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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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König Friedrich Wilhelms IV. erste Negierungsepoche zeichnet sich dadurch
vor der seines Vaters rühmlichst aus, daß in ihr im einzelnen manches nach¬
geholt wurde, was seither unverantwortlicherweise versäumt worden war. Der
"alte König" hatte nach Beendigung der Freiheitskriege vorerst daran gedacht,
in militärischer Hinsicht gegen Frankreich eine gesicherte Basis zu gewinnen.
In die Zeit von 1813 -- 30 fallen die großen rheinischen Festungsbauten, na¬
mentlich der Neubau von Koblenz und Ehrenbreitstein, wie auch der Beginn
der Arbeiten zu Wesel, Mainz und Köln. An den Osten dachte man bei den
vorzunehmenden Befestigungen erst weit später, und zwar wurden dieselben da¬
mals nur auf Grund der Voraussetzung eines polnischen Aufstandes entworfen.
Daher waren Thorrr und Posen die Hauptpunkte; Königsberg hielt man --
durch Nußland gegen einen polnischen Jnsurrectionsschlag, und durch die eigne,
durchaus deutsche Bevölkerung für zu wohl gedeckt, um hier sortiftcatorische Vor¬
kehrungen für nothwendig zu erachten.

Diese Ansichten in den entscheidenden Schichten des preußischen militäri¬
schen Beamtenthums änderten sich, oder vielmehr sie mußten anders werden,
nachdem ein sür nationalgesinnt geltender König den Thron bestiegen hatte.
Friedrich Wilhelm IV. und Boyen waren es, die zuerst an die Grundlegung
eines preußischen ostwärtigen Vertheidigungssystems dachten, nachdem Willisen
in seinem bekannten ersten Werke (Theorie des großen Krieges -1840) auf
die dortigen schwachen Punkte gedeutet und einen Krieg mit Rußland als
eine Eventualität hingestellt hatte. Aber der Vater hatte dem Sohne nicht
dasselbe Gebiet zu übergeben vermocht, was jener aus der Hand Friedrich Wil¬
helms II. empfangen, und sür dessen Ausdehnung Masfenbach seiner Zeit einen
Fortisicirungsplan entworfen hatte. Die Männer, denen es oblag, das Project
zu einer preußischen Landesbefestigung gegen Nußland festzustellen, hatten vor
allen Dingen darauf zu rücksichtrgen, daß dieser Staat mit seinen neueren pol¬
nischen Erwerbungen keilartig in die preußische Ländermasse eingreift und im
Stande ist, sie nach Belieben, indem er feine Kräfte nach der einen oder an¬
dern Richtung, , nach rechts oder links wirft, ganze Provinzen, Preußen oder
Schlesien, vom Gesammtkörper der Monarchie zu trennen, bevor gegen diese
selbst eine erste Waffenentscheidung gefallen. Hier waren zwei Auswege mög¬
lich, entweder den beiden bedrohten Landestheilen feste Kerne zu geben, indem
man ihre Hauptstädte,.Königsberg und Breslau, in große moderne Central¬
plätze umwandelte, oder auf die Behauptung des einen wie des andern stra¬
tegisch zu verzichten und den Widerstand im voraus durch Concentrirung der
sortificatorischen Mittel an der mittleren und unteren Oder aus eine weit rück¬
wärts gelegene Linie zu verweisen. Im letzteren Falle würde man militärisch,
Rußland gegenüber, den Rang einer Großmacht aufgegeben haben; man ent¬
schied sich demnach für den ersteren.


König Friedrich Wilhelms IV. erste Negierungsepoche zeichnet sich dadurch
vor der seines Vaters rühmlichst aus, daß in ihr im einzelnen manches nach¬
geholt wurde, was seither unverantwortlicherweise versäumt worden war. Der
„alte König" hatte nach Beendigung der Freiheitskriege vorerst daran gedacht,
in militärischer Hinsicht gegen Frankreich eine gesicherte Basis zu gewinnen.
In die Zeit von 1813 — 30 fallen die großen rheinischen Festungsbauten, na¬
mentlich der Neubau von Koblenz und Ehrenbreitstein, wie auch der Beginn
der Arbeiten zu Wesel, Mainz und Köln. An den Osten dachte man bei den
vorzunehmenden Befestigungen erst weit später, und zwar wurden dieselben da¬
mals nur auf Grund der Voraussetzung eines polnischen Aufstandes entworfen.
Daher waren Thorrr und Posen die Hauptpunkte; Königsberg hielt man —
durch Nußland gegen einen polnischen Jnsurrectionsschlag, und durch die eigne,
durchaus deutsche Bevölkerung für zu wohl gedeckt, um hier sortiftcatorische Vor¬
kehrungen für nothwendig zu erachten.

