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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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de.s Theokrit, Bion und Moschvs von Mörike und Roller. Die Ueber¬
setzung ist durchweg correct und in sehr gutem Deutsch, zum Theil glänzend. --
Der Uebersetzer des Horaz, or. Wilhelm Binder, hat mit Recht großen An¬
klang gefunden. Die Oden und Epoden erscheinen bereits in vierter Auflage.
In der Auswahl der Lesarten kann man ihm in vielen Fällen nicht beitre¬
ten. -- Die Atlas von Donner, jetzt zur Hälfte fertig, zeigt den großen
Fortschritt, den wir in der Kunst der Uebersetzung gemacht haben. Die Sprache
ist wohlklingend und dabei ist doch die Form streng beobachtet. Es ist Schade,
daß der erste Gesang mit einem harten Trochäus anfängt, der leicht zu ver¬
meiden war. -- Derselbe Uebersetzer hat den Aeschylus bearbeitet. In der
Uebersetzung von Droysen ist vieles poetischer, dasür hat der gegenwärtige
Uebersetzer sich dem Original streng angeschlossen. Wir wollen hier den Chor
der Erinnyen anführen, der durch die Kraniche des Ibykus in Deutschland so
bekannt geworden ist.


Mutter, die du mich gebarst, Urnacht,
Mich, der verblichnen wie der lichten Welt Strafgeist,
Höre mich! Letos Sohn beut Mir Hohn, spottet meiner;
Dieses Wild raubt er uns, dessen Blut fließen muß,
Abzubüßen Muttermord.
Um das Schlachtopfer schlingt
Euer Lied, Wahnsinnshauch, Wahnsinnslaut der Bethörung,
Schlingt Erinnenfestgesang,
Harfenlos, der Geister Band, der des Hörers Mark verzehrt!

Denn des Schicksals Allgewalt theilte
Unserm Geschlecht für ewge Zeiten dies Loos zu:
Wessen Haupt frevelhaft grause Blutschuld sich auflud,
Dessen Spur gehn wir nach, bis ihn deckt Grabesnacht;
Auch der Tod befreit ihn nicht.
Um das Schlachtopfer schlingt
Euer Lied, Wahnsinnshauch, Wahnsinnslaut der Bethörung,
Schlingt Erinnenfestgesang,
Harsenlos, der Geister Band, der des Hörers Mark verzehrt!

Bei der Geburt ward uns vom Geschicke beschicken,
Ewig zu fliehn der unsterblichen Götter Gemeinschaft.
Ihr Mahl theilen wir niemals;
Auch kein weißes Gewand darf unsre Glieder umhüllen.
Häuser auszutilgen, ward
Meines Amts, wann der Freund
Tückisch im Haus mordet den Freund.
Hinter ihm stürz ich her;
Blühe er auch jugcndstark,
Doch ich breche die Kraft ihm!


de.s Theokrit, Bion und Moschvs von Mörike und Roller. Die Ueber¬
setzung ist durchweg correct und in sehr gutem Deutsch, zum Theil glänzend. —
Der Uebersetzer des Horaz, or. Wilhelm Binder, hat mit Recht großen An¬
klang gefunden. Die Oden und Epoden erscheinen bereits in vierter Auflage.
In der Auswahl der Lesarten kann man ihm in vielen Fällen nicht beitre¬
ten. — Die Atlas von Donner, jetzt zur Hälfte fertig, zeigt den großen
Fortschritt, den wir in der Kunst der Uebersetzung gemacht haben. Die Sprache
ist wohlklingend und dabei ist doch die Form streng beobachtet. Es ist Schade,
daß der erste Gesang mit einem harten Trochäus anfängt, der leicht zu ver¬
meiden war. — Derselbe Uebersetzer hat den Aeschylus bearbeitet. In der
Uebersetzung von Droysen ist vieles poetischer, dasür hat der gegenwärtige
Uebersetzer sich dem Original streng angeschlossen. Wir wollen hier den Chor
der Erinnyen anführen, der durch die Kraniche des Ibykus in Deutschland so
bekannt geworden ist.


