Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn man die Häuserreihe rechts und links der Meerenge mustert, geräth
man von selbst auf die Vermuthung, daß hier sich das concentrirt findet, was
bei anderen Hauptstädten sich rings in der ganzen Umgegend vertheilt, die Villen
nämlich, die Landhäuser, die Sommerrestdenzen der Reichen, der Großen. Der
Bosporus ist in diesem Sinne die Campagna, das Weichbild vonStambul; die
landwärtigen Umgebungen dagegen sind wüste und öde und verlocken, wie sie
jetzt sind, niemanden zum Anbau. Am Bosporus zu wohnen hat außerdem
tausenderlei Annehmlichkeiten. Es ist das sozusagen eine Straße, die sich mit
keiner andern in der Welt auch nur im entferntesten vergleichen laßt, an Breite
sowol wie an maritimer Belebtheit im besonderen einzig in ihrer Art. Am
Tage die stolzen Segler, die, jenachdem der Wind weht, von Norden oder von
Süden her mit ihren weit ausgebreiteten Segelschwingen majestätisch chen Europa
von Asien abtrennenden Kanal durchziehen. Und daneben die rauschenden,
brausenden Dampfer mit ihrem wellenbrechenden Ungestüm, und die leichten
Fischerboote und das Heer von Gondeln. Am Abend aber und namentlich bei
Nacht vom Eurin her, nach der Hitze und Schwüle des Sommertages der kühlende
Meereswind, über die Landschaft hingegossen das Licht des Vollmondes oder
jener silbernen Sternenschar, die den Himmel hier ganz anders wie bei uns
im dunstreicheren Norden erleuchten, auf der Wasserfläche der Wiederschein von
tausend irdischen und tausend und abertausend Himmelsflammen, dazu das
Rauschen der Meeresflut, die springenden, unbändigen Delphine, welche das
Mondlicht aus der Tiefe der Strömung nach oben lockt: man denke sich das
alles vereint, um sich mit dem schwachen, die hiesige Wirklichkeit nicht errei¬
chenden Pinsel der Phantasie ein Bild der Reize dieses Aufenthaltes an der
Meerenge, dieses Wohnens gegenüber oder auf der Stirne von Asien und Europa
zu entwerfen. >

Wer nur immer kann, und das sind freilich zumeist lediglich die Vielbe¬
sitzenden, hat am Bospor, innerhalb des Bereiches, welchen wir soeben am Bord
des Dampfers durchbrausten, ein Asyl für den Sommer. Die türkischen Gro¬
ßen, die reichsten armenischen, griechischen und fränkischen Bankiers, die Diplo¬
matie von Pera haben ihre Palais am Strande; ein Strandhaus hat auch der
besser gestellte türkische Beamte, der deutsche, französische, italienische Kauf¬
mann, mit einem Worte jeder, der im Stande ist, neben einer Miethe von
10,000 Piastern pro Jahr in Pera eine zweite, gleich hohe Miethe für einen
Landsitz auszugeben. Daher die Frequenz der bosporische" Steamer, die zu allen
Tageszeiten von der großen, letzten Brücke am goldenen Horn nach der Meer¬
enge abgehen oder hier anlangen.

Wir fliegen an den aus dem europäischen Ufer gelegenen Dörfer" Stenia
und Imi Köj vorüber. Am letzteren Orte ist eS, wo der vormals reiche, jetzt
längst als verarmter Schulbgefangener begrabene, ehedem vielbeneibete Pächter


Wenn man die Häuserreihe rechts und links der Meerenge mustert, geräth
man von selbst auf die Vermuthung, daß hier sich das concentrirt findet, was
bei anderen Hauptstädten sich rings in der ganzen Umgegend vertheilt, die Villen
nämlich, die Landhäuser, die Sommerrestdenzen der Reichen, der Großen. Der
Bosporus ist in diesem Sinne die Campagna, das Weichbild vonStambul; die
landwärtigen Umgebungen dagegen sind wüste und öde und verlocken, wie sie
jetzt sind, niemanden zum Anbau. Am Bosporus zu wohnen hat außerdem
tausenderlei Annehmlichkeiten. Es ist das sozusagen eine Straße, die sich mit
keiner andern in der Welt auch nur im entferntesten vergleichen laßt, an Breite
sowol wie an maritimer Belebtheit im besonderen einzig in ihrer Art. Am
Tage die stolzen Segler, die, jenachdem der Wind weht, von Norden oder von
Süden her mit ihren weit ausgebreiteten Segelschwingen majestätisch chen Europa
von Asien abtrennenden Kanal durchziehen. Und daneben die rauschenden,
brausenden Dampfer mit ihrem wellenbrechenden Ungestüm, und die leichten
Fischerboote und das Heer von Gondeln. Am Abend aber und namentlich bei
Nacht vom Eurin her, nach der Hitze und Schwüle des Sommertages der kühlende
Meereswind, über die Landschaft hingegossen das Licht des Vollmondes oder
jener silbernen Sternenschar, die den Himmel hier ganz anders wie bei uns
im dunstreicheren Norden erleuchten, auf der Wasserfläche der Wiederschein von
tausend irdischen und tausend und abertausend Himmelsflammen, dazu das
Rauschen der Meeresflut, die springenden, unbändigen Delphine, welche das
Mondlicht aus der Tiefe der Strömung nach oben lockt: man denke sich das
alles vereint, um sich mit dem schwachen, die hiesige Wirklichkeit nicht errei¬
chenden Pinsel der Phantasie ein Bild der Reize dieses Aufenthaltes an der
Meerenge, dieses Wohnens gegenüber oder auf der Stirne von Asien und Europa
zu entwerfen. >