Diese Ansichten in den entscheidenden Schichten des preußischen militäri¬
schen Beamtenthums änderten sich, oder vielmehr sie mußten anders werden,
nachdem ein sür nationalgesinnt geltender König den Thron bestiegen hatte.
Friedrich Wilhelm IV. und Boyen waren es, die zuerst an die Grundlegung
eines preußischen ostwärtigen Vertheidigungssystems dachten, nachdem Willisen
in seinem bekannten ersten Werke (Theorie des großen Krieges -1840) auf
die dortigen schwachen Punkte gedeutet und einen Krieg mit Rußland als
eine Eventualität hingestellt hatte. Aber der Vater hatte dem Sohne nicht
dasselbe Gebiet zu übergeben vermocht, was jener aus der Hand Friedrich Wil¬
helms II. empfangen, und sür dessen Ausdehnung Masfenbach seiner Zeit einen
Fortisicirungsplan entworfen hatte. Die Männer, denen es oblag, das Project
zu einer preußischen Landesbefestigung gegen Nußland festzustellen, hatten vor
allen Dingen darauf zu rücksichtrgen, daß dieser Staat mit seinen neueren pol¬
nischen Erwerbungen keilartig in die preußische Ländermasse eingreift und im
Stande ist, sie nach Belieben, indem er feine Kräfte nach der einen oder an¬
dern Richtung, , nach rechts oder links wirft, ganze Provinzen, Preußen oder
Schlesien, vom Gesammtkörper der Monarchie zu trennen, bevor gegen diese
selbst eine erste Waffenentscheidung gefallen. Hier waren zwei Auswege mög¬
lich, entweder den beiden bedrohten Landestheilen feste Kerne zu geben, indem
man ihre Hauptstädte,.Königsberg und Breslau, in große moderne Central¬
plätze umwandelte, oder auf die Behauptung des einen wie des andern stra¬
tegisch zu verzichten und den Widerstand im voraus durch Concentrirung der
sortificatorischen Mittel an der mittleren und unteren Oder aus eine weit rück¬
wärts gelegene Linie zu verweisen. Im letzteren Falle würde man militärisch,
Rußland gegenüber, den Rang einer Großmacht aufgegeben haben; man ent¬
schied sich demnach für den ersteren.


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[0018] König Friedrich Wilhelms IV. erste Negierungsepoche zeichnet sich dadurch vor der seines Vaters rühmlichst aus, daß in ihr im einzelnen manches nach¬ geholt wurde, was seither unverantwortlicherweise versäumt worden war. Der „alte König" hatte nach Beendigung der Freiheitskriege vorerst daran gedacht, in militärischer Hinsicht gegen Frankreich eine gesicherte Basis zu gewinnen. In die Zeit von 1813 — 30 fallen die großen rheinischen Festungsbauten, na¬ mentlich der Neubau von Koblenz und Ehrenbreitstein, wie auch der Beginn der Arbeiten zu Wesel, Mainz und Köln. An den Osten dachte man bei den vorzunehmenden Befestigungen erst weit später, und zwar wurden dieselben da¬ mals nur auf Grund der Voraussetzung eines polnischen Aufstandes entworfen. Daher waren Thorrr und Posen die Hauptpunkte; Königsberg hielt man — durch Nußland gegen einen polnischen Jnsurrectionsschlag, und durch die eigne, durchaus deutsche Bevölkerung für zu wohl gedeckt, um hier sortiftcatorische Vor¬ kehrungen für nothwendig zu erachten. Diese Ansichten in den entscheidenden Schichten des preußischen militäri¬ schen Beamtenthums änderten sich, oder vielmehr sie mußten anders werden, nachdem ein sür nationalgesinnt geltender König den Thron bestiegen hatte. Friedrich Wilhelm IV. und Boyen waren es, die zuerst an die Grundlegung eines preußischen ostwärtigen Vertheidigungssystems dachten, nachdem Willisen in seinem bekannten ersten Werke (Theorie des großen Krieges -1840) auf die dortigen schwachen Punkte gedeutet und einen Krieg mit Rußland als eine Eventualität hingestellt hatte. Aber der Vater hatte dem Sohne nicht dasselbe Gebiet zu übergeben vermocht, was jener aus der Hand Friedrich Wil¬ helms II. empfangen, und sür dessen Ausdehnung Masfenbach seiner Zeit einen Fortisicirungsplan entworfen hatte. Die Männer, denen es oblag, das Project zu einer preußischen Landesbefestigung gegen Nußland festzustellen, hatten vor allen Dingen darauf zu rücksichtrgen, daß dieser Staat mit seinen neueren pol¬ nischen Erwerbungen keilartig in die preußische Ländermasse eingreift und im Stande ist, sie nach Belieben, indem er feine Kräfte nach der einen oder an¬ dern Richtung, , nach rechts oder links wirft, ganze Provinzen, Preußen oder Schlesien, vom Gesammtkörper der Monarchie zu trennen, bevor gegen diese selbst eine erste Waffenentscheidung gefallen. Hier waren zwei Auswege mög¬ lich, entweder den beiden bedrohten Landestheilen feste Kerne zu geben, indem man ihre Hauptstädte,.Königsberg und Breslau, in große moderne Central¬ plätze umwandelte, oder auf die Behauptung des einen wie des andern stra¬ tegisch zu verzichten und den Widerstand im voraus durch Concentrirung der sortificatorischen Mittel an der mittleren und unteren Oder aus eine weit rück¬ wärts gelegene Linie zu verweisen. Im letzteren Falle würde man militärisch, Rußland gegenüber, den Rang einer Großmacht aufgegeben haben; man ent¬ schied sich demnach für den ersteren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/18>, abgerufen am 29.06.2024.