Mutter, die du mich gebarst, Urnacht,
Mich, der verblichnen wie der lichten Welt Strafgeist,
Höre mich! Letos Sohn beut Mir Hohn, spottet meiner;
Dieses Wild raubt er uns, dessen Blut fließen muß,
Abzubüßen Muttermord.
Um das Schlachtopfer schlingt
Euer Lied, Wahnsinnshauch, Wahnsinnslaut der Bethörung,
Schlingt Erinnenfestgesang,
Harfenlos, der Geister Band, der des Hörers Mark verzehrt!

Denn des Schicksals Allgewalt theilte
Unserm Geschlecht für ewge Zeiten dies Loos zu:
Wessen Haupt frevelhaft grause Blutschuld sich auflud,
Dessen Spur gehn wir nach, bis ihn deckt Grabesnacht;
Auch der Tod befreit ihn nicht.
Um das Schlachtopfer schlingt
Euer Lied, Wahnsinnshauch, Wahnsinnslaut der Bethörung,
Schlingt Erinnenfestgesang,
Harsenlos, der Geister Band, der des Hörers Mark verzehrt!

Bei der Geburt ward uns vom Geschicke beschicken,
Ewig zu fliehn der unsterblichen Götter Gemeinschaft.
Ihr Mahl theilen wir niemals;
Auch kein weißes Gewand darf unsre Glieder umhüllen.
Häuser auszutilgen, ward
Meines Amts, wann der Freund
Tückisch im Haus mordet den Freund.
Hinter ihm stürz ich her;
Blühe er auch jugcndstark,
Doch ich breche die Kraft ihm!


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[0080] de.s Theokrit, Bion und Moschvs von Mörike und Roller. Die Ueber¬ setzung ist durchweg correct und in sehr gutem Deutsch, zum Theil glänzend. — Der Uebersetzer des Horaz, or. Wilhelm Binder, hat mit Recht großen An¬ klang gefunden. Die Oden und Epoden erscheinen bereits in vierter Auflage. In der Auswahl der Lesarten kann man ihm in vielen Fällen nicht beitre¬ ten. — Die Atlas von Donner, jetzt zur Hälfte fertig, zeigt den großen Fortschritt, den wir in der Kunst der Uebersetzung gemacht haben. Die Sprache ist wohlklingend und dabei ist doch die Form streng beobachtet. Es ist Schade, daß der erste Gesang mit einem harten Trochäus anfängt, der leicht zu ver¬ meiden war. — Derselbe Uebersetzer hat den Aeschylus bearbeitet. In der Uebersetzung von Droysen ist vieles poetischer, dasür hat der gegenwärtige Uebersetzer sich dem Original streng angeschlossen. Wir wollen hier den Chor der Erinnyen anführen, der durch die Kraniche des Ibykus in Deutschland so bekannt geworden ist. Mutter, die du mich gebarst, Urnacht, Mich, der verblichnen wie der lichten Welt Strafgeist, Höre mich! Letos Sohn beut Mir Hohn, spottet meiner; Dieses Wild raubt er uns, dessen Blut fließen muß, Abzubüßen Muttermord. Um das Schlachtopfer schlingt Euer Lied, Wahnsinnshauch, Wahnsinnslaut der Bethörung, Schlingt Erinnenfestgesang, Harfenlos, der Geister Band, der des Hörers Mark verzehrt! Denn des Schicksals Allgewalt theilte Unserm Geschlecht für ewge Zeiten dies Loos zu: Wessen Haupt frevelhaft grause Blutschuld sich auflud, Dessen Spur gehn wir nach, bis ihn deckt Grabesnacht; Auch der Tod befreit ihn nicht. Um das Schlachtopfer schlingt Euer Lied, Wahnsinnshauch, Wahnsinnslaut der Bethörung, Schlingt Erinnenfestgesang, Harsenlos, der Geister Band, der des Hörers Mark verzehrt! Bei der Geburt ward uns vom Geschicke beschicken, Ewig zu fliehn der unsterblichen Götter Gemeinschaft. Ihr Mahl theilen wir niemals; Auch kein weißes Gewand darf unsre Glieder umhüllen. Häuser auszutilgen, ward Meines Amts, wann der Freund Tückisch im Haus mordet den Freund. Hinter ihm stürz ich her; Blühe er auch jugcndstark, Doch ich breche die Kraft ihm!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/80>, abgerufen am 24.08.2024.