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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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ist wirklich noch "so vertraulich und heimlich"; nur fehlen die "zwei Linden",
und die beiden neugepflanzten sind noch gar.zu klein. Eine Pyramide von
weißem Stein hat die Inschrift:


Ruheplatz des Dichters
Goethe -
zu seinem. Andenken frisch bepflanzt
bei der Jubelfeier am 28. August ->8is.

Der "Pflug" stand noch an der richtigen Stelle. Ich' fragte meine Ge¬
fährten, ob es "jtwa in der Gegend ein Jagdhaus gebe. Hier nicht, war die
Antwort, aber eine halbe Meile gegen Frankfurt hin liege das Jagdhaus
Stoppelbcrg."

"Ganz am südlichen Ende der Stadt, am Zunftplatz, wo das alte Ver-
sammlungshaus der Zünfte steht, dem Franziskanerkloster gegenüber, ist auch
das Haus, wo Jerusalem sich erschoß, leerstehend. Das nahe Silhöher Thor
führt nach dem hohen Kalsmunt, von wo man eine schöne weite Aussicht hat.
Man übersieht die ganze alterthümliche Stadt, umgeben von der Ringmauer
mit hohen vorspringenden Thürmen, die steinernen Brücken, die weite Ebene
des Flusses mit Dörfern und-Weilern, unter denen Kloster Altenberg hervor¬
steht, Wälder auf allen Höhen; es war sehr schön hier oben bei dem abend¬
lichen Sonnenschein, der die warmen herbstlichen Farben verklärte."

"In der Dämmerung ging ich noch auf den Kirchhof, in dessen Mitte
unter einer großen Thränenweide das unbeglaubigte Grab Jerusalems gezeigt
wird. Dem Werther nach müßte es am Ende des Kirchhofs liegenallein
dieser ist, wie der Todtengräber versicherte und glaubwürdige Zeugen bestätigten,
zu Anfang des Jahrhunderts erweitert worden, so daß das, was früher sein
Ende war, nun recht wol in der Mitte liegen kann. Andere unbezeichnete
Gräber werden als die von Lottes Eltern gezeigt."

"Nachdem ich auch diese Pflicht erfüllt hatte, trennte ich mich am Abend
dankbar von meinen kleinen Freunden und fuhr nach Limburg."

Von der unglaublichen Wirkung, welche der Werther auf das deutsche
Publicum hatte, geben uns die Sündflut der Werlherliteratur und so manche
pathologische Erscheinung "me nicht durchaus erfreuliche Vorstellung. Ein
Zeugniß ganz anderer, sehr ergötzlicher Art bietet dagegen eine kleine Schrift
"Ulrich Hegners Jugendjnhre".. Hegner lebte im Jahr 1776 in Straßburg im
Hause eines Apothekers und verkehrte viel mit dem ersten Gehilfen Heinsius,
einem kleinen, häßlichen, pockennarbigen, lustigen, originellen Menschen, der
den ganzen Werther auswendig wußte und in der Apotheke -- aber nur dort
-- fast allein mit Citaten aus demselben redete. Die Skizze, die Hegner von
ihm entwirft, ist spaßhaft genug.

Mit Kindern und Mädchen hatte Heinsius die meiste Kurzweil. Einem


ist wirklich noch „so vertraulich und heimlich"; nur fehlen die „zwei Linden",
und die beiden neugepflanzten sind noch gar.zu klein. Eine Pyramide von
weißem Stein hat die Inschrift:


Ruheplatz des Dichters
Goethe -
zu seinem. Andenken frisch bepflanzt
bei der Jubelfeier am 28. August ->8is.

Der „Pflug" stand noch an der richtigen Stelle. Ich' fragte meine Ge¬
fährten, ob es «jtwa in der Gegend ein Jagdhaus gebe. Hier nicht, war die
Antwort, aber eine halbe Meile gegen Frankfurt hin liege das Jagdhaus
Stoppelbcrg."

„Ganz am südlichen Ende der Stadt, am Zunftplatz, wo das alte Ver-
sammlungshaus der Zünfte steht, dem Franziskanerkloster gegenüber, ist auch
das Haus, wo Jerusalem sich erschoß, leerstehend. Das nahe Silhöher Thor
führt nach dem hohen Kalsmunt, von wo man eine schöne weite Aussicht hat.
Man übersieht die ganze alterthümliche Stadt, umgeben von der Ringmauer
mit hohen vorspringenden Thürmen, die steinernen Brücken, die weite Ebene
des Flusses mit Dörfern und-Weilern, unter denen Kloster Altenberg hervor¬
steht, Wälder auf allen Höhen; es war sehr schön hier oben bei dem abend¬
lichen Sonnenschein, der die warmen herbstlichen Farben verklärte."