Wer nur immer kann, und das sind freilich zumeist lediglich die Vielbe¬
sitzenden, hat am Bospor, innerhalb des Bereiches, welchen wir soeben am Bord
des Dampfers durchbrausten, ein Asyl für den Sommer. Die türkischen Gro¬
ßen, die reichsten armenischen, griechischen und fränkischen Bankiers, die Diplo¬
matie von Pera haben ihre Palais am Strande; ein Strandhaus hat auch der
besser gestellte türkische Beamte, der deutsche, französische, italienische Kauf¬
mann, mit einem Worte jeder, der im Stande ist, neben einer Miethe von
10,000 Piastern pro Jahr in Pera eine zweite, gleich hohe Miethe für einen
Landsitz auszugeben. Daher die Frequenz der bosporische» Steamer, die zu allen
Tageszeiten von der großen, letzten Brücke am goldenen Horn nach der Meer¬
enge abgehen oder hier anlangen.

Wir fliegen an den aus dem europäischen Ufer gelegenen Dörfer» Stenia
und Imi Köj vorüber. Am letzteren Orte ist eS, wo der vormals reiche, jetzt
längst als verarmter Schulbgefangener begrabene, ehedem vielbeneibete Pächter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99046"/>
            <p xml:id="ID_653"> Wenn man die Häuserreihe rechts und links der Meerenge mustert, geräth<lb/>
man von selbst auf die Vermuthung, daß hier sich das concentrirt findet, was<lb/>
bei anderen Hauptstädten sich rings in der ganzen Umgegend vertheilt, die Villen<lb/>
nämlich, die Landhäuser, die Sommerrestdenzen der Reichen, der Großen. Der<lb/>
Bosporus ist in diesem Sinne die Campagna, das Weichbild vonStambul; die<lb/>
landwärtigen Umgebungen dagegen sind wüste und öde und verlocken, wie sie<lb/>
jetzt sind, niemanden zum Anbau. Am Bosporus zu wohnen hat außerdem<lb/>
tausenderlei Annehmlichkeiten. Es ist das sozusagen eine Straße, die sich mit<lb/>
keiner andern in der Welt auch nur im entferntesten vergleichen laßt, an Breite<lb/>
sowol wie an maritimer Belebtheit im besonderen einzig in ihrer Art. Am<lb/>
Tage die stolzen Segler, die, jenachdem der Wind weht, von Norden oder von<lb/>
Süden her mit ihren weit ausgebreiteten Segelschwingen majestätisch chen Europa<lb/>
von Asien abtrennenden Kanal durchziehen. Und daneben die rauschenden,<lb/>
brausenden Dampfer mit ihrem wellenbrechenden Ungestüm, und die leichten<lb/>
Fischerboote und das Heer von Gondeln. Am Abend aber und namentlich bei<lb/>
Nacht vom Eurin her, nach der Hitze und Schwüle des Sommertages der kühlende<lb/>
Meereswind, über die Landschaft hingegossen das Licht des Vollmondes oder<lb/>
jener silbernen Sternenschar, die den Himmel hier ganz anders wie bei uns<lb/>
im dunstreicheren Norden erleuchten, auf der Wasserfläche der Wiederschein von<lb/>
tausend irdischen und tausend und abertausend Himmelsflammen, dazu das<lb/>
Rauschen der Meeresflut, die springenden, unbändigen Delphine, welche das<lb/>
Mondlicht aus der Tiefe der Strömung nach oben lockt: man denke sich das<lb/>
alles vereint, um sich mit dem schwachen, die hiesige Wirklichkeit nicht errei¬<lb/>
chenden Pinsel der Phantasie ein Bild der Reize dieses Aufenthaltes an der<lb/>
Meerenge, dieses Wohnens gegenüber oder auf der Stirne von Asien und Europa<lb/>
zu entwerfen. &gt;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_654"> Wer nur immer kann, und das sind freilich zumeist lediglich die Vielbe¬<lb/>
sitzenden, hat am Bospor, innerhalb des Bereiches, welchen wir soeben am Bord<lb/>
des Dampfers durchbrausten, ein Asyl für den Sommer. Die türkischen Gro¬<lb/>
ßen, die reichsten armenischen, griechischen und fränkischen Bankiers, die Diplo¬<lb/>
matie von Pera haben ihre Palais am Strande; ein Strandhaus hat auch der<lb/>
besser gestellte türkische Beamte, der deutsche, französische, italienische Kauf¬<lb/>
