Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.ich glaube nicht im geringsten (aber auch nicht im geringsten) an jam', welche Wenn dies vom Lebenöbeschreiber gilt, um wieviel mehr muß es vom Pierre Lerour hatte den größten und dauerndsten Einfluß auf die philo¬ ich glaube nicht im geringsten (aber auch nicht im geringsten) an jam', welche Wenn dies vom Lebenöbeschreiber gilt, um wieviel mehr muß es vom Pierre Lerour hatte den größten und dauerndsten Einfluß auf die philo¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99115"/> <p xml:id="ID_914" prev="#ID_913"> ich glaube nicht im geringsten (aber auch nicht im geringsten) an jam', welche<lb/> behaupten, stets mit dem Ich von gestern in Uebereinstimmung gewesen zu sein."</p><lb/> <p xml:id="ID_915"> Wenn dies vom Lebenöbeschreiber gilt, um wieviel mehr muß es vom<lb/> Romanschriftsteller, vom Dichter gesagt werden. Der Dichter ist ein Sing¬<lb/> vogel, den jeder Lärm singen macht, so sagt ein anderer Dichter, der sich darauf<lb/> versteht. „Dieser Lärm mag von außen oder von innen kommen, er mag er¬<lb/> schrecken oder bezaubern, anziehen oder zurückstoßen — er mag eine Begierde<lb/> sein, die entsteht, oder ein Bach, der murmelt, ein Volk, das sich regt oder ein<lb/> Meer, das grollt, ein Thron, der stürzt oder eine Täuschung, die schwindet:<lb/> der Vogel singt, singt immer, überall in allen Tonarten, fragt ihn nicht warum<lb/> er singt, er singt, weil er ein Vogel ist. Dies gilt vo» den Künstlern eben¬<lb/> falls, aber es soll damit nicht gesagt sein, daß der Dichter wie der Künstler<lb/> nicht auch eine philosophische Idee im Auge behalten darf. Der Dichter singt,<lb/> weil er muß, der Anstoß kann^von irgendwoher kommen, aber der Künstler soll<lb/> doch nicht jeder philosophischen Grundlage zu entsagen. Er kann mit sich selbst<lb/> im Widerspruche sein, mit seinem Ich von gestern, wie Georges Sand sagt, aber<lb/> das Ich von heute kann darum doch klar den Standpunkt übersehen, auf den<lb/> es sich stellt. Dies ist Georges Sand aufs vortrefflichste gelungen. Sie mag<lb/> ihre philosophischen, ihre politischen, ihre religiösen Systeme von Lamennais,<lb/> von Pierre Lerour angenommen haben, aber einmal von einer Ueberzeugung<lb/> durchdrungen wird das Kunstwerk, das sie unter diesem neuen Eindrucke schreibt,<lb/> ein logisches Ganze. Ihre Liebe der Menschheit, ihre Theilnahme mit dem<lb/> Unglücke, dies mag nun von außen das Herz treffen oder von Elend und Krank¬<lb/> heit herrühren, ist ihr eigen — und jeder neue Glaube, jede neue Philosophie<lb/> hat den Zutritt zu ihrem Geist nur gefunden, weil sie eine Lösung dessen darin<lb/> gesehen zu haben glaubt, welche die Lebensaufgabe ihres Herzens ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_916" next="#ID_917"> Pierre Lerour hatte den größten und dauerndsten Einfluß auf die philo¬<lb/> sophische Anschauung des Dichters. Dieser lyrische Philosoph, dessen liebendes<lb/> Herz die ganze Welt umfassen möchte, ist auch am geeignetsten, zur Einbildungs¬<lb/> kraft und zu den Gefühlen einer Dichterin zu sprechen wie Georges Sand. Der<lb/> Socialismus, d. h. das Bestreben nach Verbreitung und Ausdehnung mensch¬<lb/> lichen Wohlseins, des geistigen, wie materiellen auf die größtmögliche Anzahl, ist<lb/> ein politischer und socialer Glaube, der Georges Sands Natur organisch inne-<lb/> wohnt. Darum war auch ihre Uebereinstimmung mit Lerour am größten und<lb/> von der längsten Dauer. Sie schrieb den <I!c>wpirssnon an tour alö ?rente<z,<lb/> <-or>8ULlu, .telum«, le peekö cle Ur. ^revins u. s. w. Die meisten der socialisti¬<lb/> schen Romane erschienen in conservativen Journalen, die republikanischen oder<lb/> socialistischen wagten es nicht, sie abzudrucken. Jeanne war im Constituuonnel<lb/> erschienen, und die vierzehntausend Franken, welche dieser Roman Georges Sand<lb/> einbrachte, flössen in Lerour Hände, der große Summen auf mechanische und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
ich glaube nicht im geringsten (aber auch nicht im geringsten) an jam', welche
behaupten, stets mit dem Ich von gestern in Uebereinstimmung gewesen zu sein."
