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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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mark und dann wiederum zwischen diese beiden Provinzen für sich das schärfste
Scheidewasser, dessen man habhaft werden kann. Was das Allgemeine die¬
ses auf alle Falle neuen und für uns sehr tröstlichen Verfahrens betrifft, so
ist dem deutschen Pulüicum von anderer Seite her die nöthige Aufklärung er¬
theilt worden, und ich kann mich darauf beschränken, ein Beispiel anzuführen,
wie dieses dividirende Additionssystem im Kleinen und Einzelnen in Vollzug
gesetzt wird.

Jeder Staatsdiener bedarf, wenn er auch nur auf einige Stunden aus
Schleswig nach Holstein gehen will, wenn er sich auch nur eine halbe Meile
über die südliche Grenze zu entfernen beabsichtigt, dazu der speciellen Erlaub¬
niß der ihm vorgesetzten Behörde. Vor allem gilt dies von den deutschen,
und im Gerüche zweifelhafter Gesinnung stehenden Beamten, am meisten von
den verdächtigen Pfarrern in Südschleswig. Sie sollen überhaupt nicht nach
Süden blicken. Aller Zusammenhang mit dem dortigen Volke soll nach Mög¬
lichkeit abgeschnitten werden, versteht sich, immer im Interesse des Gesammt-
staatS. Das kommt für manche geradezu dem Hausarrest gleich. Wer von
den Pfarrern aus einer Propstei in die nächste zu reisen vorhat, muß dies
mit Angabe des Grundes dem Propsten, wer aus dem Herzogthume nach
Holstein will, dem Bischöfe melden und um Genehmigung bitten. So ist es
geschehen, daß Pastoren ohne Gesuch und Anfrage von Friedrichstadt nach
Friedrichsort (zehn Meilen voneinander) reisen konnten, während ein Pfarrer,
der von Holtenau nach Düsternbrook (eine halbe Meile) gerufen war, um eine
Taufe zu vollziehen, die Einladung abschlagen mußte, weil er natürlich inner¬
halb der gegebenen Frist die Erlaubniß dazu vom Bischof nicht einzuholen ver¬
mochte. Es ist wahr: "Der Unsinn fängt an komisch zu werden."

Noch unsinniger und komischer aber ist folgende verbürgte Geschichte aus
diesem Zusammenhange. Pfarrer Alberts will nach dem Osterfeste eine Ver¬
wandte Nach Holstein bringen. Er gibt vierzehn Tage vorher das vorschrifts¬
mäßige Gesuch beim Propst Mariens ein, mit dem Ersuchen, es beim Bischöfe
zu bevorworten. Es kommt keine Antwort und er muß den Plan aufgeben.
Er richtet nun ein Schreiben direct an den Bischof, worin er sagt, die Reise
sei unterblieben, und er bitte, ihm die Genehmigung für ein ander Mal auf¬
zuheben. Er erhält sofort eine Antwort, in welcher ihm bemerkt wird , es sei
ihm deshalb bis jetzt noch kein Bescheid ertheilt worden, weil der Propst Be¬
denken gehegt habe, ob das Gesuch nicht vielleicht, auf Stempelpapier hätte
geschrieben sein müssen. Er, der Bischof, habe dies selbst nicht gewußt und
deshalb in Kopenhagen angefragt. Damit schien die Sache erledigt. Aber
wer schildert die Bestürzung des unseligen Pastors, als er einige Tage nach¬
her ein Schreiben von der Hardesvogtei erhält, worin ihm ein Verweis ge¬
geben und er in eine Brüche verurtheilt wird, weil er zu seinem Gesuche kei-


mark und dann wiederum zwischen diese beiden Provinzen für sich das schärfste
Scheidewasser, dessen man habhaft werden kann. Was das Allgemeine die¬
ses auf alle Falle neuen und für uns sehr tröstlichen Verfahrens betrifft, so
ist dem deutschen Pulüicum von anderer Seite her die nöthige Aufklärung er¬
theilt worden, und ich kann mich darauf beschränken, ein Beispiel anzuführen,
wie dieses dividirende Additionssystem im Kleinen und Einzelnen in Vollzug
gesetzt wird.

Jeder Staatsdiener bedarf, wenn er auch nur auf einige Stunden aus
Schleswig nach Holstein gehen will, wenn er sich auch nur eine halbe Meile
über die südliche Grenze zu entfernen beabsichtigt, dazu der speciellen Erlaub¬
niß der ihm vorgesetzten Behörde. Vor allem gilt dies von den deutschen,
und im Gerüche zweifelhafter Gesinnung stehenden Beamten, am meisten von
den verdächtigen Pfarrern in Südschleswig. Sie sollen überhaupt nicht nach
Süden blicken. Aller Zusammenhang mit dem dortigen Volke soll nach Mög¬
lichkeit abgeschnitten werden, versteht sich, immer im Interesse des Gesammt-
staatS. Das kommt für manche geradezu dem Hausarrest gleich. Wer von
den Pfarrern aus einer Propstei in die nächste zu reisen vorhat, muß dies
mit Angabe des Grundes dem Propsten, wer aus dem Herzogthume nach
Holstein will, dem Bischöfe melden und um Genehmigung bitten. So ist es
geschehen, daß Pastoren ohne Gesuch und Anfrage von Friedrichstadt nach
Friedrichsort (zehn Meilen voneinander) reisen konnten, während ein Pfarrer,
der von Holtenau nach Düsternbrook (eine halbe Meile) gerufen war, um eine
Taufe zu vollziehen, die Einladung abschlagen mußte, weil er natürlich inner¬
halb der gegebenen Frist die Erlaubniß dazu vom Bischof nicht einzuholen ver¬
mochte. Es ist wahr: „Der Unsinn fängt an komisch zu werden."

Noch unsinniger und komischer aber ist folgende verbürgte Geschichte aus
diesem Zusammenhange. Pfarrer Alberts will nach dem Osterfeste eine Ver¬
wandte Nach Holstein bringen. Er gibt vierzehn Tage vorher das vorschrifts¬
mäßige Gesuch beim Propst Mariens ein, mit dem Ersuchen, es beim Bischöfe
zu bevorworten. Es kommt keine Antwort und er muß den Plan aufgeben.
Er richtet nun ein Schreiben direct an den Bischof, worin er sagt, die Reise
sei unterblieben, und er bitte, ihm die Genehmigung für ein ander Mal auf¬
zuheben. Er erhält sofort eine Antwort, in welcher ihm bemerkt wird , es sei
ihm deshalb bis jetzt noch kein Bescheid ertheilt worden, weil der Propst Be¬
denken gehegt habe, ob das Gesuch nicht vielleicht, auf Stempelpapier hätte
geschrieben sein müssen. Er, der Bischof, habe dies selbst nicht gewußt und
deshalb in Kopenhagen angefragt. Damit schien die Sache erledigt. Aber
wer schildert die Bestürzung des unseligen Pastors, als er einige Tage nach¬
her ein Schreiben von der Hardesvogtei erhält, worin ihm ein Verweis ge¬
geben und er in eine Brüche verurtheilt wird, weil er zu seinem Gesuche kei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/69>, abgerufen am 02.10.2024.