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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Die Blohmschen Besitzungen liegen in einem Theile Holsteins, wo fast
nur große adlige Güter aneinandergrenzen und wo infolge dessen die Leib¬
eigenschaft noch nachklingt. Die Jnseen und Käthner Wagriens sind nicht in
dem Sinne wie andere Bewohner der Herzogthümer freie Bauern. Sie haben
kein Grundeigenthum, das sie veräußern oder vergrößern könnten, sondern
wohnen im eigentlichsten Sinne des Wortes zur Miethe. Sie sind der großen
Mehrzahl nach nicht einmal Erb-, sondern nur Zeitpächter.

Wunderbar schien es auf den ersten Blick, daß die Tollheiten kommuni¬
stischer Gelüste grade hier einen empfänglichen Boden fanden. Es herrschte
eben keine materielle Noth unter den "kleinen Leuten". Sie befanden sich so¬
gar besser, als die ärmere Classe freier gestellter Districte; denn während diese
durchschnittlich dreißig Thaler Pacht für ein Haus mit Kuh zahlten und elf
Schillinge täglich verdienten, entrichtete der Zeitpächter eines Gutes im öst¬
lichen Holstein bei einem Tagesverdienst, der sich im Durchschnitt auf vierzehn
Schillinge belief, sür das Gleiche blos die Hälfte jenes Betrags. Allein jene
Pächter in andern Strichen konnten sich durch Fleiß und Sparsamkeit nach
und nach emporbringen und Feld erwerben. Hier dagegen ist keins zu haben.
So muß der Sohn bleiben, was der Vater gewesen. So fehlt zwar die Furcht
des Verlustes -- denn diese Zeitpächter sind der Mehrzahl nach die Arbeiter
auf den Höfen und die treibt man bei dem Mangel an Arbeitskräften nicht
leicht durch Steigerung des Pachtgeldes hinweg, und zwar umsoweniger, als
sie, in Noth gerathen, der Armencasse des Gutes zur Last fallen würden --
aber es mangelt auch die Hoffnung des Gewinns und die Hoffnung erst macht
das Leben zum Leben.

Mir schienen diese wagrischen Bauern im Allgemeinen ein verdrossenes
Geschlecht zu sein. Seltner als anderwärts erblickt man große schmucke Häuser.
Häufiger wird man von bettelnden Kindern angesprochen. Ueberall prägt sich
mehr oder minder die Beschränktheit und Unfreiheit aus, in der das Volk lebt
und man glaubt in ein ganz andres Land zu kommen, wenn man die blau
und weißen Wegweiser bei der zu Salzau gehörigen Meierei Ottenhof hinter
sich hat und die Grenze der Propstei überschreitet.

Die Propstei, genauer die Preetzer Propstei, heißt ein Landstrich von
anderthalb Quadratmeilen, der im Westen von der Hägener An*) und der
kieler Föhrde und im Norden von dem offnen Meere bespült ist, während er
im Süden und Osten keine natürlichen Grenzen hat. Sie nimmt unter den
Gegenden in der Nachbarschaft Kiels, die keiner unbesucht lassen darf, welcher
sich vor seiner Abreise das Zeugniß ertheilen lassen will, er habe alle Merk-



I


") An, das dänische Aa, hat nichts mit unseren Auen gemein, sondern bedeutet einen
kleinen Fluß.

Die Blohmschen Besitzungen liegen in einem Theile Holsteins, wo fast
nur große adlige Güter aneinandergrenzen und wo infolge dessen die Leib¬
eigenschaft noch nachklingt. Die Jnseen und Käthner Wagriens sind nicht in
dem Sinne wie andere Bewohner der Herzogthümer freie Bauern. Sie haben
kein Grundeigenthum, das sie veräußern oder vergrößern könnten, sondern
wohnen im eigentlichsten Sinne des Wortes zur Miethe. Sie sind der großen
Mehrzahl nach nicht einmal Erb-, sondern nur Zeitpächter.

Wunderbar schien es auf den ersten Blick, daß die Tollheiten kommuni¬
stischer Gelüste grade hier einen empfänglichen Boden fanden. Es herrschte
eben keine materielle Noth unter den „kleinen Leuten". Sie befanden sich so¬
gar besser, als die ärmere Classe freier gestellter Districte; denn während diese
durchschnittlich dreißig Thaler Pacht für ein Haus mit Kuh zahlten und elf
Schillinge täglich verdienten, entrichtete der Zeitpächter eines Gutes im öst¬
lichen Holstein bei einem Tagesverdienst, der sich im Durchschnitt auf vierzehn
Schillinge belief, sür das Gleiche blos die Hälfte jenes Betrags. Allein jene
Pächter in andern Strichen konnten sich durch Fleiß und Sparsamkeit nach
und nach emporbringen und Feld erwerben. Hier dagegen ist keins zu haben.
So muß der Sohn bleiben, was der Vater gewesen. So fehlt zwar die Furcht
des Verlustes — denn diese Zeitpächter sind der Mehrzahl nach die Arbeiter
auf den Höfen und die treibt man bei dem Mangel an Arbeitskräften nicht
leicht durch Steigerung des Pachtgeldes hinweg, und zwar umsoweniger, als
sie, in Noth gerathen, der Armencasse des Gutes zur Last fallen würden —
aber es mangelt auch die Hoffnung des Gewinns und die Hoffnung erst macht
das Leben zum Leben.

