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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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neu Stempelbogen zu zwölf Schilling genommen habe. Also die Unwissenheit,
zu welcher sich der wohlbestallte und wohlgesinnte Propst und der noch besser
dänisch gesinnte Bischof bekannten, war bei dem armen Landgeistlichen ein
strafwürdiges Verbrechen -- fürwahr, eine melancholische Komik!

Mit dänischen Geistlichen nimmt man es nicht so genau. Diese reisen
ungehindert und ohne irgendwelche Anfrage nach Fühnen und Seeland. Die
deutschen aber müssen die Regel ganz stritt auffassen; denn Propst Mariens
hat überall seine Späher und Berichterstatter, und die geringste Uebertretung
würde das Damoklesschwert herabfallen machen, welches über den Häuptern
aller dieser Mißliebigen hängt.

Wie sehr sie sich zu hüten haben, welche Geringfügigkeiten man ihnen
aussticht und welcher Schurken man sich gegen sie bedient, kann eine andere
Anekdote aus dem Munde meines mit allen diesen Zuständen wohlbekannten
Begleiters zeigen, mit der ich für heute schließen will.

Sie kennen die Hetzjagd, welche die Dänen eine Zeitlang auf alle
Symbole der Erhebungszeit anstellten. Man that, was man konnte, strafte
die unschuldigsten Dinge als Majestätsverbrechen, erreichte aber doch nur, daß
die verpöntem Zeichen von der Straße sich in die Häuser flüchteten, wo sie
als Andenken an die Vergangenheit und zum Gebrauch für die Zukunft auf¬
bewahrt werden. Nun hatte ein Schulmeifterlein im Dorfe Wittensee im
Jahre 1849 seine Begeisterung für die deutsche Sache unrer andern dadurch
bethätigen zu müssen geglaubt, daß er in sein Protokollbuch eine schwarzroth-
goldene Verzierung gemalt hatte. Der Schulinspector, Pastor Völker, tadelte
diese Ungehörigkeit bei der Visitation, vergaß jedoch, als er sein Vial darun¬
ter setzte, die Ausradirung dieses Ergusses schulmeisterlicher Vaterlandsliebe
zu veranlassen. Später kam ein anderer Lehrer, von der Negierung eingesetzt,
darüber, und das erste, was er bei der nächsten Visitation that, war, daß
er das Buch aus der Tasche zog, um es dem Pröpste zu zeigen. Seine
Collegen redeten es ihm aus, und einer derselben benachrichtigte den Pfarrer
von dem beabsichtigten Streiche. Dieser ließ den Lehrer bitten, ihm das cor-
pus ü-zlieti zu bringen, damit er die anstößige Spielerei vernichten könne.
Der Betreffende erschien erst nach einigen Tagen und ohne das Buch. Ein
Gendarm habe es ihm abgefordert, sagte er. Der Elende hatte es jedoch
freiwillig zum Hardesvogt befördern lassen, und bald nachher bekam der Pastor
vom Propsten den Befehl, sich zu verantworten, ja es fehlte wenig, so hätte
man ihn als Mitschuldigen an aufrührerischen Handlungen in Strafe ge¬
nommen. Der Angeber dagegen, der seinen Eifer für das Dänenthum außer¬
dem dadurch bethätigte, daß er in dasselbe Protokollbuch zu dem Namen des
Propsten Nielsen, eines der ehrenwerthesten Geistlichen des Landes, das
Schimpfwort "Jnsurgentenhäuptling" geschrieben hatte, und welcher später


neu Stempelbogen zu zwölf Schilling genommen habe. Also die Unwissenheit,
zu welcher sich der wohlbestallte und wohlgesinnte Propst und der noch besser
dänisch gesinnte Bischof bekannten, war bei dem armen Landgeistlichen ein
strafwürdiges Verbrechen — fürwahr, eine melancholische Komik!

Mit dänischen Geistlichen nimmt man es nicht so genau. Diese reisen
ungehindert und ohne irgendwelche Anfrage nach Fühnen und Seeland. Die
deutschen aber müssen die Regel ganz stritt auffassen; denn Propst Mariens
hat überall seine Späher und Berichterstatter, und die geringste Uebertretung
würde das Damoklesschwert herabfallen machen, welches über den Häuptern
aller dieser Mißliebigen hängt.

Wie sehr sie sich zu hüten haben, welche Geringfügigkeiten man ihnen
aussticht und welcher Schurken man sich gegen sie bedient, kann eine andere
Anekdote aus dem Munde meines mit allen diesen Zuständen wohlbekannten
Begleiters zeigen, mit der ich für heute schließen will.

Sie kennen die Hetzjagd, welche die Dänen eine Zeitlang auf alle
Symbole der Erhebungszeit anstellten. Man that, was man konnte, strafte
die unschuldigsten Dinge als Majestätsverbrechen, erreichte aber doch nur, daß
die verpöntem Zeichen von der Straße sich in die Häuser flüchteten, wo sie
als Andenken an die Vergangenheit und zum Gebrauch für die Zukunft auf¬
bewahrt werden. Nun hatte ein Schulmeifterlein im Dorfe Wittensee im
Jahre 1849 seine Begeisterung für die deutsche Sache unrer andern dadurch
bethätigen zu müssen geglaubt, daß er in sein Protokollbuch eine schwarzroth-
goldene Verzierung gemalt hatte. Der Schulinspector, Pastor Völker, tadelte
diese Ungehörigkeit bei der Visitation, vergaß jedoch, als er sein Vial darun¬
ter setzte, die Ausradirung dieses Ergusses schulmeisterlicher Vaterlandsliebe
zu veranlassen. Später kam ein anderer Lehrer, von der Negierung eingesetzt,
darüber, und das erste, was er bei der nächsten Visitation that, war, daß
er das Buch aus der Tasche zog, um es dem Pröpste zu zeigen. Seine
Collegen redeten es ihm aus, und einer derselben benachrichtigte den Pfarrer
von dem beabsichtigten Streiche. Dieser ließ den Lehrer bitten, ihm das cor-
pus ü-zlieti zu bringen, damit er die anstößige Spielerei vernichten könne.
Der Betreffende erschien erst nach einigen Tagen und ohne das Buch. Ein
Gendarm habe es ihm abgefordert, sagte er. Der Elende hatte es jedoch
freiwillig zum Hardesvogt befördern lassen, und bald nachher bekam der Pastor
vom Propsten den Befehl, sich zu verantworten, ja es fehlte wenig, so hätte
man ihn als Mitschuldigen an aufrührerischen Handlungen in Strafe ge¬
nommen. Der Angeber dagegen, der seinen Eifer für das Dänenthum außer¬
dem dadurch bethätigte, daß er in dasselbe Protokollbuch zu dem Namen des
Propsten Nielsen, eines der ehrenwerthesten Geistlichen des Landes, das
Schimpfwort „Jnsurgentenhäuptling" geschrieben hatte, und welcher später


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/70>, abgerufen am 24.08.2024.