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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ich komme nun zu meiner Reise hierher. Eine Fahrt die Schlei hinab nach
Amis oder Kappeln gehört zu dem Unmuthigsten, was eine Wanderung durch die
Herzogthümer bietet. Ein fast immer spiegelglattes klares Wasser, das bei heiterm
Wetter aus der Ferne gesehen vom schönsten Himmelblau ist, frisch grüne Ufer,
die bald auf die Breite einer halben Stunde auseinandertreten, bald sich
einander bis auf hundert Schritt nähern, bald fast ganz flach sind, bald als
sanftanschwellende Hügelketten, bedeckt mit Kuhherden oder Getreidefeldern,
durchschnitten von Hecken, sich hinziehen, zahlreiche kleine Buchten, an denen
Edelhofe oder Dörfer liegen, reizende Buchenwäldchen, aus denen einsame
weiße Häuser mit grauen Strohdächern hervorlugen, nur selten ein größeres
Fahrzeug, häufig dagegen Fischerboote mit Rudern, die in der Sonne blitzen,
bisweilen eine Stelle, an die eine grausige oder heitere Sage der Vorzeit sich
knüpft, da eine Insel mit einer hübschen Kirche in der Mitte, Werften und
Heringszäunen am Rande, dort eine Landzunge, umgeben von hohem Schilf,
dahinter ein Park oder Baumgarten mit einem Schweizerhäuschen drinnen,
endlich die entzückende Jagd von Sonnenblicken und Wolkenschattcn auf der
Wasserbläue und dem Wiesengrün und die tiefe, fast schwermüthige Stille, die
auf der Gegend ruht, machen den Gesammteindnick einer Schleifahrt zu einem
so eigenthümlichen, daß man ihn schwer vergißt.

Da im Hintergründe der Bucht liegt im Halbkreise das tausendjährige
Schleswig mit seinem Dome und seiner altehrwürdigen Herzogsburg, und da
schwärmen in der Nachmittagssonne über der Insel, auf der einst das Schloß
König Abels, des Brudermörders stand, in weiße Möven verwandelt, die Ge¬
nossen seiner That. Dort hinter dem freundlichen Bilde dunkelt der Thiergarten,
wo Abel den Gedanken zu der That faßte und wo er jetzt zur Strafe für den
Frevel umgeht. Herzog Abel war ein leidenschaftlicher Jäger. Als solcher
drang er einst auch in den Wald bei Poet ein. Da trat ihm der Herr des¬
selben entgegen, und zwar in Gestalt eines Bären. Er rief ihm Halt zu,
hier dürfe nur der König jagen. Abel wollte zurück. Da aber riefs von allen
Zweigen: "Heil dem Könige Abel!" und von Stund an trachtete er nach der
Krone, die sein Bruder trug. Er gewann sie durch dessen Ermordung, erfreute
sich ihrer aber nicht lange; denn wenige Jahre nachher wurde er in der Schlacht
beim Milderdanne von den Friesen erschlagen, und seitdem spukt sein ruheloser
Geist im poeler Walde sowie an der ganzen obern Schlei als schwarzer Reiter
auf feuerschnaubendem Pferde.

Weiter hinab auf der borgwedeler Breite hört man zuweilen am Ncnjahrs-
morgen eine Glocke auf dem Grunde des Wassers läuten. In einem Kriege
war den Kahlebyern ihre Glocke genommen worden. Der König gab ihnen
aus ihre Vorstellung die Erlaubniß sich irgendwo eine zu stehlen, wo es deren
zwei gäbe. Sie kamen nach der Kirche von Haldeby und nahmen da die eine


Ich komme nun zu meiner Reise hierher. Eine Fahrt die Schlei hinab nach
Amis oder Kappeln gehört zu dem Unmuthigsten, was eine Wanderung durch die
Herzogthümer bietet. Ein fast immer spiegelglattes klares Wasser, das bei heiterm
Wetter aus der Ferne gesehen vom schönsten Himmelblau ist, frisch grüne Ufer,
die bald auf die Breite einer halben Stunde auseinandertreten, bald sich
einander bis auf hundert Schritt nähern, bald fast ganz flach sind, bald als
sanftanschwellende Hügelketten, bedeckt mit Kuhherden oder Getreidefeldern,
durchschnitten von Hecken, sich hinziehen, zahlreiche kleine Buchten, an denen
Edelhofe oder Dörfer liegen, reizende Buchenwäldchen, aus denen einsame
weiße Häuser mit grauen Strohdächern hervorlugen, nur selten ein größeres
Fahrzeug, häufig dagegen Fischerboote mit Rudern, die in der Sonne blitzen,
bisweilen eine Stelle, an die eine grausige oder heitere Sage der Vorzeit sich
knüpft, da eine Insel mit einer hübschen Kirche in der Mitte, Werften und
Heringszäunen am Rande, dort eine Landzunge, umgeben von hohem Schilf,
dahinter ein Park oder Baumgarten mit einem Schweizerhäuschen drinnen,
endlich die entzückende Jagd von Sonnenblicken und Wolkenschattcn auf der
Wasserbläue und dem Wiesengrün und die tiefe, fast schwermüthige Stille, die
auf der Gegend ruht, machen den Gesammteindnick einer Schleifahrt zu einem
so eigenthümlichen, daß man ihn schwer vergißt.