Wenn dies vom Lebenöbeschreiber gilt, um wieviel mehr muß es vom
Romanschriftsteller, vom Dichter gesagt werden. Der Dichter ist ein Sing¬
vogel, den jeder Lärm singen macht, so sagt ein anderer Dichter, der sich darauf
versteht. „Dieser Lärm mag von außen oder von innen kommen, er mag er¬
schrecken oder bezaubern, anziehen oder zurückstoßen — er mag eine Begierde
sein, die entsteht, oder ein Bach, der murmelt, ein Volk, das sich regt oder ein
Meer, das grollt, ein Thron, der stürzt oder eine Täuschung, die schwindet:
der Vogel singt, singt immer, überall in allen Tonarten, fragt ihn nicht warum
er singt, er singt, weil er ein Vogel ist. Dies gilt vo» den Künstlern eben¬
falls, aber es soll damit nicht gesagt sein, daß der Dichter wie der Künstler
nicht auch eine philosophische Idee im Auge behalten darf. Der Dichter singt,
weil er muß, der Anstoß kann^von irgendwoher kommen, aber der Künstler soll
doch nicht jeder philosophischen Grundlage zu entsagen. Er kann mit sich selbst
im Widerspruche sein, mit seinem Ich von gestern, wie Georges Sand sagt, aber
das Ich von heute kann darum doch klar den Standpunkt übersehen, auf den
es sich stellt. Dies ist Georges Sand aufs vortrefflichste gelungen. Sie mag
ihre philosophischen, ihre politischen, ihre religiösen Systeme von Lamennais,
von Pierre Lerour angenommen haben, aber einmal von einer Ueberzeugung
durchdrungen wird das Kunstwerk, das sie unter diesem neuen Eindrucke schreibt,
ein logisches Ganze. Ihre Liebe der Menschheit, ihre Theilnahme mit dem
Unglücke, dies mag nun von außen das Herz treffen oder von Elend und Krank¬
heit herrühren, ist ihr eigen — und jeder neue Glaube, jede neue Philosophie
hat den Zutritt zu ihrem Geist nur gefunden, weil sie eine Lösung dessen darin
gesehen zu haben glaubt, welche die Lebensaufgabe ihres Herzens ist.
Pierre Lerour hatte den größten und dauerndsten Einfluß auf die philo¬
sophische Anschauung des Dichters. Dieser lyrische Philosoph, dessen liebendes
Herz die ganze Welt umfassen möchte, ist auch am geeignetsten, zur Einbildungs¬
kraft und zu den Gefühlen einer Dichterin zu sprechen wie Georges Sand. Der
Socialismus, d. h. das Bestreben nach Verbreitung und Ausdehnung mensch¬
lichen Wohlseins, des geistigen, wie materiellen auf die größtmögliche Anzahl, ist
ein politischer und socialer Glaube, der Georges Sands Natur organisch inne-
wohnt. Darum war auch ihre Uebereinstimmung mit Lerour am größten und
von der längsten Dauer. Sie schrieb den <I!c>wpirssnon an tour alö ?rente<z,
<-or>8ULlu, .telum«, le peekö cle Ur. ^revins u. s. w. Die meisten der socialisti¬
schen Romane erschienen in conservativen Journalen, die republikanischen oder
socialistischen wagten es nicht, sie abzudrucken. Jeanne war im Constituuonnel
erschienen, und die vierzehntausend Franken, welche dieser Roman Georges Sand
einbrachte, flössen in Lerour Hände, der große Summen auf mechanische und
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