Mir schienen diese wagrischen Bauern im Allgemeinen ein verdrossenes
Geschlecht zu sein. Seltner als anderwärts erblickt man große schmucke Häuser.
Häufiger wird man von bettelnden Kindern angesprochen. Ueberall prägt sich
mehr oder minder die Beschränktheit und Unfreiheit aus, in der das Volk lebt
und man glaubt in ein ganz andres Land zu kommen, wenn man die blau
und weißen Wegweiser bei der zu Salzau gehörigen Meierei Ottenhof hinter
sich hat und die Grenze der Propstei überschreitet.

Die Propstei, genauer die Preetzer Propstei, heißt ein Landstrich von
anderthalb Quadratmeilen, der im Westen von der Hägener An*) und der
kieler Föhrde und im Norden von dem offnen Meere bespült ist, während er
im Süden und Osten keine natürlichen Grenzen hat. Sie nimmt unter den
Gegenden in der Nachbarschaft Kiels, die keiner unbesucht lassen darf, welcher
sich vor seiner Abreise das Zeugniß ertheilen lassen will, er habe alle Merk-



I


") An, das dänische Aa, hat nichts mit unseren Auen gemein, sondern bedeutet einen
kleinen Fluß.
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[0054] Die Blohmschen Besitzungen liegen in einem Theile Holsteins, wo fast nur große adlige Güter aneinandergrenzen und wo infolge dessen die Leib¬ eigenschaft noch nachklingt. Die Jnseen und Käthner Wagriens sind nicht in dem Sinne wie andere Bewohner der Herzogthümer freie Bauern. Sie haben kein Grundeigenthum, das sie veräußern oder vergrößern könnten, sondern wohnen im eigentlichsten Sinne des Wortes zur Miethe. Sie sind der großen Mehrzahl nach nicht einmal Erb-, sondern nur Zeitpächter. Wunderbar schien es auf den ersten Blick, daß die Tollheiten kommuni¬ stischer Gelüste grade hier einen empfänglichen Boden fanden. Es herrschte eben keine materielle Noth unter den „kleinen Leuten". Sie befanden sich so¬ gar besser, als die ärmere Classe freier gestellter Districte; denn während diese durchschnittlich dreißig Thaler Pacht für ein Haus mit Kuh zahlten und elf Schillinge täglich verdienten, entrichtete der Zeitpächter eines Gutes im öst¬ lichen Holstein bei einem Tagesverdienst, der sich im Durchschnitt auf vierzehn Schillinge belief, sür das Gleiche blos die Hälfte jenes Betrags. Allein jene Pächter in andern Strichen konnten sich durch Fleiß und Sparsamkeit nach und nach emporbringen und Feld erwerben. Hier dagegen ist keins zu haben. So muß der Sohn bleiben, was der Vater gewesen. So fehlt zwar die Furcht des Verlustes — denn diese Zeitpächter sind der Mehrzahl nach die Arbeiter auf den Höfen und die treibt man bei dem Mangel an Arbeitskräften nicht leicht durch Steigerung des Pachtgeldes hinweg, und zwar umsoweniger, als sie, in Noth gerathen, der Armencasse des Gutes zur Last fallen würden — aber es mangelt auch die Hoffnung des Gewinns und die Hoffnung erst macht das Leben zum Leben. Mir schienen diese wagrischen Bauern im Allgemeinen ein verdrossenes Geschlecht zu sein. Seltner als anderwärts erblickt man große schmucke Häuser. Häufiger wird man von bettelnden Kindern angesprochen. Ueberall prägt sich mehr oder minder die Beschränktheit und Unfreiheit aus, in der das Volk lebt und man glaubt in ein ganz andres Land zu kommen, wenn man die blau und weißen Wegweiser bei der zu Salzau gehörigen Meierei Ottenhof hinter sich hat und die Grenze der Propstei überschreitet. Die Propstei, genauer die Preetzer Propstei, heißt ein Landstrich von anderthalb Quadratmeilen, der im Westen von der Hägener An*) und der kieler Föhrde und im Norden von dem offnen Meere bespült ist, während er im Süden und Osten keine natürlichen Grenzen hat. Sie nimmt unter den Gegenden in der Nachbarschaft Kiels, die keiner unbesucht lassen darf, welcher sich vor seiner Abreise das Zeugniß ertheilen lassen will, er habe alle Merk- I ") An, das dänische Aa, hat nichts mit unseren Auen gemein, sondern bedeutet einen kleinen Fluß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/54>, abgerufen am 25.08.2024.