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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Uebersetzer gibt es nichts Angenehmeres, als sich von seinem Liebchen oder von
seinem Schenken auf dem Gesicht herumtreten zu lassen. Aber in dieser An¬
betung liegt nichts von dem Erhabenen Kants. Es ist nur derselbe Taumel
der Wollust, der die indischen Fanatiker unter den Wagen des Jaggernaut
wirst, um sich von seinen Rädern zermalmen zu lassen. Dies si'eberhaste Zittern
der Lust ist nicht die richtige Stimmung, in welcher das Schöne ausgeht. Hat
uns doch das geistige Raffinement in den Briefen der Nadel gelehrt, daß man
auch "schönen Ekel" empfinden könne; und wie wir das Gefühl bezeichnen
sollen, das uns bei der Lectüre der folgenden Stelle, Koran S. 118, beschleicht,
dasür bietet uns die deutsche Sprache keine Worte:


Inwendig an des Himmels Thor zur Erde,

Für jeden Engel weithin schaubar, hängt

Die ausgespannte, weißgegerbte Haut

Des Wunderwerkes Allahs, der Suleika.

Ihr Angesicht, das schönste von der Welt,

Mit seinen sieben Löchern starrt dich an.

Das- Haupthaar hängt ihr schwarz bis zu den Füßen,

Anschauend jeden, der zur Erde wollte,

Und ihn bethränt zurücke scheuchend,

So daß er, bang die Hände faltend, stutzt,

Doch dann zum Himmel rasch sich wieder umkehrt.


Diese abscheulichen Bilder, die noch weiter ausgeführt werden, sind ein
Erzeugniß jenes Naturtaumels, in welchem die Freiheit und mit ihr das wahre
Gefühl für Schönheit erstickt wird. Schefer schildert diese Stimmung selbst sehr
anschaulich in dem Gedicht: Das Symposion' im Himmel (Hases S. 86).
Seine menschlichen Sinne werden durch Götterfähigkeit verstärkt.

Nachher fängt er an zu singen, und alle Gegenstände, die er besingt,
treten in sinnlicher Wahrheit aus seinem Munde heraus. Zuletzt erinnert ihn
Hera an die Liebe.


Grenzboten. I. 3

Uebersetzer gibt es nichts Angenehmeres, als sich von seinem Liebchen oder von
seinem Schenken auf dem Gesicht herumtreten zu lassen. Aber in dieser An¬
betung liegt nichts von dem Erhabenen Kants. Es ist nur derselbe Taumel
der Wollust, der die indischen Fanatiker unter den Wagen des Jaggernaut
wirst, um sich von seinen Rädern zermalmen zu lassen. Dies si'eberhaste Zittern
der Lust ist nicht die richtige Stimmung, in welcher das Schöne ausgeht. Hat
uns doch das geistige Raffinement in den Briefen der Nadel gelehrt, daß man
auch „schönen Ekel" empfinden könne; und wie wir das Gefühl bezeichnen
sollen, das uns bei der Lectüre der folgenden Stelle, Koran S. 118, beschleicht,
dasür bietet uns die deutsche Sprache keine Worte:


Inwendig an des Himmels Thor zur Erde,

Für jeden Engel weithin schaubar, hängt

Die ausgespannte, weißgegerbte Haut

Des Wunderwerkes Allahs, der Suleika.

Ihr Angesicht, das schönste von der Welt,

Mit seinen sieben Löchern starrt dich an.

Das- Haupthaar hängt ihr schwarz bis zu den Füßen,

Anschauend jeden, der zur Erde wollte,

Und ihn bethränt zurücke scheuchend,

So daß er, bang die Hände faltend, stutzt,

Doch dann zum Himmel rasch sich wieder umkehrt.


Diese abscheulichen Bilder, die noch weiter ausgeführt werden, sind ein
Erzeugniß jenes Naturtaumels, in welchem die Freiheit und mit ihr das wahre
Gefühl für Schönheit erstickt wird. Schefer schildert diese Stimmung selbst sehr
anschaulich in dem Gedicht: Das Symposion' im Himmel (Hases S. 86).
Seine menschlichen Sinne werden durch Götterfähigkeit verstärkt.

Nachher fängt er an zu singen, und alle Gegenstände, die er besingt,
treten in sinnlicher Wahrheit aus seinem Munde heraus. Zuletzt erinnert ihn
Hera an die Liebe.


Grenzboten. I. 3
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[0025] Uebersetzer gibt es nichts Angenehmeres, als sich von seinem Liebchen oder von seinem Schenken auf dem Gesicht herumtreten zu lassen. Aber in dieser An¬ betung liegt nichts von dem Erhabenen Kants. Es ist nur derselbe Taumel der Wollust, der die indischen Fanatiker unter den Wagen des Jaggernaut wirst, um sich von seinen Rädern zermalmen zu lassen. Dies si'eberhaste Zittern der Lust ist nicht die richtige Stimmung, in welcher das Schöne ausgeht. Hat uns doch das geistige Raffinement in den Briefen der Nadel gelehrt, daß man auch „schönen Ekel" empfinden könne; und wie wir das Gefühl bezeichnen sollen, das uns bei der Lectüre der folgenden Stelle, Koran S. 118, beschleicht, dasür bietet uns die deutsche Sprache keine Worte: Inwendig an des Himmels Thor zur Erde, Für jeden Engel weithin schaubar, hängt Die ausgespannte, weißgegerbte Haut Des Wunderwerkes Allahs, der Suleika. Ihr Angesicht, das schönste von der Welt, Mit seinen sieben Löchern starrt dich an. Das- Haupthaar hängt ihr schwarz bis zu den Füßen, Anschauend jeden, der zur Erde wollte, Und ihn bethränt zurücke scheuchend, So daß er, bang die Hände faltend, stutzt, Doch dann zum Himmel rasch sich wieder umkehrt. Diese abscheulichen Bilder, die noch weiter ausgeführt werden, sind ein Erzeugniß jenes Naturtaumels, in welchem die Freiheit und mit ihr das wahre Gefühl für Schönheit erstickt wird. Schefer schildert diese Stimmung selbst sehr anschaulich in dem Gedicht: Das Symposion' im Himmel (Hases S. 86). Seine menschlichen Sinne werden durch Götterfähigkeit verstärkt. Nachher fängt er an zu singen, und alle Gegenstände, die er besingt, treten in sinnlicher Wahrheit aus seinem Munde heraus. Zuletzt erinnert ihn Hera an die Liebe. Grenzboten. I. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/25>, abgerufen am 26.06.2024.