Da im Hintergründe der Bucht liegt im Halbkreise das tausendjährige
Schleswig mit seinem Dome und seiner altehrwürdigen Herzogsburg, und da
schwärmen in der Nachmittagssonne über der Insel, auf der einst das Schloß
König Abels, des Brudermörders stand, in weiße Möven verwandelt, die Ge¬
nossen seiner That. Dort hinter dem freundlichen Bilde dunkelt der Thiergarten,
wo Abel den Gedanken zu der That faßte und wo er jetzt zur Strafe für den
Frevel umgeht. Herzog Abel war ein leidenschaftlicher Jäger. Als solcher
drang er einst auch in den Wald bei Poet ein. Da trat ihm der Herr des¬
selben entgegen, und zwar in Gestalt eines Bären. Er rief ihm Halt zu,
hier dürfe nur der König jagen. Abel wollte zurück. Da aber riefs von allen
Zweigen: „Heil dem Könige Abel!" und von Stund an trachtete er nach der
Krone, die sein Bruder trug. Er gewann sie durch dessen Ermordung, erfreute
sich ihrer aber nicht lange; denn wenige Jahre nachher wurde er in der Schlacht
beim Milderdanne von den Friesen erschlagen, und seitdem spukt sein ruheloser
Geist im poeler Walde sowie an der ganzen obern Schlei als schwarzer Reiter
auf feuerschnaubendem Pferde.

Weiter hinab auf der borgwedeler Breite hört man zuweilen am Ncnjahrs-
morgen eine Glocke auf dem Grunde des Wassers läuten. In einem Kriege
war den Kahlebyern ihre Glocke genommen worden. Der König gab ihnen
aus ihre Vorstellung die Erlaubniß sich irgendwo eine zu stehlen, wo es deren
zwei gäbe. Sie kamen nach der Kirche von Haldeby und nahmen da die eine


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[0509] Ich komme nun zu meiner Reise hierher. Eine Fahrt die Schlei hinab nach Amis oder Kappeln gehört zu dem Unmuthigsten, was eine Wanderung durch die Herzogthümer bietet. Ein fast immer spiegelglattes klares Wasser, das bei heiterm Wetter aus der Ferne gesehen vom schönsten Himmelblau ist, frisch grüne Ufer, die bald auf die Breite einer halben Stunde auseinandertreten, bald sich einander bis auf hundert Schritt nähern, bald fast ganz flach sind, bald als sanftanschwellende Hügelketten, bedeckt mit Kuhherden oder Getreidefeldern, durchschnitten von Hecken, sich hinziehen, zahlreiche kleine Buchten, an denen Edelhofe oder Dörfer liegen, reizende Buchenwäldchen, aus denen einsame weiße Häuser mit grauen Strohdächern hervorlugen, nur selten ein größeres Fahrzeug, häufig dagegen Fischerboote mit Rudern, die in der Sonne blitzen, bisweilen eine Stelle, an die eine grausige oder heitere Sage der Vorzeit sich knüpft, da eine Insel mit einer hübschen Kirche in der Mitte, Werften und Heringszäunen am Rande, dort eine Landzunge, umgeben von hohem Schilf, dahinter ein Park oder Baumgarten mit einem Schweizerhäuschen drinnen, endlich die entzückende Jagd von Sonnenblicken und Wolkenschattcn auf der Wasserbläue und dem Wiesengrün und die tiefe, fast schwermüthige Stille, die auf der Gegend ruht, machen den Gesammteindnick einer Schleifahrt zu einem so eigenthümlichen, daß man ihn schwer vergißt. Da im Hintergründe der Bucht liegt im Halbkreise das tausendjährige Schleswig mit seinem Dome und seiner altehrwürdigen Herzogsburg, und da schwärmen in der Nachmittagssonne über der Insel, auf der einst das Schloß König Abels, des Brudermörders stand, in weiße Möven verwandelt, die Ge¬ nossen seiner That. Dort hinter dem freundlichen Bilde dunkelt der Thiergarten, wo Abel den Gedanken zu der That faßte und wo er jetzt zur Strafe für den Frevel umgeht. Herzog Abel war ein leidenschaftlicher Jäger. Als solcher drang er einst auch in den Wald bei Poet ein. Da trat ihm der Herr des¬ selben entgegen, und zwar in Gestalt eines Bären. Er rief ihm Halt zu, hier dürfe nur der König jagen. Abel wollte zurück. Da aber riefs von allen Zweigen: „Heil dem Könige Abel!" und von Stund an trachtete er nach der Krone, die sein Bruder trug. Er gewann sie durch dessen Ermordung, erfreute sich ihrer aber nicht lange; denn wenige Jahre nachher wurde er in der Schlacht beim Milderdanne von den Friesen erschlagen, und seitdem spukt sein ruheloser Geist im poeler Walde sowie an der ganzen obern Schlei als schwarzer Reiter auf feuerschnaubendem Pferde. Weiter hinab auf der borgwedeler Breite hört man zuweilen am Ncnjahrs- morgen eine Glocke auf dem Grunde des Wassers läuten. In einem Kriege war den Kahlebyern ihre Glocke genommen worden. Der König gab ihnen aus ihre Vorstellung die Erlaubniß sich irgendwo eine zu stehlen, wo es deren zwei gäbe. Sie kamen nach der Kirche von Haldeby und nahmen da die eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/509>, abgerufen am 22.07.2024.