mann, mit einem Worte jeder, der im Stande ist, neben einer Miethe von<lb/>
10,000 Piastern pro Jahr in Pera eine zweite, gleich hohe Miethe für einen<lb/>
Landsitz auszugeben. Daher die Frequenz der bosporische» Steamer, die zu allen<lb/>
Tageszeiten von der großen, letzten Brücke am goldenen Horn nach der Meer¬<lb/>
enge abgehen oder hier anlangen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_655" next="#ID_656"> Wir fliegen an den aus dem europäischen Ufer gelegenen Dörfer» Stenia<lb/>
und Imi Köj vorüber. Am letzteren Orte ist eS, wo der vormals reiche, jetzt<lb/>
längst als verarmter Schulbgefangener begrabene, ehedem vielbeneibete Pächter</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] Wenn man die Häuserreihe rechts und links der Meerenge mustert, geräth man von selbst auf die Vermuthung, daß hier sich das concentrirt findet, was bei anderen Hauptstädten sich rings in der ganzen Umgegend vertheilt, die Villen nämlich, die Landhäuser, die Sommerrestdenzen der Reichen, der Großen. Der Bosporus ist in diesem Sinne die Campagna, das Weichbild vonStambul; die landwärtigen Umgebungen dagegen sind wüste und öde und verlocken, wie sie jetzt sind, niemanden zum Anbau. Am Bosporus zu wohnen hat außerdem tausenderlei Annehmlichkeiten. Es ist das sozusagen eine Straße, die sich mit keiner andern in der Welt auch nur im entferntesten vergleichen laßt, an Breite sowol wie an maritimer Belebtheit im besonderen einzig in ihrer Art. Am Tage die stolzen Segler, die, jenachdem der Wind weht, von Norden oder von Süden her mit ihren weit ausgebreiteten Segelschwingen majestätisch chen Europa von Asien abtrennenden Kanal durchziehen. Und daneben die rauschenden, brausenden Dampfer mit ihrem wellenbrechenden Ungestüm, und die leichten Fischerboote und das Heer von Gondeln. Am Abend aber und namentlich bei Nacht vom Eurin her, nach der Hitze und Schwüle des Sommertages der kühlende Meereswind, über die Landschaft hingegossen das Licht des Vollmondes oder jener silbernen Sternenschar, die den Himmel hier ganz anders wie bei uns im dunstreicheren Norden erleuchten, auf der Wasserfläche der Wiederschein von tausend irdischen und tausend und abertausend Himmelsflammen, dazu das Rauschen der Meeresflut, die springenden, unbändigen Delphine, welche das Mondlicht aus der Tiefe der Strömung nach oben lockt: man denke sich das alles vereint, um sich mit dem schwachen, die hiesige Wirklichkeit nicht errei¬ chenden Pinsel der Phantasie ein Bild der Reize dieses Aufenthaltes an der Meerenge, dieses Wohnens gegenüber oder auf der Stirne von Asien und Europa zu entwerfen. > Wer nur immer kann, und das sind freilich zumeist lediglich die Vielbe¬ sitzenden, hat am Bospor, innerhalb des Bereiches, welchen wir soeben am Bord des Dampfers durchbrausten, ein Asyl für den Sommer. Die türkischen Gro¬ ßen, die reichsten armenischen, griechischen und fränkischen Bankiers, die Diplo¬ matie von Pera haben ihre Palais am Strande; ein Strandhaus hat auch der besser gestellte türkische Beamte, der deutsche, französische, italienische Kauf¬ mann, mit einem Worte jeder, der im Stande ist, neben einer Miethe von 10,000 Piastern pro Jahr in Pera eine zweite, gleich hohe Miethe für einen Landsitz auszugeben. Daher die Frequenz der bosporische» Steamer, die zu allen Tageszeiten von der großen, letzten Brücke am goldenen Horn nach der Meer¬ enge abgehen oder hier anlangen. Wir fliegen an den aus dem europäischen Ufer gelegenen Dörfer» Stenia und Imi Köj vorüber. Am letzteren Orte ist eS, wo der vormals reiche, jetzt längst als verarmter Schulbgefangener begrabene, ehedem vielbeneibete Pächter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/194>, abgerufen am 25.08.2024.