„In der Dämmerung ging ich noch auf den Kirchhof, in dessen Mitte
unter einer großen Thränenweide das unbeglaubigte Grab Jerusalems gezeigt
wird. Dem Werther nach müßte es am Ende des Kirchhofs liegenallein
dieser ist, wie der Todtengräber versicherte und glaubwürdige Zeugen bestätigten,
zu Anfang des Jahrhunderts erweitert worden, so daß das, was früher sein
Ende war, nun recht wol in der Mitte liegen kann. Andere unbezeichnete
Gräber werden als die von Lottes Eltern gezeigt."

„Nachdem ich auch diese Pflicht erfüllt hatte, trennte ich mich am Abend
dankbar von meinen kleinen Freunden und fuhr nach Limburg."

Von der unglaublichen Wirkung, welche der Werther auf das deutsche
Publicum hatte, geben uns die Sündflut der Werlherliteratur und so manche
pathologische Erscheinung «me nicht durchaus erfreuliche Vorstellung. Ein
Zeugniß ganz anderer, sehr ergötzlicher Art bietet dagegen eine kleine Schrift
„Ulrich Hegners Jugendjnhre".. Hegner lebte im Jahr 1776 in Straßburg im
Hause eines Apothekers und verkehrte viel mit dem ersten Gehilfen Heinsius,
einem kleinen, häßlichen, pockennarbigen, lustigen, originellen Menschen, der
den ganzen Werther auswendig wußte und in der Apotheke -- aber nur dort
— fast allein mit Citaten aus demselben redete. Die Skizze, die Hegner von
ihm entwirft, ist spaßhaft genug.

Mit Kindern und Mädchen hatte Heinsius die meiste Kurzweil. Einem


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[0176] ist wirklich noch „so vertraulich und heimlich"; nur fehlen die „zwei Linden", und die beiden neugepflanzten sind noch gar.zu klein. Eine Pyramide von weißem Stein hat die Inschrift: Ruheplatz des Dichters Goethe - zu seinem. Andenken frisch bepflanzt bei der Jubelfeier am 28. August ->8is. Der „Pflug" stand noch an der richtigen Stelle. Ich' fragte meine Ge¬ fährten, ob es «jtwa in der Gegend ein Jagdhaus gebe. Hier nicht, war die Antwort, aber eine halbe Meile gegen Frankfurt hin liege das Jagdhaus Stoppelbcrg." „Ganz am südlichen Ende der Stadt, am Zunftplatz, wo das alte Ver- sammlungshaus der Zünfte steht, dem Franziskanerkloster gegenüber, ist auch das Haus, wo Jerusalem sich erschoß, leerstehend. Das nahe Silhöher Thor führt nach dem hohen Kalsmunt, von wo man eine schöne weite Aussicht hat. Man übersieht die ganze alterthümliche Stadt, umgeben von der Ringmauer mit hohen vorspringenden Thürmen, die steinernen Brücken, die weite Ebene des Flusses mit Dörfern und-Weilern, unter denen Kloster Altenberg hervor¬ steht, Wälder auf allen Höhen; es war sehr schön hier oben bei dem abend¬ lichen Sonnenschein, der die warmen herbstlichen Farben verklärte." „In der Dämmerung ging ich noch auf den Kirchhof, in dessen Mitte unter einer großen Thränenweide das unbeglaubigte Grab Jerusalems gezeigt wird. Dem Werther nach müßte es am Ende des Kirchhofs liegenallein dieser ist, wie der Todtengräber versicherte und glaubwürdige Zeugen bestätigten, zu Anfang des Jahrhunderts erweitert worden, so daß das, was früher sein Ende war, nun recht wol in der Mitte liegen kann. Andere unbezeichnete Gräber werden als die von Lottes Eltern gezeigt." „Nachdem ich auch diese Pflicht erfüllt hatte, trennte ich mich am Abend dankbar von meinen kleinen Freunden und fuhr nach Limburg." Von der unglaublichen Wirkung, welche der Werther auf das deutsche Publicum hatte, geben uns die Sündflut der Werlherliteratur und so manche pathologische Erscheinung «me nicht durchaus erfreuliche Vorstellung. Ein Zeugniß ganz anderer, sehr ergötzlicher Art bietet dagegen eine kleine Schrift „Ulrich Hegners Jugendjnhre".. Hegner lebte im Jahr 1776 in Straßburg im Hause eines Apothekers und verkehrte viel mit dem ersten Gehilfen Heinsius, einem kleinen, häßlichen, pockennarbigen, lustigen, originellen Menschen, der den ganzen Werther auswendig wußte und in der Apotheke -- aber nur dort — fast allein mit Citaten aus demselben redete. Die Skizze, die Hegner von ihm entwirft, ist spaßhaft genug. Mit Kindern und Mädchen hatte Heinsius die meiste Kurzweil. Einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/176>, abgerufen am 23.07.2024.