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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Madame Sand raucht während des Schreibens fortwährend Cigaretten, die
ihr die Kinder fabriciren, Md um wie sie zu sagen pflegt sich zu berauschen,
nimmt sie von Zeit zu Zeit einen Schluck kalte Milch.

Um sechs Uhr Abends wird gespeist und nach Tische Musik gemacht.
Madame Sand liest ziemlich vom Blatte, und ihre Tochter, eine geliebte
Schülerin Chopins, spielt vortrefflich Clavier. AIs Chopin noch lebte und
noch bei seiner Freundin und treuen Pflegerin wohnte, ging man nach Tische
hinaus auf den Gang und lagerte sich still hin, während Chopin auf dem
Clavier improvisirte. Wenn Madame Viardvt zum Besuche war sang sie
irgendeine Oper durch", während Chopin sie begleitete. Ein Freund von mir
wohnte einer solchen improvisirten Aufführung der Cenerentola bei und wie er
mir sagte hat nie ein Theaterabend einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht,
als diese flüchtige Lectüre der Aschenbrödel. Wird keine Musik gemacht, so
plaudert man, während die Damen sticken oder man spielt Domino zu Vieren.
Diese Partie wird mit großer Leidenschaft getrieben und besonders Madame
Sand fühlt sich von ihrem Spiele in Anspruch genommen. Es geht auch
selten ohne kleine Streitigkeiten, ohne Vorwürfe ab und das Ende vom Streite
ist eine schnell hingeworfene Cmicatur von Moritz Sand, welche die komische
Scene zum Vorwurfe nimmt. Es eristirt auf dem Schlosse von Nohaut ein
ganzes Album solcher intimer Scenen, für deren Schilderung Moritz Sand
nicht gewöhnliches Talent zeigt. Zuweilen wird auch ein neues Manuscript
gelesen. Madame Sand selbst liest seit einigen Jahren fast gar nicht. Ihre
Lieblingslcctüre ist noch immer Walter Scott, den sie mit großem Interesse
zuweilen wieder vornimmt. Von den modernen Romantikern schätzt sie Merimie,
aber sie findet sein Talent zu gemacht, zu künstlich, zu abgemessen. Am höch¬
sten stellt sie Balzac, für den, sie eine große Bewunderung hegt. Als, die
/^nimaux parlarUs bei Hezcl herauskamen, sollte auch Georges Sand einen
Artikel liefern. Balzac, der damals grade fünfhundert Franken brauchte und
schon einige Artikel geliefert hatte, bat Georges Sand, eine Arbeit von ihm
zu unterschreiben. Madame Sand äußerte eine ganz naive Freude darüber,
ihren Namen unter einen Artikel von Balzac setzen zu dürfen. Die Mo'usketiere
von Alexander Dumas haben Georges Sand große Unterhaltung gewährt;
sie sprach oft ihre Verwunderung über diesen Reichthum an Erfindung und
interessanten Verwicklungen aus.

Das Theater von Nohaut, das sich nach und nach aus einem Salon
mit einem Alkoven zu einem vollkommen eingerichteten Schauspielhäuschen ent- '
wickelt hatte, verdient auch einige Aufmerksamkeit. Die Decorationen werden
von Moritz Sand und von Lambert, einem jungen Maler von einigem Talente,
geliefert, während die Theatergarderobe, wie ich schon erwähnte, von den
Damen selbst gemacht wird. Auf diesem Theater sind Georges Sands Stücke


Madame Sand raucht während des Schreibens fortwährend Cigaretten, die
ihr die Kinder fabriciren, Md um wie sie zu sagen pflegt sich zu berauschen,
nimmt sie von Zeit zu Zeit einen Schluck kalte Milch.

Um sechs Uhr Abends wird gespeist und nach Tische Musik gemacht.
Madame Sand liest ziemlich vom Blatte, und ihre Tochter, eine geliebte
Schülerin Chopins, spielt vortrefflich Clavier. AIs Chopin noch lebte und
noch bei seiner Freundin und treuen Pflegerin wohnte, ging man nach Tische
hinaus auf den Gang und lagerte sich still hin, während Chopin auf dem
Clavier improvisirte. Wenn Madame Viardvt zum Besuche war sang sie
irgendeine Oper durch", während Chopin sie begleitete. Ein Freund von mir
wohnte einer solchen improvisirten Aufführung der Cenerentola bei und wie er
mir sagte hat nie ein Theaterabend einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht,
als diese flüchtige Lectüre der Aschenbrödel. Wird keine Musik gemacht, so
plaudert man, während die Damen sticken oder man spielt Domino zu Vieren.
Diese Partie wird mit großer Leidenschaft getrieben und besonders Madame
Sand fühlt sich von ihrem Spiele in Anspruch genommen. Es geht auch
selten ohne kleine Streitigkeiten, ohne Vorwürfe ab und das Ende vom Streite
ist eine schnell hingeworfene Cmicatur von Moritz Sand, welche die komische
Scene zum Vorwurfe nimmt. Es eristirt auf dem Schlosse von Nohaut ein
ganzes Album solcher intimer Scenen, für deren Schilderung Moritz Sand
nicht gewöhnliches Talent zeigt. Zuweilen wird auch ein neues Manuscript
gelesen. Madame Sand selbst liest seit einigen Jahren fast gar nicht. Ihre
Lieblingslcctüre ist noch immer Walter Scott, den sie mit großem Interesse
zuweilen wieder vornimmt. Von den modernen Romantikern schätzt sie Merimie,
aber sie findet sein Talent zu gemacht, zu künstlich, zu abgemessen. Am höch¬
sten stellt sie Balzac, für den, sie eine große Bewunderung hegt. Als, die
/^nimaux parlarUs bei Hezcl herauskamen, sollte auch Georges Sand einen
Artikel liefern. Balzac, der damals grade fünfhundert Franken brauchte und
schon einige Artikel geliefert hatte, bat Georges Sand, eine Arbeit von ihm
zu unterschreiben. Madame Sand äußerte eine ganz naive Freude darüber,
ihren Namen unter einen Artikel von Balzac setzen zu dürfen. Die Mo'usketiere
von Alexander Dumas haben Georges Sand große Unterhaltung gewährt;
sie sprach oft ihre Verwunderung über diesen Reichthum an Erfindung und
interessanten Verwicklungen aus.

Das Theater von Nohaut, das sich nach und nach aus einem Salon
mit einem Alkoven zu einem vollkommen eingerichteten Schauspielhäuschen ent- '
wickelt hatte, verdient auch einige Aufmerksamkeit. Die Decorationen werden
von Moritz Sand und von Lambert, einem jungen Maler von einigem Talente,
geliefert, während die Theatergarderobe, wie ich schon erwähnte, von den
Damen selbst gemacht wird. Auf diesem Theater sind Georges Sands Stücke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/268>, abgerufen am 29.06.2024.