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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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und die, welchen er von dem Gesichte erzählt, glaubten ihn nun. Ebenso
träumte ihm eine Woche vor der Schlacht, es werde eine Kugel in sein Dach
einschlagen und dort zerplatzen. Er verließ infolge dieses Traums vor Be¬
ginn deS Kampfes seine Wohnung, und siehe da, die Granate schlug wirklich
in seinen Dachboden ein.

Nun geschah es eines Sonntags im August 4 8!>2 in der Noggenevnte,
daß jener Mann mit seinem Schwager längs deS Wäldchens am Langsee
spazieren ging. ES war in den Vormittagsstunden, und sie waren eben in
einem Gespräche über die Ernte begriffen, als sie den Sohn des Schwagers
aus dem Gehölze auf sich zulaufen sahen. Er war außer Athem und hatte
ein ganz verstörtes Aussehen. Auf die Frage, was ihm fehle, antwortete der
Knabe: "Hört ihr denn nichts? Es geht fürchterlich im Holze her." Der
Schwager sagte darauf: "Junge, du solltest eins an die Ohren haben, daß du
Leuten uuter der Predigt was weiß machen willst." Er hatte kaum ausgeredet,
als beide Männer zusammenfulnen; denn auch sie hörten jetzt das Kanoniren,
daS Gewehrfeuer und das Geschrei der Kämpfenden. Der Lärm dauerte,ge-.
räume Zeit fort. Sie grauem sich erst davor, allmcilig jedoch machte das Grauen
in ihren Gemüthern der Hoffnung Platz, daß das gespenstische Getöse ein An¬
zeichen sei einer neuen Schlacht bei Jdstedt, der eine neue Erhebung des Volks
gegen die Dänen vorangehen müsse.

Ich denke, ich kann mich enthalten, ein Urtheil über die Natur dieser
Phänomene abzugeben. Mag die Art und Weise, in welcher sie erzählt werden,
eine Garantie sein, daß sie keine auf Täuschung berechneten Erfindungen sind,
so beweist ihr häufiges Vorkommen und der Gla-übe der Seher an ihre Wirk¬
lichkeit noch nicht, daß sie nicht unwillkürliche Selbsttäuschungen sind. Da¬
gegen ist in der Ahnung des Volksgeistes, aus welcher die Phantasie ihre
Bilder webt, unzweifelhaft ebenso viel Wahrheit, als in der Fata Morgana,
wenn sie Landschaften über den Horizont hebt. Nur das Wie und das Wann
ist noch verborgen. Daß Schleswig-Holstein einen Tag der Auferstehung er¬
leben wird, ist dem Glauben des Volkes eine ausgemachte Wahrheit, und wer
an die Auferstehung glaubt, der wird auferstehen, wenn die Zeit er¬
füllt ist.

Als wir gegen Abend auf der Chaussee durch den Wald heimfuhren
und an dem Hünengrabe vorüber kamen, das links von der Straße, von
hohen Bäumen beschattet, sich erhebt, rief in der Ferne die melancholische
Stimme eines Kukuks. "Wollen ihn fragen," sagte scherzend der eine meiner
Freunde, "wie viele Jahre wir noch bis zur Erfüllung des Gesichts unsres
Biörusen zu warten haben." Und frischweg fragte er mit dem alten Kinderreim:


..Kukuk van Häwen,
Wo lang schall de Dän hie noch lciwen?"

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und die, welchen er von dem Gesichte erzählt, glaubten ihn nun. Ebenso
träumte ihm eine Woche vor der Schlacht, es werde eine Kugel in sein Dach
einschlagen und dort zerplatzen. Er verließ infolge dieses Traums vor Be¬
ginn deS Kampfes seine Wohnung, und siehe da, die Granate schlug wirklich
in seinen Dachboden ein.

Nun geschah es eines Sonntags im August 4 8!>2 in der Noggenevnte,
daß jener Mann mit seinem Schwager längs deS Wäldchens am Langsee
spazieren ging. ES war in den Vormittagsstunden, und sie waren eben in
einem Gespräche über die Ernte begriffen, als sie den Sohn des Schwagers
aus dem Gehölze auf sich zulaufen sahen. Er war außer Athem und hatte
ein ganz verstörtes Aussehen. Auf die Frage, was ihm fehle, antwortete der
Knabe: „Hört ihr denn nichts? Es geht fürchterlich im Holze her." Der
Schwager sagte darauf: „Junge, du solltest eins an die Ohren haben, daß du
Leuten uuter der Predigt was weiß machen willst." Er hatte kaum ausgeredet,
als beide Männer zusammenfulnen; denn auch sie hörten jetzt das Kanoniren,
daS Gewehrfeuer und das Geschrei der Kämpfenden. Der Lärm dauerte,ge-.
räume Zeit fort. Sie grauem sich erst davor, allmcilig jedoch machte das Grauen
in ihren Gemüthern der Hoffnung Platz, daß das gespenstische Getöse ein An¬
zeichen sei einer neuen Schlacht bei Jdstedt, der eine neue Erhebung des Volks
gegen die Dänen vorangehen müsse.

Ich denke, ich kann mich enthalten, ein Urtheil über die Natur dieser
Phänomene abzugeben. Mag die Art und Weise, in welcher sie erzählt werden,
eine Garantie sein, daß sie keine auf Täuschung berechneten Erfindungen sind,
so beweist ihr häufiges Vorkommen und der Gla-übe der Seher an ihre Wirk¬
lichkeit noch nicht, daß sie nicht unwillkürliche Selbsttäuschungen sind. Da¬
gegen ist in der Ahnung des Volksgeistes, aus welcher die Phantasie ihre
Bilder webt, unzweifelhaft ebenso viel Wahrheit, als in der Fata Morgana,
wenn sie Landschaften über den Horizont hebt. Nur das Wie und das Wann
ist noch verborgen. Daß Schleswig-Holstein einen Tag der Auferstehung er¬
leben wird, ist dem Glauben des Volkes eine ausgemachte Wahrheit, und wer
an die Auferstehung glaubt, der wird auferstehen, wenn die Zeit er¬
füllt ist.

Als wir gegen Abend auf der Chaussee durch den Wald heimfuhren
und an dem Hünengrabe vorüber kamen, das links von der Straße, von
hohen Bäumen beschattet, sich erhebt, rief in der Ferne die melancholische
Stimme eines Kukuks. „Wollen ihn fragen," sagte scherzend der eine meiner
Freunde, „wie viele Jahre wir noch bis zur Erfüllung des Gesichts unsres
Biörusen zu warten haben." Und frischweg fragte er mit dem alten Kinderreim:


..Kukuk van Häwen,
Wo lang schall de Dän hie noch lciwen?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/507>, abgerufen am 22.07.2024.