritten wir in eine Felsenschlucht ein, auf deren Sohle ein Bach bereits in der Richtung nach Nordosten strömte. Wir hatten die Wasserscheue, Passirl und befanden uns, nachdem wir bislang im Stromgebiet des Vardar, also in ver Abdachung zum Archipel gereist waren, in dem der Donau. Diese Gegend ist der eigentliche' Paß. Um ihn zu vertheidigen, würde es nur eines geringen Aufwandes von Mannschaft bedürfen. Auch ließe sich deren Postirung durch fortisicatorische Anlagen trefflich unterstützen, was bei Desileen nicht immer der Fall ist. Es klingt wie ein Paradoxon, ist darum aber um nichts weniger wahr, daß Paßbefestigungen zu den schwierigsten Aufgaben der Ingenieurkunst ge¬ hören. Diese Schwierigkeit beruht auf der beschränkten Ausdehnung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/317>, abgerufen am 28.09.2024.